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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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auch das soll nicht sein, Jack -- nicht wahr?" und sie blickte ihm sehnsüchtig
fragend ins Gesicht -- Jack drückte ihr die Hand, sprach aber nicht. -- Nach¬
dem sie einen Augenblick geschwiegen, sagte sie wieder:

"Vielleicht hast Du Recht in Deiner Wahl. (Sie meint die Schulfreun¬
din Carry's.) Sie ist ein gutherziges Mädchen -- Jack -- aber ein wenig
dreist".

Und nach diesem letzten Aufflackern eines thörichten schwachen Menschen¬
geistes in ihrer, mit dem Tode ringenden Seele sprach sie nicht mehr. Als
sie einen Augenblick später zu ihr traten, flog ein kleines Vögelein, daß sich
auf ihre Brust niedergelassen, hinweg, und die Hand, die sie von Carry's
Kopfe hoben, fiel leblos an ihre Seite herab."

Die vierte Geschichte der neuen Sammlung "Ein ländlich Bild von
Monte Flat" erzählt uns. "wie der alte Plunkett heimging." Plunkett
ist ein Träumer. Lügner und Pläneschmied in einem kalifornischen Goldgrä¬
berlager, zu dessen Träumen und Plänen vor Allem der gehört, seine, in der
Heimath zurückgelassene Familie zu besuchen. Zehn ganze Jahre lang ist er
immer und immer wieder im Begriffe, "heimzugehen". Er will das, nachdem
er sich sechs Monate in Monte Flat aufgehalten. Er will es nach den ersten
Regengüssen, dann, wenn die Regenzeit vorüber ist, dann, wenn er das Holz
auf dem Kastanienhügel gefällt hat, wenn es wieder grüne Weide auf Dows
Rat giebt, wenn die Gesellschaft von Amittz Dites ihre erste Dividende giebt
u. s. w. Verschiedene Male hat er wirklich Versuche gemacht, nach dem Osten
5U reisen, aber immer ist die Sache schließlich unterblieben und Plunkett nach
kurzer Zeit wieder zu seinen Bekannten in Monte Flat zurückgekehrt. End¬
lich bleibt er bei einem solchen Versuche drei volle Jahre weg, und dießmal
will er wirklich bei den Seinigen in New-York gewesen sein und giebt ganz
genauen Bericht, wie er sie angetroffen. Seine Frau ist noch die böse
Sieben, die sie früher gewesen, seine Tochter, wie er durch deren Photo¬
graphie beweisen kann, aus einem kleinen Kinde zu einer holden Jungfrau
erwachsen. Aber lassen wir ihn die Hauptsache selbst erzählen:

"Seht Jhr's, Jungens, ich bin immer der Meinung gewesen, daß man
^ Stande sein muß, sein eigen Fleisch und Blut durch Jnstinct heraus zu
finden. 'S ist jetzt zehn Jahre her, daß ich mein Melindchen zuletzt gesehen
habe, und sie war damals erst sieben Jahre und etwa von dieser Höhe.
Mas that ich daher, als ich nach New-York ging? Ging ich schnurstracks
"ach meinem Hause und fragte nach meiner Frau und Tochter wie andere
Leute? Nein, ich zog mich wie ein Hausirer an -- wie ein Hausirer, Jun-
Sens. und zog die Klingel. Als das Dienstmädchen an die Thür kam,
sagte ich -- seht Jhr's wohl? -- ich wollte den Damens ein paar hübsche
Sächelchen zeigen. Da kam eine Stimme über das Treppengeländer, die


auch das soll nicht sein, Jack — nicht wahr?" und sie blickte ihm sehnsüchtig
fragend ins Gesicht — Jack drückte ihr die Hand, sprach aber nicht. — Nach¬
dem sie einen Augenblick geschwiegen, sagte sie wieder:

„Vielleicht hast Du Recht in Deiner Wahl. (Sie meint die Schulfreun¬
din Carry's.) Sie ist ein gutherziges Mädchen — Jack — aber ein wenig
dreist".

Und nach diesem letzten Aufflackern eines thörichten schwachen Menschen¬
geistes in ihrer, mit dem Tode ringenden Seele sprach sie nicht mehr. Als
sie einen Augenblick später zu ihr traten, flog ein kleines Vögelein, daß sich
auf ihre Brust niedergelassen, hinweg, und die Hand, die sie von Carry's
Kopfe hoben, fiel leblos an ihre Seite herab."

Die vierte Geschichte der neuen Sammlung „Ein ländlich Bild von
Monte Flat" erzählt uns. „wie der alte Plunkett heimging." Plunkett
ist ein Träumer. Lügner und Pläneschmied in einem kalifornischen Goldgrä¬
berlager, zu dessen Träumen und Plänen vor Allem der gehört, seine, in der
Heimath zurückgelassene Familie zu besuchen. Zehn ganze Jahre lang ist er
immer und immer wieder im Begriffe, „heimzugehen". Er will das, nachdem
er sich sechs Monate in Monte Flat aufgehalten. Er will es nach den ersten
Regengüssen, dann, wenn die Regenzeit vorüber ist, dann, wenn er das Holz
auf dem Kastanienhügel gefällt hat, wenn es wieder grüne Weide auf Dows
Rat giebt, wenn die Gesellschaft von Amittz Dites ihre erste Dividende giebt
u. s. w. Verschiedene Male hat er wirklich Versuche gemacht, nach dem Osten
5U reisen, aber immer ist die Sache schließlich unterblieben und Plunkett nach
kurzer Zeit wieder zu seinen Bekannten in Monte Flat zurückgekehrt. End¬
lich bleibt er bei einem solchen Versuche drei volle Jahre weg, und dießmal
will er wirklich bei den Seinigen in New-York gewesen sein und giebt ganz
genauen Bericht, wie er sie angetroffen. Seine Frau ist noch die böse
Sieben, die sie früher gewesen, seine Tochter, wie er durch deren Photo¬
graphie beweisen kann, aus einem kleinen Kinde zu einer holden Jungfrau
erwachsen. Aber lassen wir ihn die Hauptsache selbst erzählen:

„Seht Jhr's, Jungens, ich bin immer der Meinung gewesen, daß man
^ Stande sein muß, sein eigen Fleisch und Blut durch Jnstinct heraus zu
finden. 'S ist jetzt zehn Jahre her, daß ich mein Melindchen zuletzt gesehen
habe, und sie war damals erst sieben Jahre und etwa von dieser Höhe.
Mas that ich daher, als ich nach New-York ging? Ging ich schnurstracks
«ach meinem Hause und fragte nach meiner Frau und Tochter wie andere
Leute? Nein, ich zog mich wie ein Hausirer an — wie ein Hausirer, Jun-
Sens. und zog die Klingel. Als das Dienstmädchen an die Thür kam,
sagte ich — seht Jhr's wohl? — ich wollte den Damens ein paar hübsche
Sächelchen zeigen. Da kam eine Stimme über das Treppengeländer, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/351>, abgerufen am 06.02.2025.