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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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aussieht." Er fuhr zurück, mehr vor ihrem wildverstörten Gesichte, als vor
ihren Worten. Er war kein Feigling, aber er empfand Neigung, zu fliehen. --
"Sie sind krank, Jenny", sagte er. "Sie thäten besser, ins Haus zurückzu¬
kehren. Ein ander Mal --" "Halt!" rief sie heiser. -- "Rühren Sie sich
von der Stelle, und ich rufe um Hülfe! Versuchen Sie mich jetzt zu verlassen,
und ich sage aller Welt, daß Sie ein Meuchelmörder sind." -- "Es war
ein ehrlicher Kampf", sagte er tückisch und verstockt." -- "War es ein ehrlicher
Kampf, einem unbewaffneten und sich keines Harms versehenden Mann von
hinten nachzuschleichen? War es ein ehrlicher Kampf, den Versuch zu machen,
den Verdacht aus einen Andern abzulenken? War es ein ehrlicher Kampf,
wich zu täuschen? Lügner und Feigling, der Sie sind!"

Er that einen verstohlenen Schritt auf sie zu mit Unheil drohenden
Augen und einer verruchteren Hand, die langsam nach seiner Brusttasche
hinschlich.

"Stoßen Sie zu!" rief sie mit blitzenden Augen, indem sie ihm ihre
Hände offen vor das Gesicht hielt. "Stoßen Sie zu! Fürchten Sie sich vor
dem Weibe, das sich vor Ihnen nicht fürchtet? Oder heben Sie Ihr Messer
blos für den Rücken von Männern auf. die sich Ihrer Tücke nicht versehen?
Stoßen Sie zu. sag' ich Ihnen. Nein? Nun so sehen Sie her!" Mit einer
plötzlichen Bewegung zog sie sich von Kopf und Schultern den dicken Spitzen-
shawl. der ihre Gestalt verhüllt hatte, und trat vor ihn hin. "Sehen Sie
her!" rief sie leidenschaftlich, indem sie nach dem Busen und den Schultern
ihres weißen Kleides zeigte, die dunkel mit verblichnen Flecken gestreift und
'n Unheil verrathender Weise der Farbe verlustig gegangen waren. "Sehen
Sie, dieß ist das Kleid, welches ich an jenem Morgen trug, wo ich ihn
hier liegend fand -- hier -- blutend von Ihrem heimtückischen Messer.
Sehen Sie her! Sehen Sie wohl? Dieß ist sein Blut -- das Blut meines
lieben Jungen! -- von dem mir, so todt und verblichen es ist, ein einziger
Köpfen mehr gilt als der ganze lebendige Puls irgend eines andern Mannes.
Sehen Sie her! Ich komme zu Ihnen heut Abend getauft mit seinem Blute,
und wagen Sie nun zuzustoßen -- wagen Sie durch mich wieder nach ihm
8U stoßen und wein Blut mit dem seinen zu verwischen! Stoßen Sie zu!
^es flehe Sie an. Stoßen Sie zu, wenn Sie irgendwie Erbarmen mit mir
h^ben, um Gotteswillen! Stoßen Sie zu, wenn Sie ein Mann sind! Sehen
S'e. hier lag sein Haupt auf meiner Schulter -- hier hielt ich ihn an meiner
Brust, wo niemals -- so wahr mir Gott helfe! -- ein andrer Mann --
ach! taumelte gegen die Umzäunung, und etwas, das in Rance's
Hand geblitzt, siel vor ihre Füße hin; dann ein zweiter Blitz und ein Knall
bewirkton. daß er sich vor ihr im Staube wälzte, und über seinen im Todes-


aussieht." Er fuhr zurück, mehr vor ihrem wildverstörten Gesichte, als vor
ihren Worten. Er war kein Feigling, aber er empfand Neigung, zu fliehen. —
»Sie sind krank, Jenny", sagte er. „Sie thäten besser, ins Haus zurückzu¬
kehren. Ein ander Mal —" „Halt!" rief sie heiser. — „Rühren Sie sich
von der Stelle, und ich rufe um Hülfe! Versuchen Sie mich jetzt zu verlassen,
und ich sage aller Welt, daß Sie ein Meuchelmörder sind." — „Es war
ein ehrlicher Kampf", sagte er tückisch und verstockt." — „War es ein ehrlicher
Kampf, einem unbewaffneten und sich keines Harms versehenden Mann von
hinten nachzuschleichen? War es ein ehrlicher Kampf, den Versuch zu machen,
den Verdacht aus einen Andern abzulenken? War es ein ehrlicher Kampf,
wich zu täuschen? Lügner und Feigling, der Sie sind!"

Er that einen verstohlenen Schritt auf sie zu mit Unheil drohenden
Augen und einer verruchteren Hand, die langsam nach seiner Brusttasche
hinschlich.

„Stoßen Sie zu!" rief sie mit blitzenden Augen, indem sie ihm ihre
Hände offen vor das Gesicht hielt. „Stoßen Sie zu! Fürchten Sie sich vor
dem Weibe, das sich vor Ihnen nicht fürchtet? Oder heben Sie Ihr Messer
blos für den Rücken von Männern auf. die sich Ihrer Tücke nicht versehen?
Stoßen Sie zu. sag' ich Ihnen. Nein? Nun so sehen Sie her!" Mit einer
plötzlichen Bewegung zog sie sich von Kopf und Schultern den dicken Spitzen-
shawl. der ihre Gestalt verhüllt hatte, und trat vor ihn hin. „Sehen Sie
her!" rief sie leidenschaftlich, indem sie nach dem Busen und den Schultern
ihres weißen Kleides zeigte, die dunkel mit verblichnen Flecken gestreift und
'n Unheil verrathender Weise der Farbe verlustig gegangen waren. „Sehen
Sie, dieß ist das Kleid, welches ich an jenem Morgen trug, wo ich ihn
hier liegend fand — hier — blutend von Ihrem heimtückischen Messer.
Sehen Sie her! Sehen Sie wohl? Dieß ist sein Blut — das Blut meines
lieben Jungen! — von dem mir, so todt und verblichen es ist, ein einziger
Köpfen mehr gilt als der ganze lebendige Puls irgend eines andern Mannes.
Sehen Sie her! Ich komme zu Ihnen heut Abend getauft mit seinem Blute,
und wagen Sie nun zuzustoßen — wagen Sie durch mich wieder nach ihm
8U stoßen und wein Blut mit dem seinen zu verwischen! Stoßen Sie zu!
^es flehe Sie an. Stoßen Sie zu, wenn Sie irgendwie Erbarmen mit mir
h^ben, um Gotteswillen! Stoßen Sie zu, wenn Sie ein Mann sind! Sehen
S'e. hier lag sein Haupt auf meiner Schulter — hier hielt ich ihn an meiner
Brust, wo niemals — so wahr mir Gott helfe! — ein andrer Mann —
ach! taumelte gegen die Umzäunung, und etwas, das in Rance's
Hand geblitzt, siel vor ihre Füße hin; dann ein zweiter Blitz und ein Knall
bewirkton. daß er sich vor ihr im Staube wälzte, und über seinen im Todes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/347>, abgerufen am 26.06.2024.