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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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die der Sache dienen, noch durch die Gesammtheit des Volkes beschränken oder
leiten läßt. Trennung von Staat und Kirche und freie Konkurrenz sind die
beiden Forderungen, welche specifisch die Parteistellung der Liberalen bezeich¬
nen." Und in der Rede "Was ist die Revolution" erklärt er ausdrücklich:
"Die Revolution fordert die Trennung von Staat und Kirche."*)

Sehen wir hier die streng kirchlich konservative Partei die Trennung von
Staat und Kirche energisch zurückweisen und einer engen Verbindung beide
das Wort reden, so zeigt uns die französische Schweiz und Schottland in der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ein ganz andres Bild. In der Genfer
Staatskirche herrschte der Rationalismus, ihr gegenüber trat eine lebendige
evangelische Bewegung, freilich etwas methodistisch gefärbt und separatistischen
Bestrebungen geneigt. Zwischen beiden Seiten entwickelte sich ein heftiger
Kampf. Die VöiuZiÄdlö compagnie Ass I^stkurs, in deren Hand das Kirchen¬
regiment lag, suchte denselben dadurch zu beschwichtigen, daß sie 1817 die
Predigt über Grunddogmen der reformirten, zum Theil der christlichen Kirche
überhaupt, über die Vereinigung der Gottheit und Menschheit in Christo, über
die Erbsünde, über die Wirkung der göttlichen Gnade und über die Prädesti¬
nation verbot. Es ist begreiflich, daß ein solches Verhalten der Staatskirche
dieselbe in ein durchaus ungünstiges Licht für die Augen der gläubigen Partei
stellte und dieser eine Trennung von Staat und Kirche als wünschenswerth er¬
scheinen ließ. Ihr begeisterter und unermüdlicher Vertreter war Alexander
Vince. Man kann die kirchenpolitische Theorie der Freikirche nicht rücksichts¬
loser, konsequenter und abstracter ausbilden, als er es gethan hat. Er sieht
in Staat und Kirche, um feine eignen Worte zu gebrauchen "zwei Maschinen,
bestimmt, parallel sich auf derselben Fläche neben einander fort zu bewegen,
ohne sich zu berühren oder zu stören. Die eine hat sich die Körperwelt vor¬
behalten, die andre will bloß die Geister beherrschen. Als Gesellschaft naße
sich keine ein Recht über die andre an, ihre Thätigkeiten sind völlig getrennt,
sie wollen, so zu sagen, nichts von einander wissen, und sie sind schlechter¬
dings unfähig -- der Staat, Unruhe in die Kirche zu bringen, und die Kirche,
im Staate die mindeste Störung zu veranlassen."^) So wurde der Boden
bereitet, aus dem 1843 die freie Kirche des Waadtlandes gegründet werden
konnte. Die Weigerung einer namhaften Zahl von Geistlichen, eine Prokla¬
mation der radikalen Regierung vorzulesen, welche die neue Verfassung em¬
pfahl, gab den Anlaß zur Trennung.

Schottlands Vorgang zwei Jahre vorher war nicht ohne Einfluß auf
diesen Schritt geblieben. Hier hatten die Verhältnisse etwas anders gelegen,




*) Siebzehn parlamentarische Reden und drei Borträge von Stahl. Berl. 18S2. S. 23ö.
Ueber die Freiheit des religiösen Cultus (1826) übersetzt v. Volkmann. Leipzig 1843.
S. 143.

die der Sache dienen, noch durch die Gesammtheit des Volkes beschränken oder
leiten läßt. Trennung von Staat und Kirche und freie Konkurrenz sind die
beiden Forderungen, welche specifisch die Parteistellung der Liberalen bezeich¬
nen." Und in der Rede „Was ist die Revolution" erklärt er ausdrücklich:
„Die Revolution fordert die Trennung von Staat und Kirche."*)

Sehen wir hier die streng kirchlich konservative Partei die Trennung von
Staat und Kirche energisch zurückweisen und einer engen Verbindung beide
das Wort reden, so zeigt uns die französische Schweiz und Schottland in der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ein ganz andres Bild. In der Genfer
Staatskirche herrschte der Rationalismus, ihr gegenüber trat eine lebendige
evangelische Bewegung, freilich etwas methodistisch gefärbt und separatistischen
Bestrebungen geneigt. Zwischen beiden Seiten entwickelte sich ein heftiger
Kampf. Die VöiuZiÄdlö compagnie Ass I^stkurs, in deren Hand das Kirchen¬
regiment lag, suchte denselben dadurch zu beschwichtigen, daß sie 1817 die
Predigt über Grunddogmen der reformirten, zum Theil der christlichen Kirche
überhaupt, über die Vereinigung der Gottheit und Menschheit in Christo, über
die Erbsünde, über die Wirkung der göttlichen Gnade und über die Prädesti¬
nation verbot. Es ist begreiflich, daß ein solches Verhalten der Staatskirche
dieselbe in ein durchaus ungünstiges Licht für die Augen der gläubigen Partei
stellte und dieser eine Trennung von Staat und Kirche als wünschenswerth er¬
scheinen ließ. Ihr begeisterter und unermüdlicher Vertreter war Alexander
Vince. Man kann die kirchenpolitische Theorie der Freikirche nicht rücksichts¬
loser, konsequenter und abstracter ausbilden, als er es gethan hat. Er sieht
in Staat und Kirche, um feine eignen Worte zu gebrauchen „zwei Maschinen,
bestimmt, parallel sich auf derselben Fläche neben einander fort zu bewegen,
ohne sich zu berühren oder zu stören. Die eine hat sich die Körperwelt vor¬
behalten, die andre will bloß die Geister beherrschen. Als Gesellschaft naße
sich keine ein Recht über die andre an, ihre Thätigkeiten sind völlig getrennt,
sie wollen, so zu sagen, nichts von einander wissen, und sie sind schlechter¬
dings unfähig — der Staat, Unruhe in die Kirche zu bringen, und die Kirche,
im Staate die mindeste Störung zu veranlassen."^) So wurde der Boden
bereitet, aus dem 1843 die freie Kirche des Waadtlandes gegründet werden
konnte. Die Weigerung einer namhaften Zahl von Geistlichen, eine Prokla¬
mation der radikalen Regierung vorzulesen, welche die neue Verfassung em¬
pfahl, gab den Anlaß zur Trennung.

Schottlands Vorgang zwei Jahre vorher war nicht ohne Einfluß auf
diesen Schritt geblieben. Hier hatten die Verhältnisse etwas anders gelegen,




*) Siebzehn parlamentarische Reden und drei Borträge von Stahl. Berl. 18S2. S. 23ö.
Ueber die Freiheit des religiösen Cultus (1826) übersetzt v. Volkmann. Leipzig 1843.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/126>, abgerufen am 22.07.2024.