Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gefühlvollen Menschen in frischem Zug vorwärts zu kommen. Konrad Tel-
mann's junges Talent hat sich selbst durch diese Schattenhaftigkeit seiner Per"
hören das größte Hinderniß zur freien Entfaltung geschaffen.

Doch wenn irgendwo, so gilt hier der Spruch: Fehler find zu weit ge¬
triebene Vorzüge. Diese breite Ausmalung des innern Gefühlslebens wird,
auf ein richtiges Maaß zurückgeführt, den späteren Gestalten Telmann's jene
innere Tiefe, jenen ernsten Gehalt geben, durch welche sich alle Schöpfungen
unsrer bessern Novellen-Literatur vor der bloßen Effecthascherei auszeichnen.
Selbst der aus den Novellen, besonders aus den "Iugendidealen" sprechende
Weltschmerz, der jetzt einen etwas grünen Eindruck macht, wird bei glücklicher
Entwicklung zu jener schönen Dichtergabe heranreifen können, auch den klei¬
nen, alltäglichen Lebenserscheinungen tiefere Bedeutung abzugewinnen und
aus dem dahinrollenden Tagesleben das Bleibende zu erfassen. Und zu die¬
sen, noch im Keim schlummernden Vorzügen gesellen sich andre, schon voll er¬
schlossene. Ein durchaus edler und reiner Sinn spricht aus den Novellen,
der sich abwendet vom Niedrigen, der, wo er es trotzdem zeichnet, es nur als
kräftige Schlagschatten benutzt für das Licht, dem er zustrebt. Mit dieser
idealen Richtung geht Hand in Hand die liebevolle Erfassung der Natur;
diese Naturschilderungen, die uns bald an das tosende, bald an das ruhende
Meer, in den Frieden des Waldes, oder in das schwirrende Leben der Haide, dann
auf luftige Berghöhe, dann auf Heidelberg's grünumwachsene Schloßruine
führen, wird Jedes immer wieder gerne nachschlagen in den beiden Bändchen.
Die Natur ist auch der Schauplatz, wo sich die Gestalten, des jungen Autors
am glücklichsten bewegen, wo sie die gerügten Fehler fast ganz abstreifen-
Da kommt auch die leichte, humoristische Anlage des Dichters zum Durchbruch
und schafft wirklich individuelle Menschen. So sind im "Haideröschen" die
beiden alten Dienstboten des Bauernhofes durch wenige Federstriche lebens¬
voller geschildert, als die beiden Haupthelden der Erzählung mit all ihren
Rückerinnerungen, Neckereien und Schwärmereien. Vortrefflich aber sind
die guten, fröhlichen Menschen im Vetter Schulmeister getroffen. Da
athmet Alles wirkliches Leben: Der pedantische Vetter, der so gründlich hätte
"reinfallen" können, und so glücklich geheilt wird, das neckische Pfarrtöch-
terlein, der würdige Bater, die brummige Haushälterin: sie alle sind Pracht¬
menschen, an denen Autor, Leser und Kritiker ihre helle Freude haben dürfen.
Das bürgerliche Leben, die Wiedergabe dieser engeren Verhältnisse, scheint des¬
halb bei weitem mehr des Dichters Eigenart zu entsprechen, als die aristo¬
kratischen Cirkel und strahlenden Ballsäle, in denen er sich anfangs bewegt.
Es war ein wirklicher Genuß, am Schluß der beiden Bände auf ein, dem
deutschen Dorfleben so getreu abgelauschtes und so glückliches wiedergegebenes
Charakterbild zu stoßen. Ende gut, Alles gut. Wir sagen's hier mit voller
Ueberzeugung. Glück aus denn und fröhlich Gedeihen!




Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von M. L. Hcrbift in Leipzig -- Druck von Hnthcl 6 Herrmann in Leipzig-

gefühlvollen Menschen in frischem Zug vorwärts zu kommen. Konrad Tel-
mann's junges Talent hat sich selbst durch diese Schattenhaftigkeit seiner Per»
hören das größte Hinderniß zur freien Entfaltung geschaffen.

Doch wenn irgendwo, so gilt hier der Spruch: Fehler find zu weit ge¬
triebene Vorzüge. Diese breite Ausmalung des innern Gefühlslebens wird,
auf ein richtiges Maaß zurückgeführt, den späteren Gestalten Telmann's jene
innere Tiefe, jenen ernsten Gehalt geben, durch welche sich alle Schöpfungen
unsrer bessern Novellen-Literatur vor der bloßen Effecthascherei auszeichnen.
Selbst der aus den Novellen, besonders aus den „Iugendidealen" sprechende
Weltschmerz, der jetzt einen etwas grünen Eindruck macht, wird bei glücklicher
Entwicklung zu jener schönen Dichtergabe heranreifen können, auch den klei¬
nen, alltäglichen Lebenserscheinungen tiefere Bedeutung abzugewinnen und
aus dem dahinrollenden Tagesleben das Bleibende zu erfassen. Und zu die¬
sen, noch im Keim schlummernden Vorzügen gesellen sich andre, schon voll er¬
schlossene. Ein durchaus edler und reiner Sinn spricht aus den Novellen,
der sich abwendet vom Niedrigen, der, wo er es trotzdem zeichnet, es nur als
kräftige Schlagschatten benutzt für das Licht, dem er zustrebt. Mit dieser
idealen Richtung geht Hand in Hand die liebevolle Erfassung der Natur;
diese Naturschilderungen, die uns bald an das tosende, bald an das ruhende
Meer, in den Frieden des Waldes, oder in das schwirrende Leben der Haide, dann
auf luftige Berghöhe, dann auf Heidelberg's grünumwachsene Schloßruine
führen, wird Jedes immer wieder gerne nachschlagen in den beiden Bändchen.
Die Natur ist auch der Schauplatz, wo sich die Gestalten, des jungen Autors
am glücklichsten bewegen, wo sie die gerügten Fehler fast ganz abstreifen-
Da kommt auch die leichte, humoristische Anlage des Dichters zum Durchbruch
und schafft wirklich individuelle Menschen. So sind im „Haideröschen" die
beiden alten Dienstboten des Bauernhofes durch wenige Federstriche lebens¬
voller geschildert, als die beiden Haupthelden der Erzählung mit all ihren
Rückerinnerungen, Neckereien und Schwärmereien. Vortrefflich aber sind
die guten, fröhlichen Menschen im Vetter Schulmeister getroffen. Da
athmet Alles wirkliches Leben: Der pedantische Vetter, der so gründlich hätte
„reinfallen" können, und so glücklich geheilt wird, das neckische Pfarrtöch-
terlein, der würdige Bater, die brummige Haushälterin: sie alle sind Pracht¬
menschen, an denen Autor, Leser und Kritiker ihre helle Freude haben dürfen.
Das bürgerliche Leben, die Wiedergabe dieser engeren Verhältnisse, scheint des¬
halb bei weitem mehr des Dichters Eigenart zu entsprechen, als die aristo¬
kratischen Cirkel und strahlenden Ballsäle, in denen er sich anfangs bewegt.
Es war ein wirklicher Genuß, am Schluß der beiden Bände auf ein, dem
deutschen Dorfleben so getreu abgelauschtes und so glückliches wiedergegebenes
Charakterbild zu stoßen. Ende gut, Alles gut. Wir sagen's hier mit voller
Ueberzeugung. Glück aus denn und fröhlich Gedeihen!




Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von M. L. Hcrbift in Leipzig — Druck von Hnthcl 6 Herrmann in Leipzig-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133532"/>
          <p xml:id="ID_796" prev="#ID_795"> gefühlvollen Menschen in frischem Zug vorwärts zu kommen. Konrad Tel-<lb/>
mann's junges Talent hat sich selbst durch diese Schattenhaftigkeit seiner Per»<lb/>
hören das größte Hinderniß zur freien Entfaltung geschaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_797"> Doch wenn irgendwo, so gilt hier der Spruch: Fehler find zu weit ge¬<lb/>
triebene Vorzüge. Diese breite Ausmalung des innern Gefühlslebens wird,<lb/>
auf ein richtiges Maaß zurückgeführt, den späteren Gestalten Telmann's jene<lb/>
innere Tiefe, jenen ernsten Gehalt geben, durch welche sich alle Schöpfungen<lb/>
unsrer bessern Novellen-Literatur vor der bloßen Effecthascherei auszeichnen.<lb/>
Selbst der aus den Novellen, besonders aus den &#x201E;Iugendidealen" sprechende<lb/>
Weltschmerz, der jetzt einen etwas grünen Eindruck macht, wird bei glücklicher<lb/>
Entwicklung zu jener schönen Dichtergabe heranreifen können, auch den klei¬<lb/>
nen, alltäglichen Lebenserscheinungen tiefere Bedeutung abzugewinnen und<lb/>
aus dem dahinrollenden Tagesleben das Bleibende zu erfassen. Und zu die¬<lb/>
sen, noch im Keim schlummernden Vorzügen gesellen sich andre, schon voll er¬<lb/>
schlossene. Ein durchaus edler und reiner Sinn spricht aus den Novellen,<lb/>
der sich abwendet vom Niedrigen, der, wo er es trotzdem zeichnet, es nur als<lb/>
kräftige Schlagschatten benutzt für das Licht, dem er zustrebt. Mit dieser<lb/>
idealen Richtung geht Hand in Hand die liebevolle Erfassung der Natur;<lb/>
diese Naturschilderungen, die uns bald an das tosende, bald an das ruhende<lb/>
Meer, in den Frieden des Waldes, oder in das schwirrende Leben der Haide, dann<lb/>
auf luftige Berghöhe, dann auf Heidelberg's grünumwachsene Schloßruine<lb/>
führen, wird Jedes immer wieder gerne nachschlagen in den beiden Bändchen.<lb/>
Die Natur ist auch der Schauplatz, wo sich die Gestalten, des jungen Autors<lb/>
am glücklichsten bewegen, wo sie die gerügten Fehler fast ganz abstreifen-<lb/>
Da kommt auch die leichte, humoristische Anlage des Dichters zum Durchbruch<lb/>
und schafft wirklich individuelle Menschen. So sind im &#x201E;Haideröschen" die<lb/>
beiden alten Dienstboten des Bauernhofes durch wenige Federstriche lebens¬<lb/>
voller geschildert, als die beiden Haupthelden der Erzählung mit all ihren<lb/>
Rückerinnerungen, Neckereien und Schwärmereien. Vortrefflich aber sind<lb/>
die guten, fröhlichen Menschen im Vetter Schulmeister getroffen. Da<lb/>
athmet Alles wirkliches Leben: Der pedantische Vetter, der so gründlich hätte<lb/>
&#x201E;reinfallen" können, und so glücklich geheilt wird, das neckische Pfarrtöch-<lb/>
terlein, der würdige Bater, die brummige Haushälterin: sie alle sind Pracht¬<lb/>
menschen, an denen Autor, Leser und Kritiker ihre helle Freude haben dürfen.<lb/>
Das bürgerliche Leben, die Wiedergabe dieser engeren Verhältnisse, scheint des¬<lb/>
halb bei weitem mehr des Dichters Eigenart zu entsprechen, als die aristo¬<lb/>
kratischen Cirkel und strahlenden Ballsäle, in denen er sich anfangs bewegt.<lb/>
Es war ein wirklicher Genuß, am Schluß der beiden Bände auf ein, dem<lb/>
deutschen Dorfleben so getreu abgelauschtes und so glückliches wiedergegebenes<lb/>
Charakterbild zu stoßen. Ende gut, Alles gut. Wir sagen's hier mit voller<lb/>
Ueberzeugung.  Glück aus denn und fröhlich Gedeihen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Blum in Leipzig.<lb/>
Verlag von M. L. Hcrbift in Leipzig &#x2014; Druck von Hnthcl 6 Herrmann in Leipzig-</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0244] gefühlvollen Menschen in frischem Zug vorwärts zu kommen. Konrad Tel- mann's junges Talent hat sich selbst durch diese Schattenhaftigkeit seiner Per» hören das größte Hinderniß zur freien Entfaltung geschaffen. Doch wenn irgendwo, so gilt hier der Spruch: Fehler find zu weit ge¬ triebene Vorzüge. Diese breite Ausmalung des innern Gefühlslebens wird, auf ein richtiges Maaß zurückgeführt, den späteren Gestalten Telmann's jene innere Tiefe, jenen ernsten Gehalt geben, durch welche sich alle Schöpfungen unsrer bessern Novellen-Literatur vor der bloßen Effecthascherei auszeichnen. Selbst der aus den Novellen, besonders aus den „Iugendidealen" sprechende Weltschmerz, der jetzt einen etwas grünen Eindruck macht, wird bei glücklicher Entwicklung zu jener schönen Dichtergabe heranreifen können, auch den klei¬ nen, alltäglichen Lebenserscheinungen tiefere Bedeutung abzugewinnen und aus dem dahinrollenden Tagesleben das Bleibende zu erfassen. Und zu die¬ sen, noch im Keim schlummernden Vorzügen gesellen sich andre, schon voll er¬ schlossene. Ein durchaus edler und reiner Sinn spricht aus den Novellen, der sich abwendet vom Niedrigen, der, wo er es trotzdem zeichnet, es nur als kräftige Schlagschatten benutzt für das Licht, dem er zustrebt. Mit dieser idealen Richtung geht Hand in Hand die liebevolle Erfassung der Natur; diese Naturschilderungen, die uns bald an das tosende, bald an das ruhende Meer, in den Frieden des Waldes, oder in das schwirrende Leben der Haide, dann auf luftige Berghöhe, dann auf Heidelberg's grünumwachsene Schloßruine führen, wird Jedes immer wieder gerne nachschlagen in den beiden Bändchen. Die Natur ist auch der Schauplatz, wo sich die Gestalten, des jungen Autors am glücklichsten bewegen, wo sie die gerügten Fehler fast ganz abstreifen- Da kommt auch die leichte, humoristische Anlage des Dichters zum Durchbruch und schafft wirklich individuelle Menschen. So sind im „Haideröschen" die beiden alten Dienstboten des Bauernhofes durch wenige Federstriche lebens¬ voller geschildert, als die beiden Haupthelden der Erzählung mit all ihren Rückerinnerungen, Neckereien und Schwärmereien. Vortrefflich aber sind die guten, fröhlichen Menschen im Vetter Schulmeister getroffen. Da athmet Alles wirkliches Leben: Der pedantische Vetter, der so gründlich hätte „reinfallen" können, und so glücklich geheilt wird, das neckische Pfarrtöch- terlein, der würdige Bater, die brummige Haushälterin: sie alle sind Pracht¬ menschen, an denen Autor, Leser und Kritiker ihre helle Freude haben dürfen. Das bürgerliche Leben, die Wiedergabe dieser engeren Verhältnisse, scheint des¬ halb bei weitem mehr des Dichters Eigenart zu entsprechen, als die aristo¬ kratischen Cirkel und strahlenden Ballsäle, in denen er sich anfangs bewegt. Es war ein wirklicher Genuß, am Schluß der beiden Bände auf ein, dem deutschen Dorfleben so getreu abgelauschtes und so glückliches wiedergegebenes Charakterbild zu stoßen. Ende gut, Alles gut. Wir sagen's hier mit voller Ueberzeugung. Glück aus denn und fröhlich Gedeihen! Verantwortlicher Redakteur: Ur. Haus Blum in Leipzig. Verlag von M. L. Hcrbift in Leipzig — Druck von Hnthcl 6 Herrmann in Leipzig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/244
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/244>, abgerufen am 05.02.2025.