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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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modernen; diesen fehlt in höherem Grade die Strenge der selbstgeübten
Zucht; Ausnahmen wie Platen, sind nur um so rühmlicher. Selbst an
Ovid aber tadeln die alten Kritiker, daß er seine quellende Fülle nicht noch
mehr beschränkt, nicht die Selbstbeherrschung geübt habe, zu rechter Zeit den
tändelnden Spielen seiner Kraft Einhalt zu thun. Gehörte eine solche Be¬
gabung unserem schreibseligen Jahrhundert an, wir würden wahrscheinlich
noch eine ganz andere Fruchtbarkeit, als die Ovid'sche, erleben. Freilich haben
sich's die unserigen leider in einem Punkte leichter gemacht und vermöge
der unendlichen Langmuth des Publikums leichter machen dürfen -- in der
Behandlung der Form.

Hier herrscht bekanntlich nichts weniger als Gesetz, sondern Willkür
oder wenn man will, das Gesetz der Bequemlichkeit; in der Bestimmung
der Silbenmessung hält es Jeder, wie er es vor seinem Gewissen verant¬
worten kann , wenn er überhaupt eines hat; er webt und strebt nach Be¬
dürfniß das eine, kippt und rippt das andere gegen dessen innerste Natur,
macht aus den zwei oder mehr Reimen ebenso viele feindliche Brüder und
entschuldigt sich -- wenigstens auf deutschem Gebiet -- am Ende mit der
mangelnden Codification des Regelnschatzes durch eine höchste Instanz, d. h. eine
Academie der Sprache. Dergleichen Aus- und Zuflüchte fehlten den Alten:
die formelle, d. h. hier, metrische Handhabung der Sprache ließ auch nicht
einem Schatten von Willkür Raum, hier gab es keine Laune und individuelle
Auffassungen, sondern Gesetze Rud zwar eben so scharf und unerbittlich als
die des Lorpus Mris sind. Eine gewisse Corinna, die, wenn auch vielleicht
kein reines Phantasiebild, sondern eine leibhaftige Italienerin mit Fleisch und
Blut, die aber jedenfalls unter erdichteten Namen vom Dichter eingeführt
wird, hatte seinem poetischen Gestaltungstrieb Nahrung gegeben, ihr gelten
seine ersten Lieder. Wir besitzen diese Liebeselegien (III Bücher) jetzt noch'-
sie tragen alle Eigenthümlichkeiten der Ovid'schen Muse: leichtfließende, graci¬
öse Diction, aus welcher hie und da rhetorische Farbeneffecte schimmern, Be¬
weglichkeit, wenn auch nicht gerade Tiefe des Gedankenspieles -- die Tiefe
war schon durch den Gegenstand ausgeschlossen -- Leichtigkeit der Erfindung
in den vorgeführten Situationen, bei der unverhülltesten Darstellung des
Sinnlichen, natürliche Naivetät des Ausdruckes, weniger der Empfindung,
und alles das im kaum empfundenen Bann einer bewundernswerthen rhrM
mischen Kunst.

Indeß eigentlich schöpferisch ist Ovid auf diesem Gebiete nicht. Die Ele¬
gien eines Tibull, Gallus, Properz bewegten sich in demselben Gedankenkreise!
es war der erotische. Die Liebe, die hier gefeiert wird, trägt allerdings keine
hohen oder höchsten Ziele in sich, sie ist, ausgesprochener Maaßen, die der
Sinne, welche erwächst aus dem vertrauten Umgang mit den Schönen des


modernen; diesen fehlt in höherem Grade die Strenge der selbstgeübten
Zucht; Ausnahmen wie Platen, sind nur um so rühmlicher. Selbst an
Ovid aber tadeln die alten Kritiker, daß er seine quellende Fülle nicht noch
mehr beschränkt, nicht die Selbstbeherrschung geübt habe, zu rechter Zeit den
tändelnden Spielen seiner Kraft Einhalt zu thun. Gehörte eine solche Be¬
gabung unserem schreibseligen Jahrhundert an, wir würden wahrscheinlich
noch eine ganz andere Fruchtbarkeit, als die Ovid'sche, erleben. Freilich haben
sich's die unserigen leider in einem Punkte leichter gemacht und vermöge
der unendlichen Langmuth des Publikums leichter machen dürfen — in der
Behandlung der Form.

Hier herrscht bekanntlich nichts weniger als Gesetz, sondern Willkür
oder wenn man will, das Gesetz der Bequemlichkeit; in der Bestimmung
der Silbenmessung hält es Jeder, wie er es vor seinem Gewissen verant¬
worten kann , wenn er überhaupt eines hat; er webt und strebt nach Be¬
dürfniß das eine, kippt und rippt das andere gegen dessen innerste Natur,
macht aus den zwei oder mehr Reimen ebenso viele feindliche Brüder und
entschuldigt sich — wenigstens auf deutschem Gebiet — am Ende mit der
mangelnden Codification des Regelnschatzes durch eine höchste Instanz, d. h. eine
Academie der Sprache. Dergleichen Aus- und Zuflüchte fehlten den Alten:
die formelle, d. h. hier, metrische Handhabung der Sprache ließ auch nicht
einem Schatten von Willkür Raum, hier gab es keine Laune und individuelle
Auffassungen, sondern Gesetze Rud zwar eben so scharf und unerbittlich als
die des Lorpus Mris sind. Eine gewisse Corinna, die, wenn auch vielleicht
kein reines Phantasiebild, sondern eine leibhaftige Italienerin mit Fleisch und
Blut, die aber jedenfalls unter erdichteten Namen vom Dichter eingeführt
wird, hatte seinem poetischen Gestaltungstrieb Nahrung gegeben, ihr gelten
seine ersten Lieder. Wir besitzen diese Liebeselegien (III Bücher) jetzt noch'-
sie tragen alle Eigenthümlichkeiten der Ovid'schen Muse: leichtfließende, graci¬
öse Diction, aus welcher hie und da rhetorische Farbeneffecte schimmern, Be¬
weglichkeit, wenn auch nicht gerade Tiefe des Gedankenspieles — die Tiefe
war schon durch den Gegenstand ausgeschlossen — Leichtigkeit der Erfindung
in den vorgeführten Situationen, bei der unverhülltesten Darstellung des
Sinnlichen, natürliche Naivetät des Ausdruckes, weniger der Empfindung,
und alles das im kaum empfundenen Bann einer bewundernswerthen rhrM
mischen Kunst.

Indeß eigentlich schöpferisch ist Ovid auf diesem Gebiete nicht. Die Ele¬
gien eines Tibull, Gallus, Properz bewegten sich in demselben Gedankenkreise!
es war der erotische. Die Liebe, die hier gefeiert wird, trägt allerdings keine
hohen oder höchsten Ziele in sich, sie ist, ausgesprochener Maaßen, die der
Sinne, welche erwächst aus dem vertrauten Umgang mit den Schönen des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/292>, abgerufen am 06.02.2025.