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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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hafteste Publikum schlechterdings nicht ohne ein gewisses Maaß philologischer
Akribie arbeiten; es braucht deßhalb keineswegs geschmacklos und langweilig zu
werden. Diese Akribie vermißt man hier aber fast nach allen Seiten hin. --
Die Verlagshandlung hat mit gewohnter, hier nur nicht recht angebrachter
Noblesse auch diesem Buche die schöne Ausstattung zu Theil werden lassen,
die sie allen ihren Verlagswerken, selbst den rein fachwissenschaftlichen, angiebt.


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Novellen von Konrad Telmann.*) Ein junges Talent tritt uns
aus den Novellen von Konrad Telmcmn entgegen, und es läßt sich ein Wei¬
terschreiten vom Guten zum Bessern von der ersten bis zur letzten Erzählung
verfolgen. Wir sagen ein junges Talent und dürfen wohl diesen Ausdruck
gebrauchen, wenn wir ein erstes Debüt in der Oeffentlichkeit begrüßen, außer¬
dem aber weist ein gewisses Ungeschick in der Gruppirung des Stoffes, in der
Anlage der Charaktere auf eine zwar nicht im Fabuliren, wohl aber in des
Lebens ernstem Führen noch ungeübte Hand.

Fritz Reuter, Spielhagen, Storni, Imsen, Jeder hat in seiner Weise die
Leserwelt gewöhnt oder verwöhnt, bei Erzählungen aus dem Norden unsres
lieben Vaterlandes einen ganz bestimmten Lokalton zu erwarten. Schon die
Landschaft muß ihr eigenthümliches Gepräge tragen, die Menschen und ihre
Schicksale in diesen Rahmen und nur in diesen hineinpassen. Unwillkürlich
Seht man mit derselben Erwartung an ein Buch, das den Titel "In Pom-
er n " führt, und legt es, wenn man Schilderung von Landessitten, speziell
pommersches Leben darin gesucht hat, dann allerdings enttäuscht wieder
fort. Jede der Erzählungen könnte in jedem beliebigen deutschen Landesstrich
spielen, keine der Gestalten ist nur pommerschen Boden entwachsen, und
^Ibst die am individuellsten gezeichneten Figuren des Haideröschens und des
Vetters Schulmeister sind Typen, und glücklich erfaßte Typen des deutschen
Bauern^ und Bürgerstandes im Allgemeinen, nicht aber des pommerschen im
besondern. Die Charaktere leiden an einer gewissen Monotonie. Die Helden
Haben sehr edle Gefühle, schreiben auch, so lange sie unglücklich lieben, sehr
gefühlvolle Gedichte und Tagebücher, aber selbst das Steuer des Schicksals
on lenken, durch eignes Handeln einzugreifen und sich ihr Dasein ordentlich
Anzurichten verstehen sie nicht. Wenn sie trotzdem glücklich werden, so ist das
reine Gefälligkeit des Schicksals, das schließlich einen nichtswürdigen Gatten
oder einen grausamen Vater mit Tod abgehen läßt. -- Aus diesem ersten
Mangel entspringt der zweite der vorliegenden Novellen: das Fehlen der
Handlung. Es dürfte selbst einem alten Praktiker schwer werden, mit diesen



') ..I" Pommern." Novellen von Koiuad Tclmann. F. W. Grunow, 1875.

hafteste Publikum schlechterdings nicht ohne ein gewisses Maaß philologischer
Akribie arbeiten; es braucht deßhalb keineswegs geschmacklos und langweilig zu
werden. Diese Akribie vermißt man hier aber fast nach allen Seiten hin. —
Die Verlagshandlung hat mit gewohnter, hier nur nicht recht angebrachter
Noblesse auch diesem Buche die schöne Ausstattung zu Theil werden lassen,
die sie allen ihren Verlagswerken, selbst den rein fachwissenschaftlichen, angiebt.


5-5


Novellen von Konrad Telmann.*) Ein junges Talent tritt uns
aus den Novellen von Konrad Telmcmn entgegen, und es läßt sich ein Wei¬
terschreiten vom Guten zum Bessern von der ersten bis zur letzten Erzählung
verfolgen. Wir sagen ein junges Talent und dürfen wohl diesen Ausdruck
gebrauchen, wenn wir ein erstes Debüt in der Oeffentlichkeit begrüßen, außer¬
dem aber weist ein gewisses Ungeschick in der Gruppirung des Stoffes, in der
Anlage der Charaktere auf eine zwar nicht im Fabuliren, wohl aber in des
Lebens ernstem Führen noch ungeübte Hand.

Fritz Reuter, Spielhagen, Storni, Imsen, Jeder hat in seiner Weise die
Leserwelt gewöhnt oder verwöhnt, bei Erzählungen aus dem Norden unsres
lieben Vaterlandes einen ganz bestimmten Lokalton zu erwarten. Schon die
Landschaft muß ihr eigenthümliches Gepräge tragen, die Menschen und ihre
Schicksale in diesen Rahmen und nur in diesen hineinpassen. Unwillkürlich
Seht man mit derselben Erwartung an ein Buch, das den Titel „In Pom-
er n " führt, und legt es, wenn man Schilderung von Landessitten, speziell
pommersches Leben darin gesucht hat, dann allerdings enttäuscht wieder
fort. Jede der Erzählungen könnte in jedem beliebigen deutschen Landesstrich
spielen, keine der Gestalten ist nur pommerschen Boden entwachsen, und
^Ibst die am individuellsten gezeichneten Figuren des Haideröschens und des
Vetters Schulmeister sind Typen, und glücklich erfaßte Typen des deutschen
Bauern^ und Bürgerstandes im Allgemeinen, nicht aber des pommerschen im
besondern. Die Charaktere leiden an einer gewissen Monotonie. Die Helden
Haben sehr edle Gefühle, schreiben auch, so lange sie unglücklich lieben, sehr
gefühlvolle Gedichte und Tagebücher, aber selbst das Steuer des Schicksals
on lenken, durch eignes Handeln einzugreifen und sich ihr Dasein ordentlich
Anzurichten verstehen sie nicht. Wenn sie trotzdem glücklich werden, so ist das
reine Gefälligkeit des Schicksals, das schließlich einen nichtswürdigen Gatten
oder einen grausamen Vater mit Tod abgehen läßt. — Aus diesem ersten
Mangel entspringt der zweite der vorliegenden Novellen: das Fehlen der
Handlung. Es dürfte selbst einem alten Praktiker schwer werden, mit diesen



') ..I» Pommern." Novellen von Koiuad Tclmann. F. W. Grunow, 1875.
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[0243] hafteste Publikum schlechterdings nicht ohne ein gewisses Maaß philologischer Akribie arbeiten; es braucht deßhalb keineswegs geschmacklos und langweilig zu werden. Diese Akribie vermißt man hier aber fast nach allen Seiten hin. — Die Verlagshandlung hat mit gewohnter, hier nur nicht recht angebrachter Noblesse auch diesem Buche die schöne Ausstattung zu Theil werden lassen, die sie allen ihren Verlagswerken, selbst den rein fachwissenschaftlichen, angiebt. 5-5 Novellen von Konrad Telmann.*) Ein junges Talent tritt uns aus den Novellen von Konrad Telmcmn entgegen, und es läßt sich ein Wei¬ terschreiten vom Guten zum Bessern von der ersten bis zur letzten Erzählung verfolgen. Wir sagen ein junges Talent und dürfen wohl diesen Ausdruck gebrauchen, wenn wir ein erstes Debüt in der Oeffentlichkeit begrüßen, außer¬ dem aber weist ein gewisses Ungeschick in der Gruppirung des Stoffes, in der Anlage der Charaktere auf eine zwar nicht im Fabuliren, wohl aber in des Lebens ernstem Führen noch ungeübte Hand. Fritz Reuter, Spielhagen, Storni, Imsen, Jeder hat in seiner Weise die Leserwelt gewöhnt oder verwöhnt, bei Erzählungen aus dem Norden unsres lieben Vaterlandes einen ganz bestimmten Lokalton zu erwarten. Schon die Landschaft muß ihr eigenthümliches Gepräge tragen, die Menschen und ihre Schicksale in diesen Rahmen und nur in diesen hineinpassen. Unwillkürlich Seht man mit derselben Erwartung an ein Buch, das den Titel „In Pom- er n " führt, und legt es, wenn man Schilderung von Landessitten, speziell pommersches Leben darin gesucht hat, dann allerdings enttäuscht wieder fort. Jede der Erzählungen könnte in jedem beliebigen deutschen Landesstrich spielen, keine der Gestalten ist nur pommerschen Boden entwachsen, und ^Ibst die am individuellsten gezeichneten Figuren des Haideröschens und des Vetters Schulmeister sind Typen, und glücklich erfaßte Typen des deutschen Bauern^ und Bürgerstandes im Allgemeinen, nicht aber des pommerschen im besondern. Die Charaktere leiden an einer gewissen Monotonie. Die Helden Haben sehr edle Gefühle, schreiben auch, so lange sie unglücklich lieben, sehr gefühlvolle Gedichte und Tagebücher, aber selbst das Steuer des Schicksals on lenken, durch eignes Handeln einzugreifen und sich ihr Dasein ordentlich Anzurichten verstehen sie nicht. Wenn sie trotzdem glücklich werden, so ist das reine Gefälligkeit des Schicksals, das schließlich einen nichtswürdigen Gatten oder einen grausamen Vater mit Tod abgehen läßt. — Aus diesem ersten Mangel entspringt der zweite der vorliegenden Novellen: das Fehlen der Handlung. Es dürfte selbst einem alten Praktiker schwer werden, mit diesen ') ..I» Pommern." Novellen von Koiuad Tclmann. F. W. Grunow, 1875.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/243>, abgerufen am 11.02.2025.