Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.nationalen Tendenzen gehuldigt, oder das Gegentheil; sondern nach der Eine weitere Eigenthümlichkeit dieser kulturhistorischen Behandlung Nach dieser kulturhistorischen Methode haben gearbeitet (nachdem Schlosser Nach welcher von den beiden oben charakteristrten Methoden soll nun die nationalen Tendenzen gehuldigt, oder das Gegentheil; sondern nach der Eine weitere Eigenthümlichkeit dieser kulturhistorischen Behandlung Nach dieser kulturhistorischen Methode haben gearbeitet (nachdem Schlosser Nach welcher von den beiden oben charakteristrten Methoden soll nun die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133688"/> <p xml:id="ID_1276" prev="#ID_1275"> nationalen Tendenzen gehuldigt, oder das Gegentheil; sondern nach der<lb/> ganzen Lebensanschauung, innerhalb deren ein Jeder sich entwickelt und<lb/> gedichtet, und die jeder seinerseits wieder seiner Zeit und seinem Volke aus¬<lb/> geprägt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1277"> Eine weitere Eigenthümlichkeit dieser kulturhistorischen Behandlung<lb/> der Literaturgeschichte — keine zufällige oder willkürliche, sondern eine in<lb/> ihrem Wesen selbst wurzelnde — ist die, daß sie unter Literatur nicht blos<lb/> die sogenannte schöne Literatur begreift, d. h. die Schöpfungen der frei¬<lb/> schaffenden Phantasie, sondern auch andre Richtungen des, geistigen Lebens<lb/> einer Zeit, so weit dieselben dazu dienen und nöthig sind, um ein Gesammt-<lb/> bild dieses Lebens im Gesammtbild der eine Zeit bewegenden und beherrschen¬<lb/> den Ideen zu Stande zu bringen. Dafür hat Goethe bereits in „Dichtung<lb/> und Wahrheit" aus seinem Leben, (insbesondre im siebenten Buche) ein nach¬<lb/> ahmungswerthes Beispiel geliefert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1278"> Nach dieser kulturhistorischen Methode haben gearbeitet (nachdem Schlosser<lb/> dazu, jedoch noch mehr von einem einseitig äußerlichen Standpunkte aus den<lb/> Anstoß gegeben) Gervinus in seinem großen Werke „Geschichte der deutschen<lb/> Dichtung", jedoch in der Hauptsache mit Beschränkung auf das eigentlich<lb/> Poetische, in breiteren Anlagen Julian Schmidt in feiner „Geschichte der deutschen<lb/> Literatur seit Lessings Tod", Hettner in seiner „Literaturgeschichte des l.8. Jahr¬<lb/> hunderts", der zugleich durch Nebeneinanderstellung der deutschen, englischen und<lb/> französischen Literatur die so wichtige Methode der vergleichenden Literatur¬<lb/> geschichte cultivirte, Biedermairn in dem literargeschichtlichen Abschnitte seines<lb/> kulturgeschichtlichen Werkes „Deutschland im 18. Jahrhundert", mehr mono¬<lb/> graphisch Heym in seinem „Hegel und seine Zeit", seinem „Wilhelm von Hum¬<lb/> boldt" und neuerdings in seiner „Romantischen Schule. Beitrag zur Geschichte<lb/> des deutschen Geistes." Koberstein in seinem „Grundriß der Geschichte der<lb/> deutschen Nationalliteratur" vereinigte möglichst beide Gesichtspunkte, den<lb/> philologischen und den kulturhistorischen, obschon jener nach dem Zwecke seiner<lb/> Arbeit darin vorherrscht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1279" next="#ID_1280"> Nach welcher von den beiden oben charakteristrten Methoden soll nun die<lb/> Geschichte unsrer modernen, also vorzugsweise unsrer großen klassischen Litera¬<lb/> tur auf Universitäten vorgetragen werden? Unstreitig nach beiden in organischer<lb/> Verbindung, jedoch so, daß die kulturhistorische dabei die maßgebende, weg'<lb/> zeigende, die philologische nur die unterstützende, an die Hand gehende sei.<lb/> Als Zweck akademischer Vorträge über die deutsche Literatur der Neuzeit<lb/> (also von der Reformation an) hat man sich doch wohl einen doppelten zu<lb/> denken. Das Gros der Zuhörer soll und will daraus eine anschauliche<lb/> Kenntniß der vaterländischen Literaturgeschichte, Anregung und Andeutung<lb/> zum eignen Studium der Geisteswerke unsrer Dichter und Denker schöpfen ^</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
nationalen Tendenzen gehuldigt, oder das Gegentheil; sondern nach der
ganzen Lebensanschauung, innerhalb deren ein Jeder sich entwickelt und
gedichtet, und die jeder seinerseits wieder seiner Zeit und seinem Volke aus¬
geprägt hat.
Eine weitere Eigenthümlichkeit dieser kulturhistorischen Behandlung
der Literaturgeschichte — keine zufällige oder willkürliche, sondern eine in
ihrem Wesen selbst wurzelnde — ist die, daß sie unter Literatur nicht blos
die sogenannte schöne Literatur begreift, d. h. die Schöpfungen der frei¬
schaffenden Phantasie, sondern auch andre Richtungen des, geistigen Lebens
einer Zeit, so weit dieselben dazu dienen und nöthig sind, um ein Gesammt-
bild dieses Lebens im Gesammtbild der eine Zeit bewegenden und beherrschen¬
den Ideen zu Stande zu bringen. Dafür hat Goethe bereits in „Dichtung
und Wahrheit" aus seinem Leben, (insbesondre im siebenten Buche) ein nach¬
ahmungswerthes Beispiel geliefert.
Nach dieser kulturhistorischen Methode haben gearbeitet (nachdem Schlosser
dazu, jedoch noch mehr von einem einseitig äußerlichen Standpunkte aus den
Anstoß gegeben) Gervinus in seinem großen Werke „Geschichte der deutschen
Dichtung", jedoch in der Hauptsache mit Beschränkung auf das eigentlich
Poetische, in breiteren Anlagen Julian Schmidt in feiner „Geschichte der deutschen
Literatur seit Lessings Tod", Hettner in seiner „Literaturgeschichte des l.8. Jahr¬
hunderts", der zugleich durch Nebeneinanderstellung der deutschen, englischen und
französischen Literatur die so wichtige Methode der vergleichenden Literatur¬
geschichte cultivirte, Biedermairn in dem literargeschichtlichen Abschnitte seines
kulturgeschichtlichen Werkes „Deutschland im 18. Jahrhundert", mehr mono¬
graphisch Heym in seinem „Hegel und seine Zeit", seinem „Wilhelm von Hum¬
boldt" und neuerdings in seiner „Romantischen Schule. Beitrag zur Geschichte
des deutschen Geistes." Koberstein in seinem „Grundriß der Geschichte der
deutschen Nationalliteratur" vereinigte möglichst beide Gesichtspunkte, den
philologischen und den kulturhistorischen, obschon jener nach dem Zwecke seiner
Arbeit darin vorherrscht.
Nach welcher von den beiden oben charakteristrten Methoden soll nun die
Geschichte unsrer modernen, also vorzugsweise unsrer großen klassischen Litera¬
tur auf Universitäten vorgetragen werden? Unstreitig nach beiden in organischer
Verbindung, jedoch so, daß die kulturhistorische dabei die maßgebende, weg'
zeigende, die philologische nur die unterstützende, an die Hand gehende sei.
Als Zweck akademischer Vorträge über die deutsche Literatur der Neuzeit
(also von der Reformation an) hat man sich doch wohl einen doppelten zu
denken. Das Gros der Zuhörer soll und will daraus eine anschauliche
Kenntniß der vaterländischen Literaturgeschichte, Anregung und Andeutung
zum eignen Studium der Geisteswerke unsrer Dichter und Denker schöpfen ^
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