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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Rothert im Gasthofe ein, um mich zur Kirche abzuholen. Er hatte es offen¬
bar sehr eilig. Ich war indeß noch im Ankleiden begriffen und bat ihn vo¬
raus zu gehen. Bald nachher folgte ich ihm. Vor der Kirche traf ich bereits
eine Menge Menschen, begierig, den neuen Prediger zu sehen, der frisch aus
Deutschland gekommen war -- begierig möglicherweise auch auf den Skandal,
den der alte machen würde. Nicht überflüssig möchte sein, zu bemerken, daß
dieser neue Prediger keinen Talar und auch keinen schwarzen Frack, sondern
einen braunen Rock mi-t schwarzer Sammetweste und blauen Beinkleidern trug,
und daß niemand daran irgendwie Anstoß nahm. Die Glocke läutete, und die
Orgel ging. In Begleitung zweier Kirchenräthe, die mich aus den Stufen
vor dem Eingange empfingen und sich dann -- verdächtig genug -- statt auf
ihre gewöhnlichen Plätze, wie zwei Riesen, die das Zauberschloß bewachen,
vor den Altar setzten, bestieg ich die Kanzel und schlug die Gebet- und Ge¬
sangbücher auf. Der Organist begann das erste Lied, während Schiff und
Emporkirche sich rasch Kopf an Kopf füllten. Der letzte Vers war ziemlich
zu Ende, und eben wollte ich mich zum Morgengebet erheben, als zu meiner
nicht geringen Ueberraschung in der offnen Hauptthür mir gegenüber das Ge¬
sicht des Pastors erschien, dem einen Augenblick darauf Leib und Beine die
Stufen herauf nachfolgten. Ich begriff jetzt die Eile Rotherts. Göbel war
zu rechter Zeit und doch zu spät gekommen. Der Kirchenrath hatte den
Gottesdienst um zehn Minuten früher als sonst üblich anfangen lassen. In-,
deß Ehrwürden hatte eine eiserne Stirn. Gravitätisch schritt er den Mittel¬
gang entlang auf die Kanzel zu, mit der nur zu deutlichen Absicht, mich,
koste es, was es wolle, von der ihm gebührenden Stelle zu verdrängen. Da
-- er mochte noch drei Schritte von dem Geländer entfernt sein, das Altar
und Kanzel von dem Schiffe abschloß -- erhoben sich die beiden Riesen nach
ihrer vollen Länge und vertraten ihm den Weg. Ein Parlamentiren erfolgte,
ein lebhaftes Mienenspiel ergänzte, was ich von den unten gewechselten Wor¬
ten nicht verstand. Wenig fehlte, so brach der laute Zank wieder los, und
von dem war es, wie ich jetzt wußte, nicht weit zum Handgemenge. So war
denn ein Entschluß zu fassen und zwar ohne Zeitverlust, wenn der Gottes¬
frieden hier nicht abermals gebrochen werden sollte -- ein Fall, den ohne
Zweifel mehr als Einer mir zugerechnet hätte.

Ich griff daher---Aller Augen schienen auf mich zu warten -- rasch fertig
nach meinem Hute, ging hinunter, von der Kanzel und -- die ganze Gemeinde
stand rauschend auf, Einige traten auf die Bänke, über die Brüstung der
Einporkirche hingen lauschende Köpfe -- auf den Pastor zu, der wie ein
Puter kollerte. "Herr Pfarrer." sagte ich ihm bescheiden (deßgleichen wohl
auch ein wenig befangen, wie ich heute einschalte), "wenn Sie gekommen sind,


Rothert im Gasthofe ein, um mich zur Kirche abzuholen. Er hatte es offen¬
bar sehr eilig. Ich war indeß noch im Ankleiden begriffen und bat ihn vo¬
raus zu gehen. Bald nachher folgte ich ihm. Vor der Kirche traf ich bereits
eine Menge Menschen, begierig, den neuen Prediger zu sehen, der frisch aus
Deutschland gekommen war — begierig möglicherweise auch auf den Skandal,
den der alte machen würde. Nicht überflüssig möchte sein, zu bemerken, daß
dieser neue Prediger keinen Talar und auch keinen schwarzen Frack, sondern
einen braunen Rock mi-t schwarzer Sammetweste und blauen Beinkleidern trug,
und daß niemand daran irgendwie Anstoß nahm. Die Glocke läutete, und die
Orgel ging. In Begleitung zweier Kirchenräthe, die mich aus den Stufen
vor dem Eingange empfingen und sich dann — verdächtig genug — statt auf
ihre gewöhnlichen Plätze, wie zwei Riesen, die das Zauberschloß bewachen,
vor den Altar setzten, bestieg ich die Kanzel und schlug die Gebet- und Ge¬
sangbücher auf. Der Organist begann das erste Lied, während Schiff und
Emporkirche sich rasch Kopf an Kopf füllten. Der letzte Vers war ziemlich
zu Ende, und eben wollte ich mich zum Morgengebet erheben, als zu meiner
nicht geringen Ueberraschung in der offnen Hauptthür mir gegenüber das Ge¬
sicht des Pastors erschien, dem einen Augenblick darauf Leib und Beine die
Stufen herauf nachfolgten. Ich begriff jetzt die Eile Rotherts. Göbel war
zu rechter Zeit und doch zu spät gekommen. Der Kirchenrath hatte den
Gottesdienst um zehn Minuten früher als sonst üblich anfangen lassen. In-,
deß Ehrwürden hatte eine eiserne Stirn. Gravitätisch schritt er den Mittel¬
gang entlang auf die Kanzel zu, mit der nur zu deutlichen Absicht, mich,
koste es, was es wolle, von der ihm gebührenden Stelle zu verdrängen. Da
— er mochte noch drei Schritte von dem Geländer entfernt sein, das Altar
und Kanzel von dem Schiffe abschloß — erhoben sich die beiden Riesen nach
ihrer vollen Länge und vertraten ihm den Weg. Ein Parlamentiren erfolgte,
ein lebhaftes Mienenspiel ergänzte, was ich von den unten gewechselten Wor¬
ten nicht verstand. Wenig fehlte, so brach der laute Zank wieder los, und
von dem war es, wie ich jetzt wußte, nicht weit zum Handgemenge. So war
denn ein Entschluß zu fassen und zwar ohne Zeitverlust, wenn der Gottes¬
frieden hier nicht abermals gebrochen werden sollte — ein Fall, den ohne
Zweifel mehr als Einer mir zugerechnet hätte.

Ich griff daher—-Aller Augen schienen auf mich zu warten — rasch fertig
nach meinem Hute, ging hinunter, von der Kanzel und — die ganze Gemeinde
stand rauschend auf, Einige traten auf die Bänke, über die Brüstung der
Einporkirche hingen lauschende Köpfe — auf den Pastor zu, der wie ein
Puter kollerte. „Herr Pfarrer." sagte ich ihm bescheiden (deßgleichen wohl
auch ein wenig befangen, wie ich heute einschalte), „wenn Sie gekommen sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/30>, abgerufen am 06.02.2025.