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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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gerührt, etwa wie ein redlicher Schuldner, der auch die Wucherzinsen zahlt,
die er versprochen hat. "Ich ließ mich niemals lumpen!" ruft er aus, und
betont mit besonderem Behagen, wie kostbar der Purpurmantel ist, den er
von der eignen Schulter auf Brutus Leichnam niedersenkt. Dann aber setzt
er gleich hinzu:
Doch um genug des Ernstes, meine Freunde,
Nun kommt das Beste vom Triumph, das Fest;
Wir wollen schmausen, Mansch schmausen!

Es entspricht durchaus der veränderten Auffassung dieses Charakters, daß
auch die Leichenrede des Antonius an das Volk weit weniger diplomatisch
und raffinirt gehalten wird, als bei Shakespeare. Die Leichenrede bei Shakespeare
könnte zur Noth auch uns, die wir sie hören, überzeugen, sie kann stellen¬
weise auch die Edleren im "Volke" hinreißen zur Entrüstung über den Mord
und die Mörder. Bei Kruse sucht Antonius von Haus aus nur die Bestie
in seinen Hörern zu entfesseln mit routinirter demagogischer Rhetorik. Am
Scheiterhaufen des todten Caesar zündet der Pöbel die Feuerbrände an-, um
der Verschworenen Häuser einzuäschern, und Antonius bricht, wie der
Haufen abgezogen, in grimmiges Lachen aus und kann sich den Kalauer
nicht versagen:
Ist das nicht zündende Beredsamkeit?
Daß vom vierten Act an Kruse's "Brutus" durchaus anders sich entwickelt,
wie Shakespeare's Caesar, wird von Allen zugegeben; wir dürfen uns daher
mit Hervorhebung der wichtigsten Momente der Kruse'schen Composition begnü¬
gen. Das Volk tritt bei Shakespeare mit der Vertreibung der Mörder (nicht blos
symbolisch) ganz vom Schauplatz zurück; statt des Volkes spielen bei Shakespeare
vom Anfang des vierten Actes an nur noch die Triumvirn -- die sich schon
in der ersten Scene berathen -- und die Feldherrn des republikanischen Heeres
eine Rolle. Bei Kruse beginnt der vierte Act mit einer Straßenscene. Die
Bürger unterhalten sich über die Lage der Republik. "Alles ist futsch", ist et¬
wa die Moral ihres Dialogs -- "Antonius hat die Republik in seiner Tasche."
Antonius und Lepidus wandeln die Straße herab; das Volk verzieht sich ge¬
räuschlos. Die Charaktere des energischen Schlemmers Antonius und der
aufgeblasenen Null Lepidus sind in dem nun folgenden Dialog brillant ge¬
zeichnet. Auch auf der Bühne muß die Scene von drastischster Wirkung sein.
Antonius renommirt wie ein Gott, welche Gutthaten er den verschiedenen
Völkern erweisen will. "Doch nicht umsonst", ruft Lepidus.
Ant.

Nun das versteht sich!
Für nichts wird nichts gegeben! ist in Rom
Das einzige Gesetz noch, das man hält.

Du würdest reicher bald als Crösus werden,
Wenn Du auf Reichthum hieltest.

Lep.

gerührt, etwa wie ein redlicher Schuldner, der auch die Wucherzinsen zahlt,
die er versprochen hat. „Ich ließ mich niemals lumpen!" ruft er aus, und
betont mit besonderem Behagen, wie kostbar der Purpurmantel ist, den er
von der eignen Schulter auf Brutus Leichnam niedersenkt. Dann aber setzt
er gleich hinzu:
Doch um genug des Ernstes, meine Freunde,
Nun kommt das Beste vom Triumph, das Fest;
Wir wollen schmausen, Mansch schmausen!

Es entspricht durchaus der veränderten Auffassung dieses Charakters, daß
auch die Leichenrede des Antonius an das Volk weit weniger diplomatisch
und raffinirt gehalten wird, als bei Shakespeare. Die Leichenrede bei Shakespeare
könnte zur Noth auch uns, die wir sie hören, überzeugen, sie kann stellen¬
weise auch die Edleren im „Volke" hinreißen zur Entrüstung über den Mord
und die Mörder. Bei Kruse sucht Antonius von Haus aus nur die Bestie
in seinen Hörern zu entfesseln mit routinirter demagogischer Rhetorik. Am
Scheiterhaufen des todten Caesar zündet der Pöbel die Feuerbrände an-, um
der Verschworenen Häuser einzuäschern, und Antonius bricht, wie der
Haufen abgezogen, in grimmiges Lachen aus und kann sich den Kalauer
nicht versagen:
Ist das nicht zündende Beredsamkeit?
Daß vom vierten Act an Kruse's „Brutus" durchaus anders sich entwickelt,
wie Shakespeare's Caesar, wird von Allen zugegeben; wir dürfen uns daher
mit Hervorhebung der wichtigsten Momente der Kruse'schen Composition begnü¬
gen. Das Volk tritt bei Shakespeare mit der Vertreibung der Mörder (nicht blos
symbolisch) ganz vom Schauplatz zurück; statt des Volkes spielen bei Shakespeare
vom Anfang des vierten Actes an nur noch die Triumvirn — die sich schon
in der ersten Scene berathen — und die Feldherrn des republikanischen Heeres
eine Rolle. Bei Kruse beginnt der vierte Act mit einer Straßenscene. Die
Bürger unterhalten sich über die Lage der Republik. „Alles ist futsch", ist et¬
wa die Moral ihres Dialogs — „Antonius hat die Republik in seiner Tasche."
Antonius und Lepidus wandeln die Straße herab; das Volk verzieht sich ge¬
räuschlos. Die Charaktere des energischen Schlemmers Antonius und der
aufgeblasenen Null Lepidus sind in dem nun folgenden Dialog brillant ge¬
zeichnet. Auch auf der Bühne muß die Scene von drastischster Wirkung sein.
Antonius renommirt wie ein Gott, welche Gutthaten er den verschiedenen
Völkern erweisen will. „Doch nicht umsonst", ruft Lepidus.
Ant.

Nun das versteht sich!
Für nichts wird nichts gegeben! ist in Rom
Das einzige Gesetz noch, das man hält.

Du würdest reicher bald als Crösus werden,
Wenn Du auf Reichthum hieltest.

Lep.

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[0258] gerührt, etwa wie ein redlicher Schuldner, der auch die Wucherzinsen zahlt, die er versprochen hat. „Ich ließ mich niemals lumpen!" ruft er aus, und betont mit besonderem Behagen, wie kostbar der Purpurmantel ist, den er von der eignen Schulter auf Brutus Leichnam niedersenkt. Dann aber setzt er gleich hinzu: Doch um genug des Ernstes, meine Freunde, Nun kommt das Beste vom Triumph, das Fest; Wir wollen schmausen, Mansch schmausen! Es entspricht durchaus der veränderten Auffassung dieses Charakters, daß auch die Leichenrede des Antonius an das Volk weit weniger diplomatisch und raffinirt gehalten wird, als bei Shakespeare. Die Leichenrede bei Shakespeare könnte zur Noth auch uns, die wir sie hören, überzeugen, sie kann stellen¬ weise auch die Edleren im „Volke" hinreißen zur Entrüstung über den Mord und die Mörder. Bei Kruse sucht Antonius von Haus aus nur die Bestie in seinen Hörern zu entfesseln mit routinirter demagogischer Rhetorik. Am Scheiterhaufen des todten Caesar zündet der Pöbel die Feuerbrände an-, um der Verschworenen Häuser einzuäschern, und Antonius bricht, wie der Haufen abgezogen, in grimmiges Lachen aus und kann sich den Kalauer nicht versagen: Ist das nicht zündende Beredsamkeit? Daß vom vierten Act an Kruse's „Brutus" durchaus anders sich entwickelt, wie Shakespeare's Caesar, wird von Allen zugegeben; wir dürfen uns daher mit Hervorhebung der wichtigsten Momente der Kruse'schen Composition begnü¬ gen. Das Volk tritt bei Shakespeare mit der Vertreibung der Mörder (nicht blos symbolisch) ganz vom Schauplatz zurück; statt des Volkes spielen bei Shakespeare vom Anfang des vierten Actes an nur noch die Triumvirn — die sich schon in der ersten Scene berathen — und die Feldherrn des republikanischen Heeres eine Rolle. Bei Kruse beginnt der vierte Act mit einer Straßenscene. Die Bürger unterhalten sich über die Lage der Republik. „Alles ist futsch", ist et¬ wa die Moral ihres Dialogs — „Antonius hat die Republik in seiner Tasche." Antonius und Lepidus wandeln die Straße herab; das Volk verzieht sich ge¬ räuschlos. Die Charaktere des energischen Schlemmers Antonius und der aufgeblasenen Null Lepidus sind in dem nun folgenden Dialog brillant ge¬ zeichnet. Auch auf der Bühne muß die Scene von drastischster Wirkung sein. Antonius renommirt wie ein Gott, welche Gutthaten er den verschiedenen Völkern erweisen will. „Doch nicht umsonst", ruft Lepidus. Ant. Nun das versteht sich! Für nichts wird nichts gegeben! ist in Rom Das einzige Gesetz noch, das man hält. Du würdest reicher bald als Crösus werden, Wenn Du auf Reichthum hieltest. Lep.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/258>, abgerufen am 06.02.2025.