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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Umfange ins Leben zu rufen, so würde doch nur eine glücklich situirte Min¬
derheit von Bibliothekaren in der Lage sein, das jedenfalls kostspielige Ver¬
gnügen der Theilnahme sich zu gestatten.

Und käme es wirklich trotz aller Hindernisse zu einer Versammlung mit
nennenswerther Betheiligung, was würde der Erfolg sein? Wohl nirgend
mehr, als gerade auf dem Gebiete des Bibliothekwesens gilt das Sprichwort:
"Viel Köpfe, viel Sinne." Wer die bestehenden Verhältnisse der Deutschen
Bibliotheken in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit kennt, dem wird es schwer
werden, an die Möglichkeit einer Verständigung auf dem Wege eines Majori¬
tätsbeschlusses zu glauben. Wie nun aber, wenn der Majoritätsbeschluß so
ausfiele, daß die Minorität nach Pflicht und Gewissen sich ihm schlechterdings
nicht fügen könnte, oder daß die nicht vertretenen Bibliotheken, mit bewährten
Einrichtungen, sich in Opposition stellen müßten? Soll der Beschluß auch
dann als "vollständig souverain" angesehen werden, d. h. mit bindender Kraft
für die Dissentirenden ausgestattet sein? Setzen wir indessen den günstigsten
Fall, daß ein Beschluß zu Stande käme, der in jeder Beziehung befriedigend
wäre und allgemeine Anerkennung fände. Auch in diesem Falle bliebe immer
noch die Geldfrage, da die beschlossenen Reformen ohne Geldmittel nicht ins
Werk zu setzen wären. Das aber wäre der Punkt, wo die "Oberbehörden"
mit Fug und Recht dann doch ein sehr gewichtiges Wort dareinzureden hätten.

Alles in Allem genommen, fürchten wir nicht, pessimistisch zu sein, wenn
wir den Schluß ziehen, daß bei den Bibliothekarversammlungen, so sehr sie
die persönliche Annäherung der Bibliothekare fördern würden, für die Sache
selbst im Grunde wenig herauskommen dürfte. Wir werden uns daher
nach einem anderen Wege umsehen müssen, der sicherer und schneller zum
Ziele führt.

Wie die "Oberbehörden" in der Geldfrage das entscheidende Wort zu
sprechen haben, so sei es auch in ihre Hand gelegt, den Weg der Reform zu
beschreiten. Das führt uns auf den Punkt zurück, von dem wir ausgegangen
sind: es ist das Beispiel des Italienischen Ministers, welches Nachahmung
verdient. Man wende nicht ein, daß man in Italien nicht über Commissions¬
vorschläge hinausgekommen sei; dort ist man auf halbem Wege stehen ge¬
blieben. Am liebsten möchten wir es sehen, wenn die Sache von Reichs
wegen in die Hand genommen würde. Stellen sich Competenz-Bedenken ent¬
gegen, so möge eine freie Vereinbarung der Einzelregierungen herbeigeführt
werden, und die Leitung dem Reiche verbleiben. Es würde keinen Eingriff
in die bundesmäßigen Rechte der Einzelstaaten involviren, wenn eine Com¬
mission niedergesetzt würde, zu der jeder Staat seine Mitglieder zu ernennen
hätte. Diese Commission, aus Sachverständigen gebildet und mit den nöthigen
Vollmachten umkleidet, müßte die Aufgabe haben, auf Grund eines bestimmt


Umfange ins Leben zu rufen, so würde doch nur eine glücklich situirte Min¬
derheit von Bibliothekaren in der Lage sein, das jedenfalls kostspielige Ver¬
gnügen der Theilnahme sich zu gestatten.

Und käme es wirklich trotz aller Hindernisse zu einer Versammlung mit
nennenswerther Betheiligung, was würde der Erfolg sein? Wohl nirgend
mehr, als gerade auf dem Gebiete des Bibliothekwesens gilt das Sprichwort:
„Viel Köpfe, viel Sinne." Wer die bestehenden Verhältnisse der Deutschen
Bibliotheken in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit kennt, dem wird es schwer
werden, an die Möglichkeit einer Verständigung auf dem Wege eines Majori¬
tätsbeschlusses zu glauben. Wie nun aber, wenn der Majoritätsbeschluß so
ausfiele, daß die Minorität nach Pflicht und Gewissen sich ihm schlechterdings
nicht fügen könnte, oder daß die nicht vertretenen Bibliotheken, mit bewährten
Einrichtungen, sich in Opposition stellen müßten? Soll der Beschluß auch
dann als „vollständig souverain" angesehen werden, d. h. mit bindender Kraft
für die Dissentirenden ausgestattet sein? Setzen wir indessen den günstigsten
Fall, daß ein Beschluß zu Stande käme, der in jeder Beziehung befriedigend
wäre und allgemeine Anerkennung fände. Auch in diesem Falle bliebe immer
noch die Geldfrage, da die beschlossenen Reformen ohne Geldmittel nicht ins
Werk zu setzen wären. Das aber wäre der Punkt, wo die „Oberbehörden"
mit Fug und Recht dann doch ein sehr gewichtiges Wort dareinzureden hätten.

Alles in Allem genommen, fürchten wir nicht, pessimistisch zu sein, wenn
wir den Schluß ziehen, daß bei den Bibliothekarversammlungen, so sehr sie
die persönliche Annäherung der Bibliothekare fördern würden, für die Sache
selbst im Grunde wenig herauskommen dürfte. Wir werden uns daher
nach einem anderen Wege umsehen müssen, der sicherer und schneller zum
Ziele führt.

Wie die „Oberbehörden" in der Geldfrage das entscheidende Wort zu
sprechen haben, so sei es auch in ihre Hand gelegt, den Weg der Reform zu
beschreiten. Das führt uns auf den Punkt zurück, von dem wir ausgegangen
sind: es ist das Beispiel des Italienischen Ministers, welches Nachahmung
verdient. Man wende nicht ein, daß man in Italien nicht über Commissions¬
vorschläge hinausgekommen sei; dort ist man auf halbem Wege stehen ge¬
blieben. Am liebsten möchten wir es sehen, wenn die Sache von Reichs
wegen in die Hand genommen würde. Stellen sich Competenz-Bedenken ent¬
gegen, so möge eine freie Vereinbarung der Einzelregierungen herbeigeführt
werden, und die Leitung dem Reiche verbleiben. Es würde keinen Eingriff
in die bundesmäßigen Rechte der Einzelstaaten involviren, wenn eine Com¬
mission niedergesetzt würde, zu der jeder Staat seine Mitglieder zu ernennen
hätte. Diese Commission, aus Sachverständigen gebildet und mit den nöthigen
Vollmachten umkleidet, müßte die Aufgabe haben, auf Grund eines bestimmt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/225>, abgerufen am 06.02.2025.