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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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ähnlich, wie Eusebius meinte, er ist als zweiter Gott ein Mittelwesen zwischen
dem ersten unendlichen und der endlichen Welt, unfaßbar, unnahbar, unsicht¬
bar, ein großes Geheimnis, also nichterkennbar, wie Eunomius lehrte, jener
beredte kampflustige Kappadocier, der durch Schroffheit und Spitzfindigkeit
nachmals als Parteihaupt der strengen Arianer eine sich und den Seinen ver¬
derbliche Wirksamkeit übte. Wie schon in der deutschen Mythologie die
Dreiheit der Götter eine große Rolle spielt, so glaubte Ulfilas nun an drei
gesonderte Gottheiten verschiedenen Wesens und Ranges, den Vater, Sohn
und heiligen Geist, nur daß er sie über die Schranken menschlichen Erkennens
und sinnlichen Wahrnehmens erhob. Ohne Rücksicht auf äußere Verhältnisse
und die Gunst des Kaiserhofs wurde er ein so eifriger Anhänger des Christen¬
thums in der von ihm für richtig erkannten Form, daß er sich zum Ueber¬
tritt in den geistlichen Stand entschloß. Er erhielt zunächst die kleine Weihe
eines Lectors, als welcher er das Vorlesen oder Vorsingen von Abschnitten
aus der heiligen Schrift während des Gottesdienstes besorgen mußte.

Wenn er auch in erster Linie seinen in Constantinopel lebenden Volks¬
genossen in diesem Amte diente, so brachte dasselbe doch durch Seelsorge und
Kirchenversammlungen den Umgang mit Angehörigen anderer Nationen und
durch die Beschäftigung mit der heiligen Schrift das Studium der griechischen
und lateinischen Sprache mit sich. Bald erreichte er darin eine solche Fertig¬
keit, daß er ebenso gut griechisch und lateinisch, als in heimischer Rede sich
zu unterhalten vermochte. Ohne Zweifel verschaffte ihm nicht nur seine
Stellung als ehemaliger Gesandter, seine angesehene Geburt und die Rück¬
sicht, welche man von Seiten der Regierung gegen das mächtige Gothenvolk
nahm, sondern auch der Reichthum des Geistes, den dieser merkwürdige Fremd¬
ling zu erkennen gab, Eingang und Gunst selbst bei der kaiserlichen Familie.
Auch jener Eusebius von Nikomedien wurde aus ihn aufmerksam und erkannte
in ihm ein ausgezeichnetes Werkzeug zur Förderung und Ausbreitung der
Kirche. Auf der arianischen Synode zu Antiochien 341, wo man wenigstens
in einem der 4 dort berathenen und beschlossenen Glaubensformeln alle Streit¬
fragen der Zeit vorsichtig umging, oder in einer anderen Versammlung von
hohen Würdenträgern der Kirche weihte er ihn daher in besonders feierlicher
Weise zum Bischof für das Gothenvolk.*)

Auffallend immerhin war dies Ereignis, denn selten geschah es, wenn
nicht besonders 'günstige Verhältnisse mitwirkten, daß ein Lector ohne die
Zwischenstufen eines Diakonen und Presbyters durchlaufen zu haben, die da-



") Er war nicht der erste Bischof der Gothen, Ein solcher mit Namen Theophilus unter¬
zeichnete schon die Acten des nicäischen Concils, Derselbe war aber sehr wahrscheinlich nur
Bischof der tetraxitischen Gothen der Krim.

ähnlich, wie Eusebius meinte, er ist als zweiter Gott ein Mittelwesen zwischen
dem ersten unendlichen und der endlichen Welt, unfaßbar, unnahbar, unsicht¬
bar, ein großes Geheimnis, also nichterkennbar, wie Eunomius lehrte, jener
beredte kampflustige Kappadocier, der durch Schroffheit und Spitzfindigkeit
nachmals als Parteihaupt der strengen Arianer eine sich und den Seinen ver¬
derbliche Wirksamkeit übte. Wie schon in der deutschen Mythologie die
Dreiheit der Götter eine große Rolle spielt, so glaubte Ulfilas nun an drei
gesonderte Gottheiten verschiedenen Wesens und Ranges, den Vater, Sohn
und heiligen Geist, nur daß er sie über die Schranken menschlichen Erkennens
und sinnlichen Wahrnehmens erhob. Ohne Rücksicht auf äußere Verhältnisse
und die Gunst des Kaiserhofs wurde er ein so eifriger Anhänger des Christen¬
thums in der von ihm für richtig erkannten Form, daß er sich zum Ueber¬
tritt in den geistlichen Stand entschloß. Er erhielt zunächst die kleine Weihe
eines Lectors, als welcher er das Vorlesen oder Vorsingen von Abschnitten
aus der heiligen Schrift während des Gottesdienstes besorgen mußte.

Wenn er auch in erster Linie seinen in Constantinopel lebenden Volks¬
genossen in diesem Amte diente, so brachte dasselbe doch durch Seelsorge und
Kirchenversammlungen den Umgang mit Angehörigen anderer Nationen und
durch die Beschäftigung mit der heiligen Schrift das Studium der griechischen
und lateinischen Sprache mit sich. Bald erreichte er darin eine solche Fertig¬
keit, daß er ebenso gut griechisch und lateinisch, als in heimischer Rede sich
zu unterhalten vermochte. Ohne Zweifel verschaffte ihm nicht nur seine
Stellung als ehemaliger Gesandter, seine angesehene Geburt und die Rück¬
sicht, welche man von Seiten der Regierung gegen das mächtige Gothenvolk
nahm, sondern auch der Reichthum des Geistes, den dieser merkwürdige Fremd¬
ling zu erkennen gab, Eingang und Gunst selbst bei der kaiserlichen Familie.
Auch jener Eusebius von Nikomedien wurde aus ihn aufmerksam und erkannte
in ihm ein ausgezeichnetes Werkzeug zur Förderung und Ausbreitung der
Kirche. Auf der arianischen Synode zu Antiochien 341, wo man wenigstens
in einem der 4 dort berathenen und beschlossenen Glaubensformeln alle Streit¬
fragen der Zeit vorsichtig umging, oder in einer anderen Versammlung von
hohen Würdenträgern der Kirche weihte er ihn daher in besonders feierlicher
Weise zum Bischof für das Gothenvolk.*)

Auffallend immerhin war dies Ereignis, denn selten geschah es, wenn
nicht besonders 'günstige Verhältnisse mitwirkten, daß ein Lector ohne die
Zwischenstufen eines Diakonen und Presbyters durchlaufen zu haben, die da-



") Er war nicht der erste Bischof der Gothen, Ein solcher mit Namen Theophilus unter¬
zeichnete schon die Acten des nicäischen Concils, Derselbe war aber sehr wahrscheinlich nur
Bischof der tetraxitischen Gothen der Krim.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/10>, abgerufen am 26.06.2024.