Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deren er das Leben eines Sklavenjägers führte, denn Abu-Ukir hielGfich in
jenen Gegenden nur auf, um sich Sklaven, d. h. Geld zur Fortführung des
Kriegs zu verschaffen. Als Nachtigal Abu-Ukir endlich verlassen konnte, be¬
fand man sich in voller Regensaison, und hatte der Reisende unbeschreibliche
Leiden zu überstehen, bevor er den Tsaad-See erreichte.

Das Hauptziel Nachtigal's bestand darin, in das Land der Wadai, wel¬
ches mehre Millionen Einwohner zählt und vom geographischen Gesichtspunkte
ein hohes Interesse darbietet, vorzudringen. Die Bewohner der Ufer des
Tsaad-Sees, namentlich diejenigen von Kuka, sagten dem Reisenden einen ge¬
wissen Tod voraus, wenn er es wagte, seinen Fuß in das Wadai-Land zu
setzen. Aber Nachtigal hatte von der Großmuth Ali's, des Sultans der
Wadai erzählen hören, und darauf hin beschloß er, sich demselben anzu¬
vertrauen und seine Gastlichkeit in Anspruch zu, nehmen. Der Reisende ge¬
brauchte zwei Wochen, um zu einem andern, minder bedeutenden See, dem
Fitri-See, zu gelangen. Unsägliche Leiden hatte er in diesen Gegenden aus¬
zustehen, die von Muskitos und von Myriaden von Fliegen, deren Stich ihm
keinen Augenblick Ruhe ließen, bevölkert waren. Seine Pferde und Kameele
krepirten fast sämmtlich; und es scheint, daß die Bewohner des Landes die
ihrigen nur dadurch erhalten, daß sie dieselben den ganzen Tag über in Häuser ein¬
schließen, in denen sie fortwährend Rauch unterhalten. Während der Nacht allein
führen sie das Vieh auf die Weide und bedecken die Ochsen mit einer Art Stroh-
küraß, welcher denselben mehr oder minder Schutz gewährt. Indem Nachtigal
den Fitri-See aufs Eiligste wieder verließ, traf er nahe an hundert Dörfer an,
welche die Trümmer eines ehedem mächtigen Königreichs sind, von dem heute aber
fast nichts übrig geblieben ist. Endlich gelangte er dann in das Wadai-Land,
welches ungefähr drei Millionen eine Seelen zählt, Zahl, die sich auf fünf
Millionen erhöht, wenn man die von dem Sultan Ali abhängigen Stämme
noch hinzurechnet. Die Wadai haben einen hochfahrenden, wilden, grausamen
Charakter, sie sind der Trunkenheit ergeben und verabscheuen die Fremden.
Der Vater des gegenwärtigen Sultans war, wie alle Angehörigen des Stam¬
mes der Wada oder Vornehmen, zu dem er zählte, von einer Wildheit ohne
Gleichen; aber so verabscheuenswürdig, sagt öl-. Nachtigal, der Vater war,
so ausgezeichnet war der Sohn. Dieser hat bereits eine Menge von barbari¬
schen Gewohnheiten abgeschafft: so war es z. B. vor seiner Zeit unmöglich,
nach zwei Uhr Nachmittags sich in die Straßen hinaus zu wagen, denn schon
um diese Zeit waren dieselben mit Trunkenen angefüllt, die mit dem Messer
in der Hand sich den blutigsten Unthaten Hingaben. Trotz der Feindseligkeit
seines Volkes gewährte Ali dem öl-. Nachtigal Hilfe und Schutz.

Der Reisende wurde bei den Wadai lange Zeit durch ein bedeutendes
Ereigniß, den Tod des Sultans von Darfur, zurückgehalten. Im Wadai-


deren er das Leben eines Sklavenjägers führte, denn Abu-Ukir hielGfich in
jenen Gegenden nur auf, um sich Sklaven, d. h. Geld zur Fortführung des
Kriegs zu verschaffen. Als Nachtigal Abu-Ukir endlich verlassen konnte, be¬
fand man sich in voller Regensaison, und hatte der Reisende unbeschreibliche
Leiden zu überstehen, bevor er den Tsaad-See erreichte.

Das Hauptziel Nachtigal's bestand darin, in das Land der Wadai, wel¬
ches mehre Millionen Einwohner zählt und vom geographischen Gesichtspunkte
ein hohes Interesse darbietet, vorzudringen. Die Bewohner der Ufer des
Tsaad-Sees, namentlich diejenigen von Kuka, sagten dem Reisenden einen ge¬
wissen Tod voraus, wenn er es wagte, seinen Fuß in das Wadai-Land zu
setzen. Aber Nachtigal hatte von der Großmuth Ali's, des Sultans der
Wadai erzählen hören, und darauf hin beschloß er, sich demselben anzu¬
vertrauen und seine Gastlichkeit in Anspruch zu, nehmen. Der Reisende ge¬
brauchte zwei Wochen, um zu einem andern, minder bedeutenden See, dem
Fitri-See, zu gelangen. Unsägliche Leiden hatte er in diesen Gegenden aus¬
zustehen, die von Muskitos und von Myriaden von Fliegen, deren Stich ihm
keinen Augenblick Ruhe ließen, bevölkert waren. Seine Pferde und Kameele
krepirten fast sämmtlich; und es scheint, daß die Bewohner des Landes die
ihrigen nur dadurch erhalten, daß sie dieselben den ganzen Tag über in Häuser ein¬
schließen, in denen sie fortwährend Rauch unterhalten. Während der Nacht allein
führen sie das Vieh auf die Weide und bedecken die Ochsen mit einer Art Stroh-
küraß, welcher denselben mehr oder minder Schutz gewährt. Indem Nachtigal
den Fitri-See aufs Eiligste wieder verließ, traf er nahe an hundert Dörfer an,
welche die Trümmer eines ehedem mächtigen Königreichs sind, von dem heute aber
fast nichts übrig geblieben ist. Endlich gelangte er dann in das Wadai-Land,
welches ungefähr drei Millionen eine Seelen zählt, Zahl, die sich auf fünf
Millionen erhöht, wenn man die von dem Sultan Ali abhängigen Stämme
noch hinzurechnet. Die Wadai haben einen hochfahrenden, wilden, grausamen
Charakter, sie sind der Trunkenheit ergeben und verabscheuen die Fremden.
Der Vater des gegenwärtigen Sultans war, wie alle Angehörigen des Stam¬
mes der Wada oder Vornehmen, zu dem er zählte, von einer Wildheit ohne
Gleichen; aber so verabscheuenswürdig, sagt öl-. Nachtigal, der Vater war,
so ausgezeichnet war der Sohn. Dieser hat bereits eine Menge von barbari¬
schen Gewohnheiten abgeschafft: so war es z. B. vor seiner Zeit unmöglich,
nach zwei Uhr Nachmittags sich in die Straßen hinaus zu wagen, denn schon
um diese Zeit waren dieselben mit Trunkenen angefüllt, die mit dem Messer
in der Hand sich den blutigsten Unthaten Hingaben. Trotz der Feindseligkeit
seines Volkes gewährte Ali dem öl-. Nachtigal Hilfe und Schutz.

Der Reisende wurde bei den Wadai lange Zeit durch ein bedeutendes
Ereigniß, den Tod des Sultans von Darfur, zurückgehalten. Im Wadai-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134454"/>
          <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> deren er das Leben eines Sklavenjägers führte, denn Abu-Ukir hielGfich in<lb/>
jenen Gegenden nur auf, um sich Sklaven, d. h. Geld zur Fortführung des<lb/>
Kriegs zu verschaffen. Als Nachtigal Abu-Ukir endlich verlassen konnte, be¬<lb/>
fand man sich in voller Regensaison, und hatte der Reisende unbeschreibliche<lb/>
Leiden zu überstehen, bevor er den Tsaad-See erreichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_291"> Das Hauptziel Nachtigal's bestand darin, in das Land der Wadai, wel¬<lb/>
ches mehre Millionen Einwohner zählt und vom geographischen Gesichtspunkte<lb/>
ein hohes Interesse darbietet, vorzudringen. Die Bewohner der Ufer des<lb/>
Tsaad-Sees, namentlich diejenigen von Kuka, sagten dem Reisenden einen ge¬<lb/>
wissen Tod voraus, wenn er es wagte, seinen Fuß in das Wadai-Land zu<lb/>
setzen. Aber Nachtigal hatte von der Großmuth Ali's, des Sultans der<lb/>
Wadai erzählen hören, und darauf hin beschloß er, sich demselben anzu¬<lb/>
vertrauen und seine Gastlichkeit in Anspruch zu, nehmen. Der Reisende ge¬<lb/>
brauchte zwei Wochen, um zu einem andern, minder bedeutenden See, dem<lb/>
Fitri-See, zu gelangen. Unsägliche Leiden hatte er in diesen Gegenden aus¬<lb/>
zustehen, die von Muskitos und von Myriaden von Fliegen, deren Stich ihm<lb/>
keinen Augenblick Ruhe ließen, bevölkert waren. Seine Pferde und Kameele<lb/>
krepirten fast sämmtlich; und es scheint, daß die Bewohner des Landes die<lb/>
ihrigen nur dadurch erhalten, daß sie dieselben den ganzen Tag über in Häuser ein¬<lb/>
schließen, in denen sie fortwährend Rauch unterhalten. Während der Nacht allein<lb/>
führen sie das Vieh auf die Weide und bedecken die Ochsen mit einer Art Stroh-<lb/>
küraß, welcher denselben mehr oder minder Schutz gewährt. Indem Nachtigal<lb/>
den Fitri-See aufs Eiligste wieder verließ, traf er nahe an hundert Dörfer an,<lb/>
welche die Trümmer eines ehedem mächtigen Königreichs sind, von dem heute aber<lb/>
fast nichts übrig geblieben ist. Endlich gelangte er dann in das Wadai-Land,<lb/>
welches ungefähr drei Millionen eine Seelen zählt, Zahl, die sich auf fünf<lb/>
Millionen erhöht, wenn man die von dem Sultan Ali abhängigen Stämme<lb/>
noch hinzurechnet. Die Wadai haben einen hochfahrenden, wilden, grausamen<lb/>
Charakter, sie sind der Trunkenheit ergeben und verabscheuen die Fremden.<lb/>
Der Vater des gegenwärtigen Sultans war, wie alle Angehörigen des Stam¬<lb/>
mes der Wada oder Vornehmen, zu dem er zählte, von einer Wildheit ohne<lb/>
Gleichen; aber so verabscheuenswürdig, sagt öl-. Nachtigal, der Vater war,<lb/>
so ausgezeichnet war der Sohn. Dieser hat bereits eine Menge von barbari¬<lb/>
schen Gewohnheiten abgeschafft: so war es z. B. vor seiner Zeit unmöglich,<lb/>
nach zwei Uhr Nachmittags sich in die Straßen hinaus zu wagen, denn schon<lb/>
um diese Zeit waren dieselben mit Trunkenen angefüllt, die mit dem Messer<lb/>
in der Hand sich den blutigsten Unthaten Hingaben. Trotz der Feindseligkeit<lb/>
seines Volkes gewährte Ali dem öl-. Nachtigal Hilfe und Schutz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Der Reisende wurde bei den Wadai lange Zeit durch ein bedeutendes<lb/>
Ereigniß, den Tod des Sultans von Darfur, zurückgehalten.  Im Wadai-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] deren er das Leben eines Sklavenjägers führte, denn Abu-Ukir hielGfich in jenen Gegenden nur auf, um sich Sklaven, d. h. Geld zur Fortführung des Kriegs zu verschaffen. Als Nachtigal Abu-Ukir endlich verlassen konnte, be¬ fand man sich in voller Regensaison, und hatte der Reisende unbeschreibliche Leiden zu überstehen, bevor er den Tsaad-See erreichte. Das Hauptziel Nachtigal's bestand darin, in das Land der Wadai, wel¬ ches mehre Millionen Einwohner zählt und vom geographischen Gesichtspunkte ein hohes Interesse darbietet, vorzudringen. Die Bewohner der Ufer des Tsaad-Sees, namentlich diejenigen von Kuka, sagten dem Reisenden einen ge¬ wissen Tod voraus, wenn er es wagte, seinen Fuß in das Wadai-Land zu setzen. Aber Nachtigal hatte von der Großmuth Ali's, des Sultans der Wadai erzählen hören, und darauf hin beschloß er, sich demselben anzu¬ vertrauen und seine Gastlichkeit in Anspruch zu, nehmen. Der Reisende ge¬ brauchte zwei Wochen, um zu einem andern, minder bedeutenden See, dem Fitri-See, zu gelangen. Unsägliche Leiden hatte er in diesen Gegenden aus¬ zustehen, die von Muskitos und von Myriaden von Fliegen, deren Stich ihm keinen Augenblick Ruhe ließen, bevölkert waren. Seine Pferde und Kameele krepirten fast sämmtlich; und es scheint, daß die Bewohner des Landes die ihrigen nur dadurch erhalten, daß sie dieselben den ganzen Tag über in Häuser ein¬ schließen, in denen sie fortwährend Rauch unterhalten. Während der Nacht allein führen sie das Vieh auf die Weide und bedecken die Ochsen mit einer Art Stroh- küraß, welcher denselben mehr oder minder Schutz gewährt. Indem Nachtigal den Fitri-See aufs Eiligste wieder verließ, traf er nahe an hundert Dörfer an, welche die Trümmer eines ehedem mächtigen Königreichs sind, von dem heute aber fast nichts übrig geblieben ist. Endlich gelangte er dann in das Wadai-Land, welches ungefähr drei Millionen eine Seelen zählt, Zahl, die sich auf fünf Millionen erhöht, wenn man die von dem Sultan Ali abhängigen Stämme noch hinzurechnet. Die Wadai haben einen hochfahrenden, wilden, grausamen Charakter, sie sind der Trunkenheit ergeben und verabscheuen die Fremden. Der Vater des gegenwärtigen Sultans war, wie alle Angehörigen des Stam¬ mes der Wada oder Vornehmen, zu dem er zählte, von einer Wildheit ohne Gleichen; aber so verabscheuenswürdig, sagt öl-. Nachtigal, der Vater war, so ausgezeichnet war der Sohn. Dieser hat bereits eine Menge von barbari¬ schen Gewohnheiten abgeschafft: so war es z. B. vor seiner Zeit unmöglich, nach zwei Uhr Nachmittags sich in die Straßen hinaus zu wagen, denn schon um diese Zeit waren dieselben mit Trunkenen angefüllt, die mit dem Messer in der Hand sich den blutigsten Unthaten Hingaben. Trotz der Feindseligkeit seines Volkes gewährte Ali dem öl-. Nachtigal Hilfe und Schutz. Der Reisende wurde bei den Wadai lange Zeit durch ein bedeutendes Ereigniß, den Tod des Sultans von Darfur, zurückgehalten. Im Wadai-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/108>, abgerufen am 23.07.2024.