Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geordnet erscheinen zu lassen". Wir bekennen nun ehrlich, daß wir jene "Ein¬
leitungen" nicht zum Vergleich herangezogen, sondern uns ausschließlich an
das "selbständige Buch" gehalten haben, und da müssen wir allerdings hin¬
zufügen, daß von der angegebenen Entstehungsweise des Buches schwerlich
jemand etwas ahnen würde, wenn sie der Verfasser nicht selbst verrathen
hatte. Abgesehen von gelegentlichen vorbereitenden, überleitenden und zurück¬
blickenden Partieen, in denen man die "Verzahnungen" der ursprünglich für
steh bestehenden Glieder wahrzunehmen meint, macht das Buch durchaus den
Eindruck, als ob es aus einem Guße entstanden sei; störende Wiederholun¬
gen, wie sie bei einer derartigen Ueberarbeitung fast unvermeidlich zu sein
scheinen, fehlen zwar nicht ganz (Vgl. z. B. die Anmerkung auf S. 68 mit
S. 403), bilden aber doch eine verschwindende Ausnahme.

Ueber den Inhalt des Buches hier Worte zu machen, würde nicht viel
Sinn haben; "Goethe's Leben und Schriften" -- damit ist ja alles gesagt.
Auf die Behandlung des Stoffes allein kann es ankommen. Wiederholt hebt
es Goedeke hervor, daß Goethe's Leben eine harmonisch fortschreitende Ani-
^rsalbildung gewesen sei, daß in jeder Periode derselben eine gleichzeitige
Entwickelung nach den verschiedensten Seiten hin stattgefunden habe, daß
Goethe nie in Einzelheiten aufgegangen, sondern stets unter der Wechselwir¬
kung aller ihn treibenden, fördernden und hemmenden Kräfte im steten Wachsen
^griffen gewesen sei, und daß man nie vergessen dürfe, wie hinter dem
Dichter, dem Forscher, dem fürstlichen Berather die reiche Individualität eines
großen Menschen stehe. Diese Gesichtspunkte ununterbrochen festzuhalten
Würde nun bei einer streng chronologischen Darstellung ganz unmöglich sein.
Eine BeHandlungsweise in annalistischer oder gar tagebuchartiger Form, wie
^ ja thörichter Weise für einzelne Perioden von Goethe's Leben wirklich un¬
ternommen worden ist, wird zwar das Gleichzeitige schönstens zusammenleimen,
"ber das innerlich und ideell Zusammengehörige stets zerreißen und so immer
Uur ein verworrenes Bild geben können. Es ist einer der größten Vorzüge von
^oedeke's Darstellung, daß er die chronologische Anordnung mit einer mehr
stofflichen Gruppirung so ungesucht zu verschmelzen gewußt hat. Sein Buch
^'fällt in sechzig verhältnißmäßig kurze und immer abgerundete Capitel, in
^nen bald der Faden von Goethe's äußerem Leben weitergesponnen, bald eine
einzelne hervorragende Dichtung oder eine Gruppe verwandter Dichtungen
^handelt, bald aber auch eine besondre Seite seiner geistigen Bethätigung
wie seine naturwissenschaftlichen Bestrebungen und seine Kunststudien --
^°n Anfang bis zu Ende im Zusammenhange verfolgt wird.

Daß ein Literarhistoriker von Goedeke's umfassender Kenntniß auch hier
"ach allen Seiten hin auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung steht,
ihm trotz des enormen Umfangs unserer Goetheliteratur schwerlich irgend


geordnet erscheinen zu lassen". Wir bekennen nun ehrlich, daß wir jene „Ein¬
leitungen" nicht zum Vergleich herangezogen, sondern uns ausschließlich an
das „selbständige Buch" gehalten haben, und da müssen wir allerdings hin¬
zufügen, daß von der angegebenen Entstehungsweise des Buches schwerlich
jemand etwas ahnen würde, wenn sie der Verfasser nicht selbst verrathen
hatte. Abgesehen von gelegentlichen vorbereitenden, überleitenden und zurück¬
blickenden Partieen, in denen man die „Verzahnungen" der ursprünglich für
steh bestehenden Glieder wahrzunehmen meint, macht das Buch durchaus den
Eindruck, als ob es aus einem Guße entstanden sei; störende Wiederholun¬
gen, wie sie bei einer derartigen Ueberarbeitung fast unvermeidlich zu sein
scheinen, fehlen zwar nicht ganz (Vgl. z. B. die Anmerkung auf S. 68 mit
S. 403), bilden aber doch eine verschwindende Ausnahme.

Ueber den Inhalt des Buches hier Worte zu machen, würde nicht viel
Sinn haben; „Goethe's Leben und Schriften" — damit ist ja alles gesagt.
Auf die Behandlung des Stoffes allein kann es ankommen. Wiederholt hebt
es Goedeke hervor, daß Goethe's Leben eine harmonisch fortschreitende Ani-
^rsalbildung gewesen sei, daß in jeder Periode derselben eine gleichzeitige
Entwickelung nach den verschiedensten Seiten hin stattgefunden habe, daß
Goethe nie in Einzelheiten aufgegangen, sondern stets unter der Wechselwir¬
kung aller ihn treibenden, fördernden und hemmenden Kräfte im steten Wachsen
^griffen gewesen sei, und daß man nie vergessen dürfe, wie hinter dem
Dichter, dem Forscher, dem fürstlichen Berather die reiche Individualität eines
großen Menschen stehe. Diese Gesichtspunkte ununterbrochen festzuhalten
Würde nun bei einer streng chronologischen Darstellung ganz unmöglich sein.
Eine BeHandlungsweise in annalistischer oder gar tagebuchartiger Form, wie
^ ja thörichter Weise für einzelne Perioden von Goethe's Leben wirklich un¬
ternommen worden ist, wird zwar das Gleichzeitige schönstens zusammenleimen,
"ber das innerlich und ideell Zusammengehörige stets zerreißen und so immer
Uur ein verworrenes Bild geben können. Es ist einer der größten Vorzüge von
^oedeke's Darstellung, daß er die chronologische Anordnung mit einer mehr
stofflichen Gruppirung so ungesucht zu verschmelzen gewußt hat. Sein Buch
^'fällt in sechzig verhältnißmäßig kurze und immer abgerundete Capitel, in
^nen bald der Faden von Goethe's äußerem Leben weitergesponnen, bald eine
einzelne hervorragende Dichtung oder eine Gruppe verwandter Dichtungen
^handelt, bald aber auch eine besondre Seite seiner geistigen Bethätigung
wie seine naturwissenschaftlichen Bestrebungen und seine Kunststudien —
^°n Anfang bis zu Ende im Zusammenhange verfolgt wird.

Daß ein Literarhistoriker von Goedeke's umfassender Kenntniß auch hier
"ach allen Seiten hin auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung steht,
ihm trotz des enormen Umfangs unserer Goetheliteratur schwerlich irgend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133673"/>
          <p xml:id="ID_1232" prev="#ID_1231"> geordnet erscheinen zu lassen". Wir bekennen nun ehrlich, daß wir jene &#x201E;Ein¬<lb/>
leitungen" nicht zum Vergleich herangezogen, sondern uns ausschließlich an<lb/>
das &#x201E;selbständige Buch" gehalten haben, und da müssen wir allerdings hin¬<lb/>
zufügen, daß von der angegebenen Entstehungsweise des Buches schwerlich<lb/>
jemand etwas ahnen würde, wenn sie der Verfasser nicht selbst verrathen<lb/>
hatte. Abgesehen von gelegentlichen vorbereitenden, überleitenden und zurück¬<lb/>
blickenden Partieen, in denen man die &#x201E;Verzahnungen" der ursprünglich für<lb/>
steh bestehenden Glieder wahrzunehmen meint, macht das Buch durchaus den<lb/>
Eindruck, als ob es aus einem Guße entstanden sei; störende Wiederholun¬<lb/>
gen, wie sie bei einer derartigen Ueberarbeitung fast unvermeidlich zu sein<lb/>
scheinen, fehlen zwar nicht ganz (Vgl. z. B. die Anmerkung auf S. 68 mit<lb/>
S. 403), bilden aber doch eine verschwindende Ausnahme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1233"> Ueber den Inhalt des Buches hier Worte zu machen, würde nicht viel<lb/>
Sinn haben; &#x201E;Goethe's Leben und Schriften" &#x2014; damit ist ja alles gesagt.<lb/>
Auf die Behandlung des Stoffes allein kann es ankommen. Wiederholt hebt<lb/>
es Goedeke hervor, daß Goethe's Leben eine harmonisch fortschreitende Ani-<lb/>
^rsalbildung gewesen sei, daß in jeder Periode derselben eine gleichzeitige<lb/>
Entwickelung nach den verschiedensten Seiten hin stattgefunden habe, daß<lb/>
Goethe nie in Einzelheiten aufgegangen, sondern stets unter der Wechselwir¬<lb/>
kung aller ihn treibenden, fördernden und hemmenden Kräfte im steten Wachsen<lb/>
^griffen gewesen sei, und daß man nie vergessen dürfe, wie hinter dem<lb/>
Dichter, dem Forscher, dem fürstlichen Berather die reiche Individualität eines<lb/>
großen Menschen stehe. Diese Gesichtspunkte ununterbrochen festzuhalten<lb/>
Würde nun bei einer streng chronologischen Darstellung ganz unmöglich sein.<lb/>
Eine BeHandlungsweise in annalistischer oder gar tagebuchartiger Form, wie<lb/>
^ ja thörichter Weise für einzelne Perioden von Goethe's Leben wirklich un¬<lb/>
ternommen worden ist, wird zwar das Gleichzeitige schönstens zusammenleimen,<lb/>
"ber das innerlich und ideell Zusammengehörige stets zerreißen und so immer<lb/>
Uur ein verworrenes Bild geben können. Es ist einer der größten Vorzüge von<lb/>
^oedeke's Darstellung, daß er die chronologische Anordnung mit einer mehr<lb/>
stofflichen Gruppirung so ungesucht zu verschmelzen gewußt hat. Sein Buch<lb/>
^'fällt in sechzig verhältnißmäßig kurze und immer abgerundete Capitel, in<lb/>
^nen bald der Faden von Goethe's äußerem Leben weitergesponnen, bald eine<lb/>
einzelne hervorragende Dichtung oder eine Gruppe verwandter Dichtungen<lb/>
^handelt, bald aber auch eine besondre Seite seiner geistigen Bethätigung<lb/>
wie seine naturwissenschaftlichen Bestrebungen und seine Kunststudien &#x2014;<lb/>
^°n Anfang bis zu Ende im Zusammenhange verfolgt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1234" next="#ID_1235"> Daß ein Literarhistoriker von Goedeke's umfassender Kenntniß auch hier<lb/>
"ach allen Seiten hin auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung steht,<lb/>
ihm trotz des enormen Umfangs unserer Goetheliteratur schwerlich irgend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] geordnet erscheinen zu lassen". Wir bekennen nun ehrlich, daß wir jene „Ein¬ leitungen" nicht zum Vergleich herangezogen, sondern uns ausschließlich an das „selbständige Buch" gehalten haben, und da müssen wir allerdings hin¬ zufügen, daß von der angegebenen Entstehungsweise des Buches schwerlich jemand etwas ahnen würde, wenn sie der Verfasser nicht selbst verrathen hatte. Abgesehen von gelegentlichen vorbereitenden, überleitenden und zurück¬ blickenden Partieen, in denen man die „Verzahnungen" der ursprünglich für steh bestehenden Glieder wahrzunehmen meint, macht das Buch durchaus den Eindruck, als ob es aus einem Guße entstanden sei; störende Wiederholun¬ gen, wie sie bei einer derartigen Ueberarbeitung fast unvermeidlich zu sein scheinen, fehlen zwar nicht ganz (Vgl. z. B. die Anmerkung auf S. 68 mit S. 403), bilden aber doch eine verschwindende Ausnahme. Ueber den Inhalt des Buches hier Worte zu machen, würde nicht viel Sinn haben; „Goethe's Leben und Schriften" — damit ist ja alles gesagt. Auf die Behandlung des Stoffes allein kann es ankommen. Wiederholt hebt es Goedeke hervor, daß Goethe's Leben eine harmonisch fortschreitende Ani- ^rsalbildung gewesen sei, daß in jeder Periode derselben eine gleichzeitige Entwickelung nach den verschiedensten Seiten hin stattgefunden habe, daß Goethe nie in Einzelheiten aufgegangen, sondern stets unter der Wechselwir¬ kung aller ihn treibenden, fördernden und hemmenden Kräfte im steten Wachsen ^griffen gewesen sei, und daß man nie vergessen dürfe, wie hinter dem Dichter, dem Forscher, dem fürstlichen Berather die reiche Individualität eines großen Menschen stehe. Diese Gesichtspunkte ununterbrochen festzuhalten Würde nun bei einer streng chronologischen Darstellung ganz unmöglich sein. Eine BeHandlungsweise in annalistischer oder gar tagebuchartiger Form, wie ^ ja thörichter Weise für einzelne Perioden von Goethe's Leben wirklich un¬ ternommen worden ist, wird zwar das Gleichzeitige schönstens zusammenleimen, "ber das innerlich und ideell Zusammengehörige stets zerreißen und so immer Uur ein verworrenes Bild geben können. Es ist einer der größten Vorzüge von ^oedeke's Darstellung, daß er die chronologische Anordnung mit einer mehr stofflichen Gruppirung so ungesucht zu verschmelzen gewußt hat. Sein Buch ^'fällt in sechzig verhältnißmäßig kurze und immer abgerundete Capitel, in ^nen bald der Faden von Goethe's äußerem Leben weitergesponnen, bald eine einzelne hervorragende Dichtung oder eine Gruppe verwandter Dichtungen ^handelt, bald aber auch eine besondre Seite seiner geistigen Bethätigung wie seine naturwissenschaftlichen Bestrebungen und seine Kunststudien — ^°n Anfang bis zu Ende im Zusammenhange verfolgt wird. Daß ein Literarhistoriker von Goedeke's umfassender Kenntniß auch hier "ach allen Seiten hin auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung steht, ihm trotz des enormen Umfangs unserer Goetheliteratur schwerlich irgend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/385>, abgerufen am 06.02.2025.