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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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es ist." Der Weinhändler in Schlettstadt hielt sich immer fein und bedächtig
im Hintergrunde und verkehrte mit seinen Kunden nur per Brief oder Factura.

Das hätte man unzweifelhaft so auch noch einige Jährchen weiter¬
getrieben, wenn sich nicht am Ende vorigen Jahres das "xar nodils kratrum"
unserer Weinfabrikanten selbst entzweit hätte. Das Haar in der Suppe
waren geschäftliche Differenzen zwischen dem Weinkaufmann und seinem
Associe in gpg, dem Küfer. Letzterer wollte einmal die Bücher einsehen und
seine Prozente am Gewinn des Weinhandels berechnen. Als ihm dies von
seinem Prinzipal verweigert wurde, lud er denselben durch Gerichtsvollzieher-
Akt vor einen Notar in Schlettstadt zur Regulirung ihrer geschäftlichen Be¬
ziehungen; und als auch das nichts verschlug, vor das Colmarer Handels¬
gericht. Dieses übergab zunächst die Sache einem Schiedsrichter, -- es handelte
sich um eine Bagatelle von etlichen 1000 Franken, -- der versuchen sollte,
die streitenden Parteien zu vereinigen und im Weigerungsfalle Bericht darüber
zu erstatten. Da von dem Erstern keine Rede war. so erfolgte jener Bericht,
welcher dem Gerichte einen klaren Einblick in das geschäftliche Thun und
Treiben der modernen Weinfabrikanten thun ließ und dem im Wesentlichen
die obigen Angaben entnommen sind. Nichtsdestoweniger verurtheilte das
Handelstribunal den Weinhändler zu der von seinem Küfer eingeklagten
Summe. Ersterer appellirte und erhob gleichzeitig eine Reconventionsklage
gegen den Kläger, so daß sich nunmehr der Appellrichter an tora mit der
ganzen Sache zu befassen hatte. Am 11. Februar d. I. wurde-" das Urtheil
gefällt, aus dessen höchst interessanten Entscheidungsgründen die folgenden
hervorgehoben zu werden verdienen:

"In Erwägung, daß zwar die Meinung ihre Vertreter finden mag, daß
nicht schon jede Alteration des Naturweins (Chaptalisiren, Gallisiren) ver¬
werflich sei; daß aber auch diese Auffassung immerhin von der Voraussetzung
ausgehen würde, daß unter allen Umständen wirklicher Naturwein den
weit überwiegenden Bestandtheil des Getränkes ausmachen müsse; daß da¬
gegen im vorliegenden Falle, wo nach obigen Feststellungen gerade im Gegen¬
theil der minimale Zusatz von Naturwein nur einen rein äußerlichen Eindruck
bezüglich des Ansehns und Geschmacks bezweckte, es keinem Zweifel unterliegen
kann, daß man es hier nicht mit einem an sich geringen, durch Zusatz ver¬
käuflicher gemachten, sondern mit gar keinem Wein, vielmehr mit einem
fälschlich unter diesem Namen in den Handel gebrachten Fabrikate zu thun hat;

I. E. daß hiernach die Geschäftsverbindung der Parteien,
auf Verfälschung, Täuschung und wahrscheinlich auch De-
fraude gegründet, als ein unsittliches, allen Grundsätzen
eines ehrenhaften kaufmännischen Verkehres zuwiderlaufen¬
des, gemeinschädliches Treiben erscheint, das um so entschiedener


Grenjboten II. 1875. . 10

es ist." Der Weinhändler in Schlettstadt hielt sich immer fein und bedächtig
im Hintergrunde und verkehrte mit seinen Kunden nur per Brief oder Factura.

Das hätte man unzweifelhaft so auch noch einige Jährchen weiter¬
getrieben, wenn sich nicht am Ende vorigen Jahres das „xar nodils kratrum"
unserer Weinfabrikanten selbst entzweit hätte. Das Haar in der Suppe
waren geschäftliche Differenzen zwischen dem Weinkaufmann und seinem
Associe in gpg, dem Küfer. Letzterer wollte einmal die Bücher einsehen und
seine Prozente am Gewinn des Weinhandels berechnen. Als ihm dies von
seinem Prinzipal verweigert wurde, lud er denselben durch Gerichtsvollzieher-
Akt vor einen Notar in Schlettstadt zur Regulirung ihrer geschäftlichen Be¬
ziehungen; und als auch das nichts verschlug, vor das Colmarer Handels¬
gericht. Dieses übergab zunächst die Sache einem Schiedsrichter, — es handelte
sich um eine Bagatelle von etlichen 1000 Franken, — der versuchen sollte,
die streitenden Parteien zu vereinigen und im Weigerungsfalle Bericht darüber
zu erstatten. Da von dem Erstern keine Rede war. so erfolgte jener Bericht,
welcher dem Gerichte einen klaren Einblick in das geschäftliche Thun und
Treiben der modernen Weinfabrikanten thun ließ und dem im Wesentlichen
die obigen Angaben entnommen sind. Nichtsdestoweniger verurtheilte das
Handelstribunal den Weinhändler zu der von seinem Küfer eingeklagten
Summe. Ersterer appellirte und erhob gleichzeitig eine Reconventionsklage
gegen den Kläger, so daß sich nunmehr der Appellrichter an tora mit der
ganzen Sache zu befassen hatte. Am 11. Februar d. I. wurde-« das Urtheil
gefällt, aus dessen höchst interessanten Entscheidungsgründen die folgenden
hervorgehoben zu werden verdienen:

„In Erwägung, daß zwar die Meinung ihre Vertreter finden mag, daß
nicht schon jede Alteration des Naturweins (Chaptalisiren, Gallisiren) ver¬
werflich sei; daß aber auch diese Auffassung immerhin von der Voraussetzung
ausgehen würde, daß unter allen Umständen wirklicher Naturwein den
weit überwiegenden Bestandtheil des Getränkes ausmachen müsse; daß da¬
gegen im vorliegenden Falle, wo nach obigen Feststellungen gerade im Gegen¬
theil der minimale Zusatz von Naturwein nur einen rein äußerlichen Eindruck
bezüglich des Ansehns und Geschmacks bezweckte, es keinem Zweifel unterliegen
kann, daß man es hier nicht mit einem an sich geringen, durch Zusatz ver¬
käuflicher gemachten, sondern mit gar keinem Wein, vielmehr mit einem
fälschlich unter diesem Namen in den Handel gebrachten Fabrikate zu thun hat;

I. E. daß hiernach die Geschäftsverbindung der Parteien,
auf Verfälschung, Täuschung und wahrscheinlich auch De-
fraude gegründet, als ein unsittliches, allen Grundsätzen
eines ehrenhaften kaufmännischen Verkehres zuwiderlaufen¬
des, gemeinschädliches Treiben erscheint, das um so entschiedener


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/77>, abgerufen am 06.02.2025.