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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Sie erhielten für jeden feindlichen Kopf einen Dukaten, und es soll nicht
selten vorgekommen sein, daß sie, um diesen Dukaten zu erhaschen, Priester
und friedliche Landleute ihrer Köpfe beraubten. *) Die Ableitung des Wortes
"Stradioten" ist verschieden. Die Italiener führen es auf stradu (Straße)
zurück, andere auf o^""""?^? (Soldaten) eine Etymologie, welche wol jeden¬
falls den Borzug verdient.

Den Angaben Commes' zufolge (cap. XXX.) betrug -die im Lager von
Parma gesammelte Macht 36,000 Gewaffnete, von denen fast vier Fünftel
dem Löwen von San Marco folgten. Die Zahl der Panzerreiter giebt er
in Uebereinstimmung mit Guicciardini, auf 2300, die der Stradioten auf
8000 an, während Guicciardini deren nur 2000 zählt. An Fußvolk rechnet
dieser 8000 Mann, Alexander Benedictus 12000."*) Es werden alles in
Allem 20 bis 2S000 Mann gewesen sein. -- Die Artillerie war schwach; sie
bestand nur aus 12 venetianischen Serpentinen.

Bis Pietra Santa hatte die Armee des Königs sehr kurze Märsche
gemacht, vier bis fünf Stunden des Tages; jetzt näherte sich die Gefahr und
die Thorheit wurde fügsamer. Die Stimme der Verständigeren drang durch,
und die Truppen beschleunigten den Marsch. Hinter Pontremoli, welches bei
einer entsetzlichen Plünderung durch die Schweizer in Feuer ausging, unweit
des Dörfchens Mignegna, in der Tiefe einer Schlucht zwischen den Quellen
der Magra und der Magriola, führte ein schmaler und steiler Fußweg über
öde, jäh zerrissene Bergketten in kurzen und steilen Zickzacks auf die Höhe des
Piks von Tossola. Dies war der Weg über die Apenninen, den die Armee
einzuschlagen hatte. Daß Maulthiere, an solche Gebirgspfade gewöhnt, den¬
selben zu ersteigen fähig wären, war kein Zweifel; aber wie sollten -- und
noch dazu in jener Zeit -- die Artillerie, das Gepäck, die schweren und
unbeholfenen Fahrzeuge hinüber gelangen? Sehr groß waren in der That
die Schwierigkeiten, welche die Franzosen zu überwinden hatten, und waren
sie überwunden, so hatte man vermuthlich den Austritt aus dem Gebirge
erst durch die Schlacht zu erzwingen.

Viele der versuchtesten Offiziere Charles' schwankten bei diesem Gedanken;
sie riethen, am Fuße des Gebirges Alles zu vernichten, was des Heeres
Marsch beschweren oder verzögern könnte, besonders aber sich der Artillerie
zu entledigen. Der König fast allein blieb bei dem Entschluß stehen, unter
jeder Bedingung mit Allem, was es mit sich führe, das Gebirge zu über¬
schreiten und die Entscheidung in einer Schlacht mit dem überlegenen Feinde
zu suchen. Die Reue der Schweizer über die zu Pontremoli begangenen
Frevel kam ihm hierbei zu Statten. Sie machten sich nämlich anheischig-




*) ^rnollZus IsEi'i'OllUs Lurcli-Meukis: O<z I'<zdus Mkitis Link-oll VIII.
^1. LöllöüiLtus Vousti ox-zrcitus moclivus: viario Ah dvllo Oarolmo.

Sie erhielten für jeden feindlichen Kopf einen Dukaten, und es soll nicht
selten vorgekommen sein, daß sie, um diesen Dukaten zu erhaschen, Priester
und friedliche Landleute ihrer Köpfe beraubten. *) Die Ableitung des Wortes
„Stradioten" ist verschieden. Die Italiener führen es auf stradu (Straße)
zurück, andere auf o^«»»»?^? (Soldaten) eine Etymologie, welche wol jeden¬
falls den Borzug verdient.

Den Angaben Commes' zufolge (cap. XXX.) betrug -die im Lager von
Parma gesammelte Macht 36,000 Gewaffnete, von denen fast vier Fünftel
dem Löwen von San Marco folgten. Die Zahl der Panzerreiter giebt er
in Uebereinstimmung mit Guicciardini, auf 2300, die der Stradioten auf
8000 an, während Guicciardini deren nur 2000 zählt. An Fußvolk rechnet
dieser 8000 Mann, Alexander Benedictus 12000."*) Es werden alles in
Allem 20 bis 2S000 Mann gewesen sein. — Die Artillerie war schwach; sie
bestand nur aus 12 venetianischen Serpentinen.

Bis Pietra Santa hatte die Armee des Königs sehr kurze Märsche
gemacht, vier bis fünf Stunden des Tages; jetzt näherte sich die Gefahr und
die Thorheit wurde fügsamer. Die Stimme der Verständigeren drang durch,
und die Truppen beschleunigten den Marsch. Hinter Pontremoli, welches bei
einer entsetzlichen Plünderung durch die Schweizer in Feuer ausging, unweit
des Dörfchens Mignegna, in der Tiefe einer Schlucht zwischen den Quellen
der Magra und der Magriola, führte ein schmaler und steiler Fußweg über
öde, jäh zerrissene Bergketten in kurzen und steilen Zickzacks auf die Höhe des
Piks von Tossola. Dies war der Weg über die Apenninen, den die Armee
einzuschlagen hatte. Daß Maulthiere, an solche Gebirgspfade gewöhnt, den¬
selben zu ersteigen fähig wären, war kein Zweifel; aber wie sollten — und
noch dazu in jener Zeit — die Artillerie, das Gepäck, die schweren und
unbeholfenen Fahrzeuge hinüber gelangen? Sehr groß waren in der That
die Schwierigkeiten, welche die Franzosen zu überwinden hatten, und waren
sie überwunden, so hatte man vermuthlich den Austritt aus dem Gebirge
erst durch die Schlacht zu erzwingen.

Viele der versuchtesten Offiziere Charles' schwankten bei diesem Gedanken;
sie riethen, am Fuße des Gebirges Alles zu vernichten, was des Heeres
Marsch beschweren oder verzögern könnte, besonders aber sich der Artillerie
zu entledigen. Der König fast allein blieb bei dem Entschluß stehen, unter
jeder Bedingung mit Allem, was es mit sich führe, das Gebirge zu über¬
schreiten und die Entscheidung in einer Schlacht mit dem überlegenen Feinde
zu suchen. Die Reue der Schweizer über die zu Pontremoli begangenen
Frevel kam ihm hierbei zu Statten. Sie machten sich nämlich anheischig-




*) ^rnollZus IsEi'i'OllUs Lurcli-Meukis: O<z I'<zdus Mkitis Link-oll VIII.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/370>, abgerufen am 06.02.2025.