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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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besehenen Sachsens heimisch waren, in die preußische Armee übergehn, die
übrigen aber den Kern eines neu aufzustellenden sächsischen Heeres bilden
sollten. -- An die Ausführung dieser Maßregel knüpfte sich der bekannte
Aufstand der sächsischen Truppen, in Folge dessen dieselben am Feldzuge von
1815 nicht Theil nahmen, sondern über den Rhein zurückgeschickt wurden.

Gegen Ende April stand die preußische Armee mit drei noch unvollstän¬
digen Corps in Ausdehnung von etwa 24 Meilen von Trier bis Charleroi
auseinandergezogen, während die Armee Wellingtons, von Charleroi bis
Nieuport zu beiden Seiten der Scheide 20 Meilen lang, sich an die preu¬
ßische Linie anschloß. Lord Wellington verfügte jetzt über ungefähr 25,000 M.
guter englischer und hannoverscher Truppen sowie über 20,000 Holländer und
Belgier. Außerdem lagen an 14,000 M. als Besatzungen in den belgischen
Festungen.

Es läßt sich nicht verkennen, daß die Ausdehnung dieser nicht eben star¬
ken Truppenmacht auf eine Linie von 44 Meilen gewagt erscheint; sie ist
aber erklärt durch die Nothwendigkeit, einerseits mit dem preußischen Heere
die Maas festzuhalten, andererseits die englische Armee auf das Meer zu basiren.

Am 19. April war Blücher in Lüttich eingetroffen. Der greise Held,
den die Verhandlungen zu Wien so tief verstimmt hatten, daß er seinen Ab¬
schied eingereicht, war bei der Nachricht von Napoleons Rückkehr in die
jubelnden Worte ausgebrochen: "Das ist das größte Glück, welches Preußen
begegnen konnte. . . Nun wird die Armee alle in Wien begangenen Fehler
wieder gut machen!" -- Bon dieser Hoffnung erfüllt, athmete er neuen Lebens¬
muth. Er war wieder ganz der schneidig-frische Husarengeneral, von dem der
alte Arndt gesungen:


O schauet, wie ihm leuchten die Augen so klar!
O schauet, wie ihm wallet sein schneeweißes Haar!
So frisch blüht sein Alter'wie greifender Wein,
Drum kann er auch Verwalter des Schlachtfeldes sein.

Gu eisenau hielt dem Feldmarschall Vortrag über den Op eratio use u to urf,
den er bereits zu Anfang des April dem Könige hatte vorlegen lassen. Gneisenau
rechnete auf die Aufstellung von vier selbständigen Armeen: Die erste
in Belgien (Preußen, Briten und deren Hilfstruppen) die zweite am Mittel¬
rhein (Baiern, Württemberger und deutsche Kontingente) die dritte am
Oberrhein, (Oesterreicher). Die vierte Armee sollten die am weitesten ent¬
fernten Russen am Mittelrheine bilden, um als Reserve zu dienen. -- Die
drei ersten Armeen sollten sämmtlich unmittelbar auf Paris losgehn.
Was auch einem der Nachbarheere geschehn möge, ob es geschlagen werde
oder nicht; jeder Oberbefehlshaber müsse unbeirrt seinen Weg fortsetzen, indem
er hinter sich nur mobile Detachements zurücklasse, bestimmt, die festen Plätze


besehenen Sachsens heimisch waren, in die preußische Armee übergehn, die
übrigen aber den Kern eines neu aufzustellenden sächsischen Heeres bilden
sollten. — An die Ausführung dieser Maßregel knüpfte sich der bekannte
Aufstand der sächsischen Truppen, in Folge dessen dieselben am Feldzuge von
1815 nicht Theil nahmen, sondern über den Rhein zurückgeschickt wurden.

Gegen Ende April stand die preußische Armee mit drei noch unvollstän¬
digen Corps in Ausdehnung von etwa 24 Meilen von Trier bis Charleroi
auseinandergezogen, während die Armee Wellingtons, von Charleroi bis
Nieuport zu beiden Seiten der Scheide 20 Meilen lang, sich an die preu¬
ßische Linie anschloß. Lord Wellington verfügte jetzt über ungefähr 25,000 M.
guter englischer und hannoverscher Truppen sowie über 20,000 Holländer und
Belgier. Außerdem lagen an 14,000 M. als Besatzungen in den belgischen
Festungen.

Es läßt sich nicht verkennen, daß die Ausdehnung dieser nicht eben star¬
ken Truppenmacht auf eine Linie von 44 Meilen gewagt erscheint; sie ist
aber erklärt durch die Nothwendigkeit, einerseits mit dem preußischen Heere
die Maas festzuhalten, andererseits die englische Armee auf das Meer zu basiren.

Am 19. April war Blücher in Lüttich eingetroffen. Der greise Held,
den die Verhandlungen zu Wien so tief verstimmt hatten, daß er seinen Ab¬
schied eingereicht, war bei der Nachricht von Napoleons Rückkehr in die
jubelnden Worte ausgebrochen: „Das ist das größte Glück, welches Preußen
begegnen konnte. . . Nun wird die Armee alle in Wien begangenen Fehler
wieder gut machen!" — Bon dieser Hoffnung erfüllt, athmete er neuen Lebens¬
muth. Er war wieder ganz der schneidig-frische Husarengeneral, von dem der
alte Arndt gesungen:


O schauet, wie ihm leuchten die Augen so klar!
O schauet, wie ihm wallet sein schneeweißes Haar!
So frisch blüht sein Alter'wie greifender Wein,
Drum kann er auch Verwalter des Schlachtfeldes sein.

Gu eisenau hielt dem Feldmarschall Vortrag über den Op eratio use u to urf,
den er bereits zu Anfang des April dem Könige hatte vorlegen lassen. Gneisenau
rechnete auf die Aufstellung von vier selbständigen Armeen: Die erste
in Belgien (Preußen, Briten und deren Hilfstruppen) die zweite am Mittel¬
rhein (Baiern, Württemberger und deutsche Kontingente) die dritte am
Oberrhein, (Oesterreicher). Die vierte Armee sollten die am weitesten ent¬
fernten Russen am Mittelrheine bilden, um als Reserve zu dienen. — Die
drei ersten Armeen sollten sämmtlich unmittelbar auf Paris losgehn.
Was auch einem der Nachbarheere geschehn möge, ob es geschlagen werde
oder nicht; jeder Oberbefehlshaber müsse unbeirrt seinen Weg fortsetzen, indem
er hinter sich nur mobile Detachements zurücklasse, bestimmt, die festen Plätze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/448>, abgerufen am 06.02.2025.