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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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etwas von Belang entgangen sein wird, ist selbstverständlich. Das Wenige,
was nach der Vollendung des Buches noch erschienen ist, wie Krieges Ver¬
öffentlichungen über Goethe's Thätigkeit als Rechtsanwalt in Frankfurt,
die von Urlichs herausgegebenen Briefe an Johanna Fahlmer, die Mitthei¬
lungen von Beaulieu - Marconnay über Goethe's Anstellung in Weimar,
Düntzer's Buch über Charlotte von Stein, würde vielleicht, wenn es noch hätte
benutzt werden können, auf die oder jene Partie ein Streiflicht mehr ge¬
worfen haben, kommt aber der unbegrenzten Fülle des Benutzten gegenübel
kaum in Betracht. Selten haben wir bei einer biographischen Darstellung
so sehr das Gefühl gehabt wie hier, daß der Verfasser aus dem Vollen schöpft,
daß das, was er spendet, nur die reiflich erwogene Quintessenz aus cinco
Zehnfach so reichen dahinterstehenden Stoffe ist.

Ueber die äußeren Lebensschicksale des Dichters berichtet Goedeke in ge¬
drängter Kürze. Von einem sogenannten "culturgeschichtlichen Hintergrunde"
ist nirgends etwas zu bemerken. Alles bewegt sich um die Hauptgestalt, alles
bezieht sich auf sie und drängt ihr zu. Eine unabsehbare Reihe von Ge¬
stalten tritt nach und nach in den Nahmen der Darstellung; dem einzelne"
kann da nicht viel Raum gewidmet werden, und doch weiß Goedeke für alle,
auch für die unbedeutenderen zu interessiren. Ein einziger Zug aus ihrer
Handlungsweise, eine einzige Aeußerung ihres Mundes, ein einziges
treffendes Epitheton -- und sie stehen leibhaftig vor uns. In der Besprechung
der Dichterwerke Goethe's beschränkt sich Goedeke meist darauf, mit wenige"
Worten die Geschichte ihrer Entstehung zu erzählen, ihre Quellen anzugeben
und ihre Beziehungen zum Leben des Dichters anzudeuten. Nur bei de"
weniger bekannten, bei denen, deren Leserkreis heutzutage kleiner und kleiner
wird, gibt er auch eine Analyse des Inhalts. Die Vorzüge und Schwäche"
der Dichtung werden nicht eben tiefgehend, aber nach unserem Dafürhalte"
meistens richtig erörtert. Getreu dem im Vorworte ausgesprochenen Grund'
Satze "den Dichter zu seinen Studien und Leistungen im engsten Verhältniß
zu zeigen, ohne viel außerhalb des Stoffes sich zu ergehen", sucht Goedeke,
wo es irgend möglich ist, des Dichters eigne Meinungen über seine Werke
mitzutheilen. Im übrigen beschränkt er sich auf beachtenswerthe Urtheil
Goethe'scher Zeitgenossen. Ansichten moderner Literarhistoriker oder Aesthetik
werden nirgends eingeflochten; von ästhetisirender Salbaderei findet sich kei>^
Spur. Was Goedeke gelegentlich seiner Besprechung der "Wahlverwand"
schaften" äußert, daß es nicht seine Absicht sei, "die Reihe der Scholiafte"
oder Scholastiker" zu verlängern, das tritt bei all diesen Erörterungen hero^'
Und doch fällt bisweilen in zwei Worten ein neues Licht auf allbekann ^
Dinge, wird im Vorübergehen und ohne viel Aufhebens davon zu machen, el>^
unbeachtet gebliebene Beziehung hergestellt, durch einen unbedeutenden Anne


etwas von Belang entgangen sein wird, ist selbstverständlich. Das Wenige,
was nach der Vollendung des Buches noch erschienen ist, wie Krieges Ver¬
öffentlichungen über Goethe's Thätigkeit als Rechtsanwalt in Frankfurt,
die von Urlichs herausgegebenen Briefe an Johanna Fahlmer, die Mitthei¬
lungen von Beaulieu - Marconnay über Goethe's Anstellung in Weimar,
Düntzer's Buch über Charlotte von Stein, würde vielleicht, wenn es noch hätte
benutzt werden können, auf die oder jene Partie ein Streiflicht mehr ge¬
worfen haben, kommt aber der unbegrenzten Fülle des Benutzten gegenübel
kaum in Betracht. Selten haben wir bei einer biographischen Darstellung
so sehr das Gefühl gehabt wie hier, daß der Verfasser aus dem Vollen schöpft,
daß das, was er spendet, nur die reiflich erwogene Quintessenz aus cinco
Zehnfach so reichen dahinterstehenden Stoffe ist.

Ueber die äußeren Lebensschicksale des Dichters berichtet Goedeke in ge¬
drängter Kürze. Von einem sogenannten „culturgeschichtlichen Hintergrunde"
ist nirgends etwas zu bemerken. Alles bewegt sich um die Hauptgestalt, alles
bezieht sich auf sie und drängt ihr zu. Eine unabsehbare Reihe von Ge¬
stalten tritt nach und nach in den Nahmen der Darstellung; dem einzelne»
kann da nicht viel Raum gewidmet werden, und doch weiß Goedeke für alle,
auch für die unbedeutenderen zu interessiren. Ein einziger Zug aus ihrer
Handlungsweise, eine einzige Aeußerung ihres Mundes, ein einziges
treffendes Epitheton — und sie stehen leibhaftig vor uns. In der Besprechung
der Dichterwerke Goethe's beschränkt sich Goedeke meist darauf, mit wenige"
Worten die Geschichte ihrer Entstehung zu erzählen, ihre Quellen anzugeben
und ihre Beziehungen zum Leben des Dichters anzudeuten. Nur bei de"
weniger bekannten, bei denen, deren Leserkreis heutzutage kleiner und kleiner
wird, gibt er auch eine Analyse des Inhalts. Die Vorzüge und Schwäche"
der Dichtung werden nicht eben tiefgehend, aber nach unserem Dafürhalte"
meistens richtig erörtert. Getreu dem im Vorworte ausgesprochenen Grund'
Satze „den Dichter zu seinen Studien und Leistungen im engsten Verhältniß
zu zeigen, ohne viel außerhalb des Stoffes sich zu ergehen", sucht Goedeke,
wo es irgend möglich ist, des Dichters eigne Meinungen über seine Werke
mitzutheilen. Im übrigen beschränkt er sich auf beachtenswerthe Urtheil
Goethe'scher Zeitgenossen. Ansichten moderner Literarhistoriker oder Aesthetik
werden nirgends eingeflochten; von ästhetisirender Salbaderei findet sich kei>^
Spur. Was Goedeke gelegentlich seiner Besprechung der „Wahlverwand"
schaften" äußert, daß es nicht seine Absicht sei, „die Reihe der Scholiafte"
oder Scholastiker" zu verlängern, das tritt bei all diesen Erörterungen hero^'
Und doch fällt bisweilen in zwei Worten ein neues Licht auf allbekann ^
Dinge, wird im Vorübergehen und ohne viel Aufhebens davon zu machen, el>^
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[0386] etwas von Belang entgangen sein wird, ist selbstverständlich. Das Wenige, was nach der Vollendung des Buches noch erschienen ist, wie Krieges Ver¬ öffentlichungen über Goethe's Thätigkeit als Rechtsanwalt in Frankfurt, die von Urlichs herausgegebenen Briefe an Johanna Fahlmer, die Mitthei¬ lungen von Beaulieu - Marconnay über Goethe's Anstellung in Weimar, Düntzer's Buch über Charlotte von Stein, würde vielleicht, wenn es noch hätte benutzt werden können, auf die oder jene Partie ein Streiflicht mehr ge¬ worfen haben, kommt aber der unbegrenzten Fülle des Benutzten gegenübel kaum in Betracht. Selten haben wir bei einer biographischen Darstellung so sehr das Gefühl gehabt wie hier, daß der Verfasser aus dem Vollen schöpft, daß das, was er spendet, nur die reiflich erwogene Quintessenz aus cinco Zehnfach so reichen dahinterstehenden Stoffe ist. Ueber die äußeren Lebensschicksale des Dichters berichtet Goedeke in ge¬ drängter Kürze. Von einem sogenannten „culturgeschichtlichen Hintergrunde" ist nirgends etwas zu bemerken. Alles bewegt sich um die Hauptgestalt, alles bezieht sich auf sie und drängt ihr zu. Eine unabsehbare Reihe von Ge¬ stalten tritt nach und nach in den Nahmen der Darstellung; dem einzelne» kann da nicht viel Raum gewidmet werden, und doch weiß Goedeke für alle, auch für die unbedeutenderen zu interessiren. Ein einziger Zug aus ihrer Handlungsweise, eine einzige Aeußerung ihres Mundes, ein einziges treffendes Epitheton — und sie stehen leibhaftig vor uns. In der Besprechung der Dichterwerke Goethe's beschränkt sich Goedeke meist darauf, mit wenige" Worten die Geschichte ihrer Entstehung zu erzählen, ihre Quellen anzugeben und ihre Beziehungen zum Leben des Dichters anzudeuten. Nur bei de" weniger bekannten, bei denen, deren Leserkreis heutzutage kleiner und kleiner wird, gibt er auch eine Analyse des Inhalts. Die Vorzüge und Schwäche" der Dichtung werden nicht eben tiefgehend, aber nach unserem Dafürhalte" meistens richtig erörtert. Getreu dem im Vorworte ausgesprochenen Grund' Satze „den Dichter zu seinen Studien und Leistungen im engsten Verhältniß zu zeigen, ohne viel außerhalb des Stoffes sich zu ergehen", sucht Goedeke, wo es irgend möglich ist, des Dichters eigne Meinungen über seine Werke mitzutheilen. Im übrigen beschränkt er sich auf beachtenswerthe Urtheil Goethe'scher Zeitgenossen. Ansichten moderner Literarhistoriker oder Aesthetik werden nirgends eingeflochten; von ästhetisirender Salbaderei findet sich kei>^ Spur. Was Goedeke gelegentlich seiner Besprechung der „Wahlverwand" schaften" äußert, daß es nicht seine Absicht sei, „die Reihe der Scholiafte" oder Scholastiker" zu verlängern, das tritt bei all diesen Erörterungen hero^' Und doch fällt bisweilen in zwei Worten ein neues Licht auf allbekann ^ Dinge, wird im Vorübergehen und ohne viel Aufhebens davon zu machen, el>^ unbeachtet gebliebene Beziehung hergestellt, durch einen unbedeutenden Anne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/386>, abgerufen am 06.02.2025.