Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mitten im Akte, noch vor der Leichenrede des Brutus erfährt Antonius bereits
das Herannahen des Octavian!

Vergleichen wir nun mit diesen, uns Allen geläufigen drei ersten Acten
Shakespeare's dieselben Akte des "Brutus" von Heinrich Kruse, die nach der
Ansicht großer Recensenten dem Shakespeare abgelauscht sein sollen.

Brutus hat die geheimnißvollen Zettel bereits erhalten, als der erste
Act beginnt. Er ist dadurch gleich von Anfang an tiefer erregt und auf
die Pflichten seines Namens dringender hingewiesen, als bei Shakespeare.
Schon ehe er mit Cassius gesprochen, am Schlüsse der ersten Scene sagt er:


Es geht auf Caesar.
Die Stimmen, die von außen kommen, würden
Mich wenig kümmern, wenn sich nicht verwandte
Auch hier idie H-"it auf die Brust lencnd) vernehmen ließen.

In dieser Stimmung trifft ihn Cassius, sein Schwager. Alles historische
Detail ist hier meisterhaft ausgenützt, um der Scene, die bei Shakespeare so
groß ist, durch den markigen Entwurf der Charakterzüge der beiden "letzten
Römer" das treue Gepräge der Zeit, der Lage, der Wahrscheinlichkeit zu ge¬
ben. So wie bei Kruse, genau so, kann Cassius zu Brutus gesprochen
haben, als er das erste Samenkorn zur Mitthäterschaft an der großen Ver¬
schwörung in seine Seele legte. Selbst die feinen Nuancen der Charakteristik,
die von Shakespeare abweichen, sind historisch, beglaubigt. Cassius lebte
bis dahin in Zwietracht mit Brutus. Der Schwager und Freund war
von Caesar mit der Prätur bedacht, die Cassius, der Aeltere von Beiden,
der Parthenfleger, selbst für sich ambirt hatte. Aber Caesar's Herz hatte
Brutus vorgezogen. Denn Alles ordnet der Mann jetzt nach seiner Willkühr:


"In einem Staate, dessen Nuhm das Recht
Und ehr'ne Strenge der Gesetze war."

Das ist Cassius' Schmerz und der Grund zu seinem Haß gegen Caesar.
Er weist auf den Nerv der großen Staatsfrage, auf die wundeste Stelle seines
Innern zugleich in einem einzigen Worte, durch welches Kruse in feinster
Weise das lateinische lies xublieg. in der Bedeutung, in der es durch
Caesar in Frage gestellt war, auch im Deutschen zur Anschauung bringt:


"Was ward, was ward aus unsrer Republik?
Die Republik! Es ist ein heil'ges Wort.
Ich schaudere vor Ehrfurcht, wenn ich es
Ausspreche; ach, und jetzt so tief entweiht!
Wir haben keine Republik mehr."

Und ebenso bedeutend ist das Wort des Cassius über Caesur's Popularitäts¬
taktik und Machtmittel:


[Beginn Spaltensatz] "Er wandelte den Weg der Gracchen, machte
Den Pöbel zu dem Hebel seiner Große,
Er rüttelte den Staat uns um und um,

[Spaltenumbruch]
Bis daß der Bodensatz sich oben fand:
Der Schaum ist mit der Hefe nah verwandt!"
[Ende Spaltensatz]
z.

Mitten im Akte, noch vor der Leichenrede des Brutus erfährt Antonius bereits
das Herannahen des Octavian!

Vergleichen wir nun mit diesen, uns Allen geläufigen drei ersten Acten
Shakespeare's dieselben Akte des „Brutus" von Heinrich Kruse, die nach der
Ansicht großer Recensenten dem Shakespeare abgelauscht sein sollen.

Brutus hat die geheimnißvollen Zettel bereits erhalten, als der erste
Act beginnt. Er ist dadurch gleich von Anfang an tiefer erregt und auf
die Pflichten seines Namens dringender hingewiesen, als bei Shakespeare.
Schon ehe er mit Cassius gesprochen, am Schlüsse der ersten Scene sagt er:


Es geht auf Caesar.
Die Stimmen, die von außen kommen, würden
Mich wenig kümmern, wenn sich nicht verwandte
Auch hier idie H-»it auf die Brust lencnd) vernehmen ließen.

In dieser Stimmung trifft ihn Cassius, sein Schwager. Alles historische
Detail ist hier meisterhaft ausgenützt, um der Scene, die bei Shakespeare so
groß ist, durch den markigen Entwurf der Charakterzüge der beiden „letzten
Römer" das treue Gepräge der Zeit, der Lage, der Wahrscheinlichkeit zu ge¬
ben. So wie bei Kruse, genau so, kann Cassius zu Brutus gesprochen
haben, als er das erste Samenkorn zur Mitthäterschaft an der großen Ver¬
schwörung in seine Seele legte. Selbst die feinen Nuancen der Charakteristik,
die von Shakespeare abweichen, sind historisch, beglaubigt. Cassius lebte
bis dahin in Zwietracht mit Brutus. Der Schwager und Freund war
von Caesar mit der Prätur bedacht, die Cassius, der Aeltere von Beiden,
der Parthenfleger, selbst für sich ambirt hatte. Aber Caesar's Herz hatte
Brutus vorgezogen. Denn Alles ordnet der Mann jetzt nach seiner Willkühr:


„In einem Staate, dessen Nuhm das Recht
Und ehr'ne Strenge der Gesetze war."

Das ist Cassius' Schmerz und der Grund zu seinem Haß gegen Caesar.
Er weist auf den Nerv der großen Staatsfrage, auf die wundeste Stelle seines
Innern zugleich in einem einzigen Worte, durch welches Kruse in feinster
Weise das lateinische lies xublieg. in der Bedeutung, in der es durch
Caesar in Frage gestellt war, auch im Deutschen zur Anschauung bringt:


„Was ward, was ward aus unsrer Republik?
Die Republik! Es ist ein heil'ges Wort.
Ich schaudere vor Ehrfurcht, wenn ich es
Ausspreche; ach, und jetzt so tief entweiht!
Wir haben keine Republik mehr."

Und ebenso bedeutend ist das Wort des Cassius über Caesur's Popularitäts¬
taktik und Machtmittel:


[Beginn Spaltensatz] »Er wandelte den Weg der Gracchen, machte
Den Pöbel zu dem Hebel seiner Große,
Er rüttelte den Staat uns um und um,

[Spaltenumbruch]
Bis daß der Bodensatz sich oben fand:
Der Schaum ist mit der Hefe nah verwandt!"
[Ende Spaltensatz]
z.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133541"/>
          <p xml:id="ID_820" prev="#ID_819"> Mitten im Akte, noch vor der Leichenrede des Brutus erfährt Antonius bereits<lb/>
das Herannahen des Octavian!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_821"> Vergleichen wir nun mit diesen, uns Allen geläufigen drei ersten Acten<lb/>
Shakespeare's dieselben Akte des &#x201E;Brutus" von Heinrich Kruse, die nach der<lb/>
Ansicht großer Recensenten dem Shakespeare abgelauscht sein sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_822"> Brutus hat die geheimnißvollen Zettel bereits erhalten, als der erste<lb/>
Act beginnt. Er ist dadurch gleich von Anfang an tiefer erregt und auf<lb/>
die Pflichten seines Namens dringender hingewiesen, als bei Shakespeare.<lb/>
Schon ehe er mit Cassius gesprochen, am Schlüsse der ersten Scene sagt er:</p><lb/>
          <quote> Es geht auf Caesar.<lb/>
Die Stimmen, die von außen kommen, würden<lb/>
Mich wenig kümmern, wenn sich nicht verwandte<lb/>
Auch hier idie H-»it auf die Brust lencnd) vernehmen ließen.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> In dieser Stimmung trifft ihn Cassius, sein Schwager. Alles historische<lb/>
Detail ist hier meisterhaft ausgenützt, um der Scene, die bei Shakespeare so<lb/>
groß ist, durch den markigen Entwurf der Charakterzüge der beiden &#x201E;letzten<lb/>
Römer" das treue Gepräge der Zeit, der Lage, der Wahrscheinlichkeit zu ge¬<lb/>
ben. So wie bei Kruse, genau so, kann Cassius zu Brutus gesprochen<lb/>
haben, als er das erste Samenkorn zur Mitthäterschaft an der großen Ver¬<lb/>
schwörung in seine Seele legte. Selbst die feinen Nuancen der Charakteristik,<lb/>
die von Shakespeare abweichen, sind historisch, beglaubigt. Cassius lebte<lb/>
bis dahin in Zwietracht mit Brutus. Der Schwager und Freund war<lb/>
von Caesar mit der Prätur bedacht, die Cassius, der Aeltere von Beiden,<lb/>
der Parthenfleger, selbst für sich ambirt hatte. Aber Caesar's Herz hatte<lb/>
Brutus vorgezogen.  Denn Alles ordnet der Mann jetzt nach seiner Willkühr:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;In einem Staate, dessen Nuhm das Recht<lb/>
Und ehr'ne Strenge der Gesetze war."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_824"> Das ist Cassius' Schmerz und der Grund zu seinem Haß gegen Caesar.<lb/>
Er weist auf den Nerv der großen Staatsfrage, auf die wundeste Stelle seines<lb/>
Innern zugleich in einem einzigen Worte, durch welches Kruse in feinster<lb/>
Weise das lateinische lies xublieg. in der Bedeutung, in der es durch<lb/>
Caesar in Frage gestellt war, auch im Deutschen zur Anschauung bringt:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Was ward, was ward aus unsrer Republik?<lb/>
Die Republik!  Es ist ein heil'ges Wort.<lb/>
Ich schaudere vor Ehrfurcht, wenn ich es<lb/>
Ausspreche; ach, und jetzt so tief entweiht!<lb/>
Wir haben keine Republik mehr."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_825" next="#ID_826"> Und ebenso bedeutend ist das Wort des Cassius über Caesur's Popularitäts¬<lb/>
taktik und Machtmittel:</p><lb/>
          <cb type="start"/>
          <quote> »Er wandelte den Weg der Gracchen, machte<lb/>
Den Pöbel zu dem Hebel seiner Große,<lb/>
Er rüttelte den Staat uns um und um,</quote><lb/>
          <cb/><lb/>
          <quote> Bis daß der Bodensatz sich oben fand:<lb/>
Der Schaum ist mit der Hefe nah verwandt!"</quote>
          <cb type="end"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> z. </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] Mitten im Akte, noch vor der Leichenrede des Brutus erfährt Antonius bereits das Herannahen des Octavian! Vergleichen wir nun mit diesen, uns Allen geläufigen drei ersten Acten Shakespeare's dieselben Akte des „Brutus" von Heinrich Kruse, die nach der Ansicht großer Recensenten dem Shakespeare abgelauscht sein sollen. Brutus hat die geheimnißvollen Zettel bereits erhalten, als der erste Act beginnt. Er ist dadurch gleich von Anfang an tiefer erregt und auf die Pflichten seines Namens dringender hingewiesen, als bei Shakespeare. Schon ehe er mit Cassius gesprochen, am Schlüsse der ersten Scene sagt er: Es geht auf Caesar. Die Stimmen, die von außen kommen, würden Mich wenig kümmern, wenn sich nicht verwandte Auch hier idie H-»it auf die Brust lencnd) vernehmen ließen. In dieser Stimmung trifft ihn Cassius, sein Schwager. Alles historische Detail ist hier meisterhaft ausgenützt, um der Scene, die bei Shakespeare so groß ist, durch den markigen Entwurf der Charakterzüge der beiden „letzten Römer" das treue Gepräge der Zeit, der Lage, der Wahrscheinlichkeit zu ge¬ ben. So wie bei Kruse, genau so, kann Cassius zu Brutus gesprochen haben, als er das erste Samenkorn zur Mitthäterschaft an der großen Ver¬ schwörung in seine Seele legte. Selbst die feinen Nuancen der Charakteristik, die von Shakespeare abweichen, sind historisch, beglaubigt. Cassius lebte bis dahin in Zwietracht mit Brutus. Der Schwager und Freund war von Caesar mit der Prätur bedacht, die Cassius, der Aeltere von Beiden, der Parthenfleger, selbst für sich ambirt hatte. Aber Caesar's Herz hatte Brutus vorgezogen. Denn Alles ordnet der Mann jetzt nach seiner Willkühr: „In einem Staate, dessen Nuhm das Recht Und ehr'ne Strenge der Gesetze war." Das ist Cassius' Schmerz und der Grund zu seinem Haß gegen Caesar. Er weist auf den Nerv der großen Staatsfrage, auf die wundeste Stelle seines Innern zugleich in einem einzigen Worte, durch welches Kruse in feinster Weise das lateinische lies xublieg. in der Bedeutung, in der es durch Caesar in Frage gestellt war, auch im Deutschen zur Anschauung bringt: „Was ward, was ward aus unsrer Republik? Die Republik! Es ist ein heil'ges Wort. Ich schaudere vor Ehrfurcht, wenn ich es Ausspreche; ach, und jetzt so tief entweiht! Wir haben keine Republik mehr." Und ebenso bedeutend ist das Wort des Cassius über Caesur's Popularitäts¬ taktik und Machtmittel: »Er wandelte den Weg der Gracchen, machte Den Pöbel zu dem Hebel seiner Große, Er rüttelte den Staat uns um und um, Bis daß der Bodensatz sich oben fand: Der Schaum ist mit der Hefe nah verwandt!" z.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/253>, abgerufen am 06.02.2025.