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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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bei welcher sich die Parteien, wie man studentisch das ausdrücken würde, "selbst
in die Tinte geritten haben", bis zu ihrem jetzigen Stande mitzutheilen.

Ein Wirth und Weinhändler in Schlettstadt und dessen Küfer hatten das
einträgliche Geschäft des Weinmachens schon seit dem Jahre 1872 mit einem
bedeutenden Warenumschläge "zum Besten ihrer Mitbürger während der
schlechten Weinjahre", wie sie meinten, als eine Art Compagnie-Geschäft be¬
trieben. Der Weinhändler gab die Firma und das Renomee dazu her, der
Küfer spielte den Repräsentanten und Vermittler. Ihre Kunden bezogen die
famosen Herren Weinfabrikanten hauptsächlich aus der Klasse der kleinen
Wirthe und Gewerbetreibenden in der Umgebung von Schlettstadt und den
Nachbar-Cantonen. Das Geschäft ging namentlich in den beiden letztver¬
flossenen Jahren so brillant, daß sie hoffen konnten, es in Bälde in größerm
Maßstabe, vielleicht über das ganze Elsaß und noch weiter ausdehnen zu
können. --

Dieses saubere Gebräu, welches man den Kunden als "Wein" und zwar
1872 er oder 73 er Gewächs präsentirte, das die Herren aber "entre nous"
und vor Gericht mit dem charakteristischen Namen "Berliner Wein" bezeich¬
neten, bestand wesentlich aus folgenden Ingredienzien. Das Hauptquantum
bildete ein meist mit Gelatine besonders präparirtes Brunnenwasser mit einem
Zusatz von Sprit (Alkohol) und Glycose (Traubenzucker) nebst einer geringen
Quantität von Naturwein loin an alni aus der Gegend von Marseille, Bor¬
deaux, Avignon u. s. w.). Durch die letztere Beimischung erhielt das Getränk
wenigstens im Anfange das Ansehen und den Geschmack von echtem Wein.
Wurde es aber nicht sofort verzapft und consumirt, so erhielt es in ca. 2 -- 3
Wochen einen stechenden, halbfaulem Geschmack, der den Consumenten Leib¬
schneiden und Uebelkeit verursachte und es schließlich gar nicht mehr genießbar
machte. Der Preis dafür per Ohm schwankte zwischen 22 -- 24, oder per
Hektoliter zwischen 48--60 Franken, je nach dem höhern oder geringern Gehalt
von vin An miäi und der Gutmüthigkeit der Käufer; während in jenen schlech¬
ten Weinjahren für die geringste Sorte Elsässer Tischwein mindestens 27 und
28 Franken per Ohm bezahlt werden mußte.

Das Geschäft ging, wie gesagt, äußerst brillant. Der Küfer machte den
Commissionair und Commis-voyageur ganz vortrefflich, besorgte jenseits des
Rheines und in Straßburg die Spriteinkäufe en gros und verkaufte im El¬
saß den herrlichen "Berliner Wein" an die ahnungslosen Wirthe und Krämer
zu billigen Preisen. Wenn ihm einmal der Eine oder Andere klagte, daß
seine Gäste sich nach und nach verlören, und daß daran der Wein schuld sein
dürfte, so brauchte er gewöhnlich die Ausrede: "Ja, du lieber Gott! Ich sitz'
ja nicht drin in dem Wein! Ich mache ihn ja nicht. Das Weinjahr ist
schlecht, die Trauben nicht gerathen; und was wächst, muß man nehmen, wie


bei welcher sich die Parteien, wie man studentisch das ausdrücken würde, „selbst
in die Tinte geritten haben", bis zu ihrem jetzigen Stande mitzutheilen.

Ein Wirth und Weinhändler in Schlettstadt und dessen Küfer hatten das
einträgliche Geschäft des Weinmachens schon seit dem Jahre 1872 mit einem
bedeutenden Warenumschläge „zum Besten ihrer Mitbürger während der
schlechten Weinjahre", wie sie meinten, als eine Art Compagnie-Geschäft be¬
trieben. Der Weinhändler gab die Firma und das Renomee dazu her, der
Küfer spielte den Repräsentanten und Vermittler. Ihre Kunden bezogen die
famosen Herren Weinfabrikanten hauptsächlich aus der Klasse der kleinen
Wirthe und Gewerbetreibenden in der Umgebung von Schlettstadt und den
Nachbar-Cantonen. Das Geschäft ging namentlich in den beiden letztver¬
flossenen Jahren so brillant, daß sie hoffen konnten, es in Bälde in größerm
Maßstabe, vielleicht über das ganze Elsaß und noch weiter ausdehnen zu
können. —

Dieses saubere Gebräu, welches man den Kunden als „Wein" und zwar
1872 er oder 73 er Gewächs präsentirte, das die Herren aber „entre nous"
und vor Gericht mit dem charakteristischen Namen „Berliner Wein" bezeich¬
neten, bestand wesentlich aus folgenden Ingredienzien. Das Hauptquantum
bildete ein meist mit Gelatine besonders präparirtes Brunnenwasser mit einem
Zusatz von Sprit (Alkohol) und Glycose (Traubenzucker) nebst einer geringen
Quantität von Naturwein loin an alni aus der Gegend von Marseille, Bor¬
deaux, Avignon u. s. w.). Durch die letztere Beimischung erhielt das Getränk
wenigstens im Anfange das Ansehen und den Geschmack von echtem Wein.
Wurde es aber nicht sofort verzapft und consumirt, so erhielt es in ca. 2 — 3
Wochen einen stechenden, halbfaulem Geschmack, der den Consumenten Leib¬
schneiden und Uebelkeit verursachte und es schließlich gar nicht mehr genießbar
machte. Der Preis dafür per Ohm schwankte zwischen 22 — 24, oder per
Hektoliter zwischen 48—60 Franken, je nach dem höhern oder geringern Gehalt
von vin An miäi und der Gutmüthigkeit der Käufer; während in jenen schlech¬
ten Weinjahren für die geringste Sorte Elsässer Tischwein mindestens 27 und
28 Franken per Ohm bezahlt werden mußte.

Das Geschäft ging, wie gesagt, äußerst brillant. Der Küfer machte den
Commissionair und Commis-voyageur ganz vortrefflich, besorgte jenseits des
Rheines und in Straßburg die Spriteinkäufe en gros und verkaufte im El¬
saß den herrlichen „Berliner Wein" an die ahnungslosen Wirthe und Krämer
zu billigen Preisen. Wenn ihm einmal der Eine oder Andere klagte, daß
seine Gäste sich nach und nach verlören, und daß daran der Wein schuld sein
dürfte, so brauchte er gewöhnlich die Ausrede: „Ja, du lieber Gott! Ich sitz'
ja nicht drin in dem Wein! Ich mache ihn ja nicht. Das Weinjahr ist
schlecht, die Trauben nicht gerathen; und was wächst, muß man nehmen, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/76>, abgerufen am 05.02.2025.