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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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die Centralisation lähmenden Selbständigkeit und Particularisation. Oder,
wenn die Mittelinstanz durchgreifend gehandhabt wird, bilden sich Staaten
im Staate.

Wie verhält sich nun die jetzt projectirte Provinzialordnung zu den Er¬
fordernissen einer guten Verwaltungseinrichtung? Um die Bestandtheile des
neuen Organisationsplanes zu verstehen, hat man Folgendes ins Auge zu
fassen. Die bisherigen Provinzialverbände besaßen eine Anzahl gemeinschaft¬
licher Anstalten, Strafanstalten, Irrenanstalten u. f. w., welche von den Pro-
vinzialbchörden verwaltet wurden. Diese Verwaltung will die Centralver-
waltung an neue Organe der sogenannten Selbstverwaltung abtreten,
und für diesen Zweck den neuen Organen regelmäßige Einnahmen anweisen.
Das in Vorschlag kommende Organ der Selbstverwaltung ist der von einer
Provinzialversammlung, einem durch die Kreistage gewählten Wahlköiper, zu
ernennende Provinztal-Ausschuß. Letzterer soll aber nur die Oberaufsicht
führen. Die eigentliche Verwaltung führt ein sogenannter Landesdirektor mit
einem untergebenen Beamtenpersonal. Durch die Anstellung dieses gesammten
Personals will man der provinziellen Selbstverwaltung das Vergnügen der
sogenannten Patronage verschaffen. Ein höchst unzweckmäßiges, ersahrungs-
mäszig jederzeit von den schlechtesten Folgen nach allen Seiten begleitetes Ver¬
gnügen. Die Größe des preußischen Staats beruht ganz wesentlich darauf,
daß alle öffentlichen Funktionäre des Königs Rock trugen und sich als des
Staates Diener fühlten. Das Bewußtsein, irgend einem Patron zu dienen,
schwächt den Staatssinn. Mit Mühe und Gewalt haben die Hohenzollern
seit Friedrich Wilhelm I. uns aus dem Elend der Privat-wirthschaft heraus¬
gerissen, worüber Schmoller's vortreffliche historische Untersuchungen nachzu¬
lesen. Kaum sind wir auf dieser mit unsäglicher Arbeit geschaffenen Basis
zu Etwas geworden, so stürzen wir uns kopfüber in den alten Mißbrauch.
Der ewige Zug zum Privatwesen ist die deutsche Erbsünde.

Immerhin ist dies nur der erste Schritt auf einem schlechten Weg. Fassen
wir das Verhältniß der betrachteten Einrichtung zur Mittelinstanz ins Auge,
so haben wir zunächst nur ein coordinirtes Glied derselben mehr. Wenn das
Alles wäre, so wäre es zwar nicht gut. aber auch nicht übermäßig gefährlich.
Nun soll aber der Provinzial-Ausschuß als Organ der Selbstverwaltung an
die Seite der Mittelinstanz treten. Nicht blos für die Oekonomie gewisser
Anstalten, sondern auch für die Handhabung der allgemeinen Verwaltungs-
functivnen, und da wir eine doppelte Mittelinstanz haben, deren Doppelheit
noch nicht beseitigt werden soll, so tritt der Provinzial-Ausschuß als Theil¬
körper neben die Regierungen, als Gesammtkörper neben die Provinzialbehvr-
den. Neben den Regierungen und Bezirks-Ausschüssen werden aber noch
Verwaltungsgerichte gebildet,, und die Provinzialversammlung erhält auch noch


die Centralisation lähmenden Selbständigkeit und Particularisation. Oder,
wenn die Mittelinstanz durchgreifend gehandhabt wird, bilden sich Staaten
im Staate.

Wie verhält sich nun die jetzt projectirte Provinzialordnung zu den Er¬
fordernissen einer guten Verwaltungseinrichtung? Um die Bestandtheile des
neuen Organisationsplanes zu verstehen, hat man Folgendes ins Auge zu
fassen. Die bisherigen Provinzialverbände besaßen eine Anzahl gemeinschaft¬
licher Anstalten, Strafanstalten, Irrenanstalten u. f. w., welche von den Pro-
vinzialbchörden verwaltet wurden. Diese Verwaltung will die Centralver-
waltung an neue Organe der sogenannten Selbstverwaltung abtreten,
und für diesen Zweck den neuen Organen regelmäßige Einnahmen anweisen.
Das in Vorschlag kommende Organ der Selbstverwaltung ist der von einer
Provinzialversammlung, einem durch die Kreistage gewählten Wahlköiper, zu
ernennende Provinztal-Ausschuß. Letzterer soll aber nur die Oberaufsicht
führen. Die eigentliche Verwaltung führt ein sogenannter Landesdirektor mit
einem untergebenen Beamtenpersonal. Durch die Anstellung dieses gesammten
Personals will man der provinziellen Selbstverwaltung das Vergnügen der
sogenannten Patronage verschaffen. Ein höchst unzweckmäßiges, ersahrungs-
mäszig jederzeit von den schlechtesten Folgen nach allen Seiten begleitetes Ver¬
gnügen. Die Größe des preußischen Staats beruht ganz wesentlich darauf,
daß alle öffentlichen Funktionäre des Königs Rock trugen und sich als des
Staates Diener fühlten. Das Bewußtsein, irgend einem Patron zu dienen,
schwächt den Staatssinn. Mit Mühe und Gewalt haben die Hohenzollern
seit Friedrich Wilhelm I. uns aus dem Elend der Privat-wirthschaft heraus¬
gerissen, worüber Schmoller's vortreffliche historische Untersuchungen nachzu¬
lesen. Kaum sind wir auf dieser mit unsäglicher Arbeit geschaffenen Basis
zu Etwas geworden, so stürzen wir uns kopfüber in den alten Mißbrauch.
Der ewige Zug zum Privatwesen ist die deutsche Erbsünde.

Immerhin ist dies nur der erste Schritt auf einem schlechten Weg. Fassen
wir das Verhältniß der betrachteten Einrichtung zur Mittelinstanz ins Auge,
so haben wir zunächst nur ein coordinirtes Glied derselben mehr. Wenn das
Alles wäre, so wäre es zwar nicht gut. aber auch nicht übermäßig gefährlich.
Nun soll aber der Provinzial-Ausschuß als Organ der Selbstverwaltung an
die Seite der Mittelinstanz treten. Nicht blos für die Oekonomie gewisser
Anstalten, sondern auch für die Handhabung der allgemeinen Verwaltungs-
functivnen, und da wir eine doppelte Mittelinstanz haben, deren Doppelheit
noch nicht beseitigt werden soll, so tritt der Provinzial-Ausschuß als Theil¬
körper neben die Regierungen, als Gesammtkörper neben die Provinzialbehvr-
den. Neben den Regierungen und Bezirks-Ausschüssen werden aber noch
Verwaltungsgerichte gebildet,, und die Provinzialversammlung erhält auch noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/81>, abgerufen am 06.02.2025.