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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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'dünn ungewohnte, Continuität des Feuers imponirte ihnen doch und hat
wohl viel dazu beigetragen, die Corps von Urbino und Bentivoglio aus dem
rechten Taro-Ufer zurückzuhalten.

Beide Theile schrieben sich den Sieg zu. Die Franzosen hatten ihr
Gepäck verloren; daraus folgerte die Logik der Venetianer, daß der Sieg
auf italienischer Seite sei, und sie errichteten später sogar eine Sieges-Gedächt-
uißkapelle bei Fornovo.

Die Franzosen behaupteten die Wahlstatt. In der nächsten Nacht brachen
sie in größter Stille auf und zogen so geheim ab, daß sie sogar einen Weg-
^undigen mitzunehmen vergaßen und in ihrer Verlegenheit darüber am Ende
sehr froh waren, zu entdecken, daß sie sich auf der rechten Straße nach Pia-
cenza befanden.

Die Italiener übernachteten in ihrem Lager. Nun wären sie immerhin
Noch stark genug gewesen, um den Franzosen den Rückzug noch einmal streitig
machen. Aber das innere Zerwürfniß der Verbündeten steigerte sich nach
dem Verlust der Schlacht durch die Vorwürfe, welche ein Führer gegen den
andern erhob, in dem Maße, daß Ermüdung und Mangel als Vorwand, für
den Augenblick nichts zu thun, fast willkommen schienen. Ueberdies waren
die Italiener nicht gewohnt, wirklich todt geschlagen zu werden im Kampf,
und in diesem Gefechte hatten sie 3300 Mann liegen lassen. Als endlich
spät am andern Tage die Verfolgung der inzwischen schon seit 18 Stunden
Marschierenden Franzosen beschlossen ward, hatten diese einen so bedeutenden
Ursprung gewonnen, daß ihnen die Italiener nicht sonderlich mehr etwas
anhaben konnten.

Der weitere Rückzug Charles' war nicht sehr erfreulich. Seine zusammen¬
geschmolzene Armee flößte keine große Furcht ein. Ueberall fand man die
Thore verschlossen, und die Lebensmittel konnten nur für schweres Geld her-
^'geschafft werden. Jeder hatte für sich selbst zu sorgen, und als Nachtlager
diente gewöhnlich die bloße Erde. Die Truppen mußten mit Mangel aller
^ kämpfen; zwei Tage hatte man nichts als schlechtes schwarzes Brod zu
essen. Der Verlust des gesammten Gepäckes erwies sich nun doch als ein
Achtes Uebel. Wenige waren noch so leidlich situirt, wie Charles selbst, der
nichts so tief beklagte, als die Einbuße eines Albums, welches die Bildnisse
^ der schönen Frauen enthielt, die ihm in Italien angehört. -- Mürrisch
und verdrossen zog das Heer seine Straße. Um den verfolgenden Feind
^Maerle sich von den eigentlichen Franzosen kein Mensch; man überließ diese
^°rge Zgg Schweizern, die mit ihren schweren Büchsen sich die herumschwär-
'Umber Stradioten vom Leibe hielten. Die Ursache einer so großen Apathie
Heeres war ohne Zweifel der Hunger, dieser schlimmste Feind militärischer
isciplin. Wenn man jedoch erwägt, daß die Wege, welche die Franzosen


'dünn ungewohnte, Continuität des Feuers imponirte ihnen doch und hat
wohl viel dazu beigetragen, die Corps von Urbino und Bentivoglio aus dem
rechten Taro-Ufer zurückzuhalten.

Beide Theile schrieben sich den Sieg zu. Die Franzosen hatten ihr
Gepäck verloren; daraus folgerte die Logik der Venetianer, daß der Sieg
auf italienischer Seite sei, und sie errichteten später sogar eine Sieges-Gedächt-
uißkapelle bei Fornovo.

Die Franzosen behaupteten die Wahlstatt. In der nächsten Nacht brachen
sie in größter Stille auf und zogen so geheim ab, daß sie sogar einen Weg-
^undigen mitzunehmen vergaßen und in ihrer Verlegenheit darüber am Ende
sehr froh waren, zu entdecken, daß sie sich auf der rechten Straße nach Pia-
cenza befanden.

Die Italiener übernachteten in ihrem Lager. Nun wären sie immerhin
Noch stark genug gewesen, um den Franzosen den Rückzug noch einmal streitig
machen. Aber das innere Zerwürfniß der Verbündeten steigerte sich nach
dem Verlust der Schlacht durch die Vorwürfe, welche ein Führer gegen den
andern erhob, in dem Maße, daß Ermüdung und Mangel als Vorwand, für
den Augenblick nichts zu thun, fast willkommen schienen. Ueberdies waren
die Italiener nicht gewohnt, wirklich todt geschlagen zu werden im Kampf,
und in diesem Gefechte hatten sie 3300 Mann liegen lassen. Als endlich
spät am andern Tage die Verfolgung der inzwischen schon seit 18 Stunden
Marschierenden Franzosen beschlossen ward, hatten diese einen so bedeutenden
Ursprung gewonnen, daß ihnen die Italiener nicht sonderlich mehr etwas
anhaben konnten.

Der weitere Rückzug Charles' war nicht sehr erfreulich. Seine zusammen¬
geschmolzene Armee flößte keine große Furcht ein. Ueberall fand man die
Thore verschlossen, und die Lebensmittel konnten nur für schweres Geld her-
^'geschafft werden. Jeder hatte für sich selbst zu sorgen, und als Nachtlager
diente gewöhnlich die bloße Erde. Die Truppen mußten mit Mangel aller
^ kämpfen; zwei Tage hatte man nichts als schlechtes schwarzes Brod zu
essen. Der Verlust des gesammten Gepäckes erwies sich nun doch als ein
Achtes Uebel. Wenige waren noch so leidlich situirt, wie Charles selbst, der
nichts so tief beklagte, als die Einbuße eines Albums, welches die Bildnisse
^ der schönen Frauen enthielt, die ihm in Italien angehört. — Mürrisch
und verdrossen zog das Heer seine Straße. Um den verfolgenden Feind
^Maerle sich von den eigentlichen Franzosen kein Mensch; man überließ diese
^°rge Zgg Schweizern, die mit ihren schweren Büchsen sich die herumschwär-
'Umber Stradioten vom Leibe hielten. Die Ursache einer so großen Apathie
Heeres war ohne Zweifel der Hunger, dieser schlimmste Feind militärischer
isciplin. Wenn man jedoch erwägt, daß die Wege, welche die Franzosen


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[0377] 'dünn ungewohnte, Continuität des Feuers imponirte ihnen doch und hat wohl viel dazu beigetragen, die Corps von Urbino und Bentivoglio aus dem rechten Taro-Ufer zurückzuhalten. Beide Theile schrieben sich den Sieg zu. Die Franzosen hatten ihr Gepäck verloren; daraus folgerte die Logik der Venetianer, daß der Sieg auf italienischer Seite sei, und sie errichteten später sogar eine Sieges-Gedächt- uißkapelle bei Fornovo. Die Franzosen behaupteten die Wahlstatt. In der nächsten Nacht brachen sie in größter Stille auf und zogen so geheim ab, daß sie sogar einen Weg- ^undigen mitzunehmen vergaßen und in ihrer Verlegenheit darüber am Ende sehr froh waren, zu entdecken, daß sie sich auf der rechten Straße nach Pia- cenza befanden. Die Italiener übernachteten in ihrem Lager. Nun wären sie immerhin Noch stark genug gewesen, um den Franzosen den Rückzug noch einmal streitig machen. Aber das innere Zerwürfniß der Verbündeten steigerte sich nach dem Verlust der Schlacht durch die Vorwürfe, welche ein Führer gegen den andern erhob, in dem Maße, daß Ermüdung und Mangel als Vorwand, für den Augenblick nichts zu thun, fast willkommen schienen. Ueberdies waren die Italiener nicht gewohnt, wirklich todt geschlagen zu werden im Kampf, und in diesem Gefechte hatten sie 3300 Mann liegen lassen. Als endlich spät am andern Tage die Verfolgung der inzwischen schon seit 18 Stunden Marschierenden Franzosen beschlossen ward, hatten diese einen so bedeutenden Ursprung gewonnen, daß ihnen die Italiener nicht sonderlich mehr etwas anhaben konnten. Der weitere Rückzug Charles' war nicht sehr erfreulich. Seine zusammen¬ geschmolzene Armee flößte keine große Furcht ein. Ueberall fand man die Thore verschlossen, und die Lebensmittel konnten nur für schweres Geld her- ^'geschafft werden. Jeder hatte für sich selbst zu sorgen, und als Nachtlager diente gewöhnlich die bloße Erde. Die Truppen mußten mit Mangel aller ^ kämpfen; zwei Tage hatte man nichts als schlechtes schwarzes Brod zu essen. Der Verlust des gesammten Gepäckes erwies sich nun doch als ein Achtes Uebel. Wenige waren noch so leidlich situirt, wie Charles selbst, der nichts so tief beklagte, als die Einbuße eines Albums, welches die Bildnisse ^ der schönen Frauen enthielt, die ihm in Italien angehört. — Mürrisch und verdrossen zog das Heer seine Straße. Um den verfolgenden Feind ^Maerle sich von den eigentlichen Franzosen kein Mensch; man überließ diese ^°rge Zgg Schweizern, die mit ihren schweren Büchsen sich die herumschwär- 'Umber Stradioten vom Leibe hielten. Die Ursache einer so großen Apathie Heeres war ohne Zweifel der Hunger, dieser schlimmste Feind militärischer isciplin. Wenn man jedoch erwägt, daß die Wege, welche die Franzosen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/377>, abgerufen am 06.02.2025.