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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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als bei Shakespeare. Denn Shakespeare fällt gerade bei diesem Drama merk¬
würdigerweise zweimal in den ihm sonst völlig fremden Fehler. zusammenge¬
hörige Borgänge auseinanderzureißen und wiederholt dem Zuschauer vorzu¬
führen. Das eine Mal dadurch, daß er die Iden des März an den zweiten
und dritten Act vertheilt. Das andere Mal gar durch ein Hyfteron proteron
im IV. Acte 3. Scene. Hier erzählt nämlich Brutus dem Cassius den Tod -
der Porti" in allen Details und läßt sich selbst dann erst in der folgenden
Scene dieses tragische Ereigniß von Messala melden. Also nicht einmal der
annähernd gleiche Entwickelungsgang der drei ersten Acte in beiden Dramen
beruht auf einer blinden Nachahmung Shakespeare's durch Kruse. In ihrer
einzelnen Gliederung vollends sind sie so verschieden als möglich.

Shakespeare's Caesar beginnt bekanntlich mit der Vermahnung der pom-
pejanisch gesinnten Volkstribunen zum Auseinandergehen an die caesarisch ge¬
sinnte schaulustige Menge, welche Caesar und seinen Zug am Feste der Luver-
calien begrüßen möchte. Der Wahrsager warnt schon hier vor den Iden des
März. Folgt der Schwerpunkt des ersten Aktes: Das meisterhafte Zwiege¬
spräch zwischen Brutus und Cassius; dann die Aeußerung Caesar's zu An-
tonius über den magern Cassius; dann erzählt Caesar dem Cassius das Kro¬
nenangebot des Antonius an Caesar, das hinter der Scene stattgefunden.
Cassius überlegt das Mittel, anonyme aufreizende Zettel an Brutus zu sen¬
den, und wirbt am Ende des Aktes Cinna zu diesem Zwecke. Ein furchtbares
Gewitter und grauenvolle Zeichen deuten auf ungeheure Ereignisse. -- Der
zweite Act beginnt am Vorabend der Iden. Brutus hat die Zettel gefunden.
Sie haben gewirkt. Der Tod des Imperators ist bei ihm beschlossen. Die
Verschworenen kommen zu Brutus. Sie werden ihm mit gutbritischer Förm¬
lichkeit vorgestellt. Brutus lehnt sich gegen den Plan auf, den Antonius mit
Caesar zu tödten. Als die Geschworenen dem Tagesgrauen gewichen sind,
folgt des Brutus berühmtes Zwiegespräch mit Portia. Sie erfährt in unsrer
Gegenwart jedoch nicht das Geheimniß. Sie erhält nur das Versprechen,
daß ihr Brutus "seiner finstern Stirne Zeichenschrift" enthüllen wolle. -- Ein
Wechsel der Scene führt uns dann in Caesar's Palast; wir erfahren die grau¬
enhaften Zeichen der Götter. Calpuvnia bewegt Caesar zum Bleiben. De-
cimus überredet ihn, in den Senat zu gehen. In Gesellschaft des Antonius
und sämmtlicher Verschworener zieht Caesar nach dem Capital. Portia, die
unter dem ungeheuren Druck des ihr ungewissen anvertrauten Geheimnisses
und in fieberhafter Erwartung der Entscheidung fast zusammenbricht, schließt
den zweiten Act- -- Der dritte Act, wohl der bekannteste des ganzen Stückes,
führt uns von dem Beginn der Senatssitzung und der Mordscene bis zu den.
den Verschworenen so furchtbaren Folgen der Leichenrede des Antonius.


als bei Shakespeare. Denn Shakespeare fällt gerade bei diesem Drama merk¬
würdigerweise zweimal in den ihm sonst völlig fremden Fehler. zusammenge¬
hörige Borgänge auseinanderzureißen und wiederholt dem Zuschauer vorzu¬
führen. Das eine Mal dadurch, daß er die Iden des März an den zweiten
und dritten Act vertheilt. Das andere Mal gar durch ein Hyfteron proteron
im IV. Acte 3. Scene. Hier erzählt nämlich Brutus dem Cassius den Tod -
der Porti« in allen Details und läßt sich selbst dann erst in der folgenden
Scene dieses tragische Ereigniß von Messala melden. Also nicht einmal der
annähernd gleiche Entwickelungsgang der drei ersten Acte in beiden Dramen
beruht auf einer blinden Nachahmung Shakespeare's durch Kruse. In ihrer
einzelnen Gliederung vollends sind sie so verschieden als möglich.

Shakespeare's Caesar beginnt bekanntlich mit der Vermahnung der pom-
pejanisch gesinnten Volkstribunen zum Auseinandergehen an die caesarisch ge¬
sinnte schaulustige Menge, welche Caesar und seinen Zug am Feste der Luver-
calien begrüßen möchte. Der Wahrsager warnt schon hier vor den Iden des
März. Folgt der Schwerpunkt des ersten Aktes: Das meisterhafte Zwiege¬
spräch zwischen Brutus und Cassius; dann die Aeußerung Caesar's zu An-
tonius über den magern Cassius; dann erzählt Caesar dem Cassius das Kro¬
nenangebot des Antonius an Caesar, das hinter der Scene stattgefunden.
Cassius überlegt das Mittel, anonyme aufreizende Zettel an Brutus zu sen¬
den, und wirbt am Ende des Aktes Cinna zu diesem Zwecke. Ein furchtbares
Gewitter und grauenvolle Zeichen deuten auf ungeheure Ereignisse. — Der
zweite Act beginnt am Vorabend der Iden. Brutus hat die Zettel gefunden.
Sie haben gewirkt. Der Tod des Imperators ist bei ihm beschlossen. Die
Verschworenen kommen zu Brutus. Sie werden ihm mit gutbritischer Förm¬
lichkeit vorgestellt. Brutus lehnt sich gegen den Plan auf, den Antonius mit
Caesar zu tödten. Als die Geschworenen dem Tagesgrauen gewichen sind,
folgt des Brutus berühmtes Zwiegespräch mit Portia. Sie erfährt in unsrer
Gegenwart jedoch nicht das Geheimniß. Sie erhält nur das Versprechen,
daß ihr Brutus „seiner finstern Stirne Zeichenschrift" enthüllen wolle. — Ein
Wechsel der Scene führt uns dann in Caesar's Palast; wir erfahren die grau¬
enhaften Zeichen der Götter. Calpuvnia bewegt Caesar zum Bleiben. De-
cimus überredet ihn, in den Senat zu gehen. In Gesellschaft des Antonius
und sämmtlicher Verschworener zieht Caesar nach dem Capital. Portia, die
unter dem ungeheuren Druck des ihr ungewissen anvertrauten Geheimnisses
und in fieberhafter Erwartung der Entscheidung fast zusammenbricht, schließt
den zweiten Act- — Der dritte Act, wohl der bekannteste des ganzen Stückes,
führt uns von dem Beginn der Senatssitzung und der Mordscene bis zu den.
den Verschworenen so furchtbaren Folgen der Leichenrede des Antonius.


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[0252] als bei Shakespeare. Denn Shakespeare fällt gerade bei diesem Drama merk¬ würdigerweise zweimal in den ihm sonst völlig fremden Fehler. zusammenge¬ hörige Borgänge auseinanderzureißen und wiederholt dem Zuschauer vorzu¬ führen. Das eine Mal dadurch, daß er die Iden des März an den zweiten und dritten Act vertheilt. Das andere Mal gar durch ein Hyfteron proteron im IV. Acte 3. Scene. Hier erzählt nämlich Brutus dem Cassius den Tod - der Porti« in allen Details und läßt sich selbst dann erst in der folgenden Scene dieses tragische Ereigniß von Messala melden. Also nicht einmal der annähernd gleiche Entwickelungsgang der drei ersten Acte in beiden Dramen beruht auf einer blinden Nachahmung Shakespeare's durch Kruse. In ihrer einzelnen Gliederung vollends sind sie so verschieden als möglich. Shakespeare's Caesar beginnt bekanntlich mit der Vermahnung der pom- pejanisch gesinnten Volkstribunen zum Auseinandergehen an die caesarisch ge¬ sinnte schaulustige Menge, welche Caesar und seinen Zug am Feste der Luver- calien begrüßen möchte. Der Wahrsager warnt schon hier vor den Iden des März. Folgt der Schwerpunkt des ersten Aktes: Das meisterhafte Zwiege¬ spräch zwischen Brutus und Cassius; dann die Aeußerung Caesar's zu An- tonius über den magern Cassius; dann erzählt Caesar dem Cassius das Kro¬ nenangebot des Antonius an Caesar, das hinter der Scene stattgefunden. Cassius überlegt das Mittel, anonyme aufreizende Zettel an Brutus zu sen¬ den, und wirbt am Ende des Aktes Cinna zu diesem Zwecke. Ein furchtbares Gewitter und grauenvolle Zeichen deuten auf ungeheure Ereignisse. — Der zweite Act beginnt am Vorabend der Iden. Brutus hat die Zettel gefunden. Sie haben gewirkt. Der Tod des Imperators ist bei ihm beschlossen. Die Verschworenen kommen zu Brutus. Sie werden ihm mit gutbritischer Förm¬ lichkeit vorgestellt. Brutus lehnt sich gegen den Plan auf, den Antonius mit Caesar zu tödten. Als die Geschworenen dem Tagesgrauen gewichen sind, folgt des Brutus berühmtes Zwiegespräch mit Portia. Sie erfährt in unsrer Gegenwart jedoch nicht das Geheimniß. Sie erhält nur das Versprechen, daß ihr Brutus „seiner finstern Stirne Zeichenschrift" enthüllen wolle. — Ein Wechsel der Scene führt uns dann in Caesar's Palast; wir erfahren die grau¬ enhaften Zeichen der Götter. Calpuvnia bewegt Caesar zum Bleiben. De- cimus überredet ihn, in den Senat zu gehen. In Gesellschaft des Antonius und sämmtlicher Verschworener zieht Caesar nach dem Capital. Portia, die unter dem ungeheuren Druck des ihr ungewissen anvertrauten Geheimnisses und in fieberhafter Erwartung der Entscheidung fast zusammenbricht, schließt den zweiten Act- — Der dritte Act, wohl der bekannteste des ganzen Stückes, führt uns von dem Beginn der Senatssitzung und der Mordscene bis zu den. den Verschworenen so furchtbaren Folgen der Leichenrede des Antonius.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/252>, abgerufen am 06.02.2025.