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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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daß die hiesigen Zeitungen, auch die besseren, oft in Sensation machen.
Der Stoff dazu geht selten aus, und darf bei den gewissenlos redigirten
Blättern nie ausgehen. Jeder Unglücksfall auf Eisenbahnen oder Gewässern,
jede Scandalgeschichte in der höheren Gesellschaft, den Cirkeln der "oberen
Zehntausend", jede Criminalproceßverhandlung und Hinrichtung wird mit einer
Ausführlichkeit behandelt, als ob an jedem Wort das Wohl und Wehe des
Staates hinge. Diese ausführlichen. Niemanden schonenden Berichte, wie sie
dann wieder und wieder gedruckt in allen Blättern erscheinen, lassen leicht
den irrigen Glauben aufkommen, als wären hier solche Störungen der öff¬
entlichen Sicherheit und des friedlichen, ruhigen Lebens ebenso Tagesbedürf¬
niß und Allgewöhnliches, wie die Zeitungen selbst, welche sie veröffentlichen.
Man macht hier leicht, um die Zeitung zu füllen, aus einer Mücke einen
Elephanten, und in der Fremde, wo die Verhältnisse nicht richtig verstanden
werden, lebt dann eben nur der Elephant fort.

Daß diese Richtung der Tagespresse einen demoralisirenden Einfluß aus¬
übt, besonders auf die unreife Jugend, ist nicht zu leugnen ; wie gute Folgen
sie im einzelnen Fall auch oft haben mag. -- Es sind auch ganz bestimmte
Blätter und Blättchen, welche dieser Sensationsmanie besonders huldigen; diese
werden auch hier von den besseren Bürgern als Schandblätter bezeichnet und
verabscheut. Es sind schon zu öfteren Malen statistische Berichte veröffentlicht
worden, welche ein interessantes Licht werfen auf die Zahlen derer, den Cha¬
rakter derer, die diese Literatur besonders protegiren. Es sind die niedrigsten,
rohesten Volksschichten, aber auch die frömmelnden Massen der "oberen Zehn¬
tausend", während die anständigeren Zeitungen ihren Leserkreis hauptsächlich
unter soliden Geschäftsleuten, Farmern, fleißigen Gewerbtreibenden und den
Tausenden der besseren Arbeiterbevölkerung finden. Diese Manie, Sensations¬
nachrichten zu veröffentlichen, leitet die gewissenlos geführten Blätter oft auf
den Irrweg, solche Nachrichten auch aus Nichts zu fabrizieren. Und diese er¬
sonnenen Lügen und Scandalgeschichten gehen dann in alle Welt und werden
als Beispiel des wirklichen amerikanischen Lebens verbreitet und in der Fremde
geglaubt. Wenn man eine wöchentliche Ausgabe des N. U. Herald, dieser
größten, aber - auch schamlosesten der hiesigen Zeitungen -- des hiesigen Je¬
suitenblattes -- zur Hand nimmt, so möchte man glauben, es wäre hier
eigentlich außer Mord, Todtschlag, Fälschung, Verführung, Betrug und Brand¬
stiftung nichts an der Tagesordnung, und der Unbefangene muß sich unwill¬
kürlich fragen, wie bei solchen Zuständen ein Land, ein Volk sich so schnell
und schön entwickeln konnte, so rasch zu Reichthum und Bedeutung gelangen
konnte, wie die Vereinigten Staaten in nicht ganz 100 Jahren. Der Herald
ist, neben den Gaunerblättern Meellenee: I>o1le<z N<z>v8, Last LtZNLktion
OÄöstte, --- der Lesestoff aller Gauner, der großen, westlichen Metropole


daß die hiesigen Zeitungen, auch die besseren, oft in Sensation machen.
Der Stoff dazu geht selten aus, und darf bei den gewissenlos redigirten
Blättern nie ausgehen. Jeder Unglücksfall auf Eisenbahnen oder Gewässern,
jede Scandalgeschichte in der höheren Gesellschaft, den Cirkeln der „oberen
Zehntausend", jede Criminalproceßverhandlung und Hinrichtung wird mit einer
Ausführlichkeit behandelt, als ob an jedem Wort das Wohl und Wehe des
Staates hinge. Diese ausführlichen. Niemanden schonenden Berichte, wie sie
dann wieder und wieder gedruckt in allen Blättern erscheinen, lassen leicht
den irrigen Glauben aufkommen, als wären hier solche Störungen der öff¬
entlichen Sicherheit und des friedlichen, ruhigen Lebens ebenso Tagesbedürf¬
niß und Allgewöhnliches, wie die Zeitungen selbst, welche sie veröffentlichen.
Man macht hier leicht, um die Zeitung zu füllen, aus einer Mücke einen
Elephanten, und in der Fremde, wo die Verhältnisse nicht richtig verstanden
werden, lebt dann eben nur der Elephant fort.

Daß diese Richtung der Tagespresse einen demoralisirenden Einfluß aus¬
übt, besonders auf die unreife Jugend, ist nicht zu leugnen ; wie gute Folgen
sie im einzelnen Fall auch oft haben mag. — Es sind auch ganz bestimmte
Blätter und Blättchen, welche dieser Sensationsmanie besonders huldigen; diese
werden auch hier von den besseren Bürgern als Schandblätter bezeichnet und
verabscheut. Es sind schon zu öfteren Malen statistische Berichte veröffentlicht
worden, welche ein interessantes Licht werfen auf die Zahlen derer, den Cha¬
rakter derer, die diese Literatur besonders protegiren. Es sind die niedrigsten,
rohesten Volksschichten, aber auch die frömmelnden Massen der „oberen Zehn¬
tausend", während die anständigeren Zeitungen ihren Leserkreis hauptsächlich
unter soliden Geschäftsleuten, Farmern, fleißigen Gewerbtreibenden und den
Tausenden der besseren Arbeiterbevölkerung finden. Diese Manie, Sensations¬
nachrichten zu veröffentlichen, leitet die gewissenlos geführten Blätter oft auf
den Irrweg, solche Nachrichten auch aus Nichts zu fabrizieren. Und diese er¬
sonnenen Lügen und Scandalgeschichten gehen dann in alle Welt und werden
als Beispiel des wirklichen amerikanischen Lebens verbreitet und in der Fremde
geglaubt. Wenn man eine wöchentliche Ausgabe des N. U. Herald, dieser
größten, aber - auch schamlosesten der hiesigen Zeitungen — des hiesigen Je¬
suitenblattes — zur Hand nimmt, so möchte man glauben, es wäre hier
eigentlich außer Mord, Todtschlag, Fälschung, Verführung, Betrug und Brand¬
stiftung nichts an der Tagesordnung, und der Unbefangene muß sich unwill¬
kürlich fragen, wie bei solchen Zuständen ein Land, ein Volk sich so schnell
und schön entwickeln konnte, so rasch zu Reichthum und Bedeutung gelangen
konnte, wie die Vereinigten Staaten in nicht ganz 100 Jahren. Der Herald
ist, neben den Gaunerblättern Meellenee: I>o1le<z N<z>v8, Last LtZNLktion
OÄöstte, —- der Lesestoff aller Gauner, der großen, westlichen Metropole


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[0322] daß die hiesigen Zeitungen, auch die besseren, oft in Sensation machen. Der Stoff dazu geht selten aus, und darf bei den gewissenlos redigirten Blättern nie ausgehen. Jeder Unglücksfall auf Eisenbahnen oder Gewässern, jede Scandalgeschichte in der höheren Gesellschaft, den Cirkeln der „oberen Zehntausend", jede Criminalproceßverhandlung und Hinrichtung wird mit einer Ausführlichkeit behandelt, als ob an jedem Wort das Wohl und Wehe des Staates hinge. Diese ausführlichen. Niemanden schonenden Berichte, wie sie dann wieder und wieder gedruckt in allen Blättern erscheinen, lassen leicht den irrigen Glauben aufkommen, als wären hier solche Störungen der öff¬ entlichen Sicherheit und des friedlichen, ruhigen Lebens ebenso Tagesbedürf¬ niß und Allgewöhnliches, wie die Zeitungen selbst, welche sie veröffentlichen. Man macht hier leicht, um die Zeitung zu füllen, aus einer Mücke einen Elephanten, und in der Fremde, wo die Verhältnisse nicht richtig verstanden werden, lebt dann eben nur der Elephant fort. Daß diese Richtung der Tagespresse einen demoralisirenden Einfluß aus¬ übt, besonders auf die unreife Jugend, ist nicht zu leugnen ; wie gute Folgen sie im einzelnen Fall auch oft haben mag. — Es sind auch ganz bestimmte Blätter und Blättchen, welche dieser Sensationsmanie besonders huldigen; diese werden auch hier von den besseren Bürgern als Schandblätter bezeichnet und verabscheut. Es sind schon zu öfteren Malen statistische Berichte veröffentlicht worden, welche ein interessantes Licht werfen auf die Zahlen derer, den Cha¬ rakter derer, die diese Literatur besonders protegiren. Es sind die niedrigsten, rohesten Volksschichten, aber auch die frömmelnden Massen der „oberen Zehn¬ tausend", während die anständigeren Zeitungen ihren Leserkreis hauptsächlich unter soliden Geschäftsleuten, Farmern, fleißigen Gewerbtreibenden und den Tausenden der besseren Arbeiterbevölkerung finden. Diese Manie, Sensations¬ nachrichten zu veröffentlichen, leitet die gewissenlos geführten Blätter oft auf den Irrweg, solche Nachrichten auch aus Nichts zu fabrizieren. Und diese er¬ sonnenen Lügen und Scandalgeschichten gehen dann in alle Welt und werden als Beispiel des wirklichen amerikanischen Lebens verbreitet und in der Fremde geglaubt. Wenn man eine wöchentliche Ausgabe des N. U. Herald, dieser größten, aber - auch schamlosesten der hiesigen Zeitungen — des hiesigen Je¬ suitenblattes — zur Hand nimmt, so möchte man glauben, es wäre hier eigentlich außer Mord, Todtschlag, Fälschung, Verführung, Betrug und Brand¬ stiftung nichts an der Tagesordnung, und der Unbefangene muß sich unwill¬ kürlich fragen, wie bei solchen Zuständen ein Land, ein Volk sich so schnell und schön entwickeln konnte, so rasch zu Reichthum und Bedeutung gelangen konnte, wie die Vereinigten Staaten in nicht ganz 100 Jahren. Der Herald ist, neben den Gaunerblättern Meellenee: I>o1le<z N<z>v8, Last LtZNLktion OÄöstte, —- der Lesestoff aller Gauner, der großen, westlichen Metropole

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/322>, abgerufen am 06.02.2025.