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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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halten sich schmachtend und lispelnd für schöner -- gemüthlich sich an der
Tafel einen mehr oder minder schweren Haarbeutel antrinken und dann nach
Hause gehen, um wie am Tage vorher so am Tage nachher das Gegentheil
von dem zu denken und zu thun, was sie in der Nacht dazwischen mit so viel
Emphase von sich gegeben haben.

Doch man verzeihe. Ich bin aus der Rolle gefallen, ärgerlich, ernsthaft
vor einer Posse, fast unartig geworden. Aber jene Redensarten stimmen mich
durch stete Wiederkehr und ewige Inhaltslosigkeit verdrießlich, und sie würden
diese Wirkung noch mehr haben, wenn sie mir nicht über der Wolke des
Verdrusses allerlei anmuthige Bilder aus dem Himmel des Humors, den Ritter
aus der Manch", Gesichter aus Holberg's Kannegießern, besonders deutlich
aber den würdigen Mr. Pickwick und seine Tafelrunde erscheinen ließen,
die am Ende wirklich eine Species der Ott Fellows gewesen sind.

Herr Pniower erzählt uns, daß die Ott Fellows im Verlauf von dreißig
Jahren die Summe von 8,804,000 Dollars auf Unterstützung der Kranken,
Beerdigung der Todten und Erziehung der Waisen (soll heißen i h re r Kran¬
ken , Todten und Waisen) verausgabt haben, und glaubt damit zu imponiren.
Mir imponirt er mit seinen großen Zahlen so wenig wie mit seinen großen
Phrasen; denn ich sage mir, daß hiernach die Wohlthätigkeitsspenden des
Ordens, die, wie bemerkt, keine eigentlichen Gaben der Barmherzigkeit, sondern
Rückzahlungen sind, auf die jedes Mitglied durch bestimmte Leistungen ein
Recht erworben hat, sich zwar im Durchschnitt auf rund 294660 Dollars
jährlich beliefen, daß aber, da die Mitgliederzahl desselben eine halbe Million
betragen soll, der Einzelne seinem Wohlthätigkeitstriebe mit noch nicht ganz
drei Fünfteln eines Dollars -- also etwa 2 Mark 40 Pf. -- per Jahr Ge¬
nüge geleistet hat.

Derselbe berichtet ferner, daß sein Orden zu den sechs Millionen Dollars,
mit denen die Privatwohltätigkeit das abgebrannte Chicago unterstützte,
131,000 beigesteuert. Auch das ist viel und nicht viel, wenn wir eine halbe
Million damit dividiren, und dazu kommt immer wieder, daß die Ott Fellows
nur ihre Genossen bedenken und jene Summe wahrscheinlich nicht der un¬
glücklichen Stadt als Ganzem, sondern den "Närrischen Kerlen" derselben zu¬
geflossen ist.

Herr Pniower aber hofft, "daß vorstehende Beispiele geeignet sein werden,
die Vorurtheile derer, die sich bei dem bloßen Gedanken an geheime Gesell¬
schaften bekreuzigen, zu brechen und die Sinnesart derer, die für die Odd-
Fellowship höchstens ein Achselzucken hatten, als wollten sie sagen: "Pah,
Lappalie!" zu ändern." Der Ott Fellow-Orden wirkt mit Kleinem auf das
Große, durch den Einzelnen auf das Ganze, er ist wie die Bergquelle, die
bescheiden in ihrem Ursprung, doch zum mächtigen Strom wird, der Schiffe


halten sich schmachtend und lispelnd für schöner — gemüthlich sich an der
Tafel einen mehr oder minder schweren Haarbeutel antrinken und dann nach
Hause gehen, um wie am Tage vorher so am Tage nachher das Gegentheil
von dem zu denken und zu thun, was sie in der Nacht dazwischen mit so viel
Emphase von sich gegeben haben.

Doch man verzeihe. Ich bin aus der Rolle gefallen, ärgerlich, ernsthaft
vor einer Posse, fast unartig geworden. Aber jene Redensarten stimmen mich
durch stete Wiederkehr und ewige Inhaltslosigkeit verdrießlich, und sie würden
diese Wirkung noch mehr haben, wenn sie mir nicht über der Wolke des
Verdrusses allerlei anmuthige Bilder aus dem Himmel des Humors, den Ritter
aus der Manch«, Gesichter aus Holberg's Kannegießern, besonders deutlich
aber den würdigen Mr. Pickwick und seine Tafelrunde erscheinen ließen,
die am Ende wirklich eine Species der Ott Fellows gewesen sind.

Herr Pniower erzählt uns, daß die Ott Fellows im Verlauf von dreißig
Jahren die Summe von 8,804,000 Dollars auf Unterstützung der Kranken,
Beerdigung der Todten und Erziehung der Waisen (soll heißen i h re r Kran¬
ken , Todten und Waisen) verausgabt haben, und glaubt damit zu imponiren.
Mir imponirt er mit seinen großen Zahlen so wenig wie mit seinen großen
Phrasen; denn ich sage mir, daß hiernach die Wohlthätigkeitsspenden des
Ordens, die, wie bemerkt, keine eigentlichen Gaben der Barmherzigkeit, sondern
Rückzahlungen sind, auf die jedes Mitglied durch bestimmte Leistungen ein
Recht erworben hat, sich zwar im Durchschnitt auf rund 294660 Dollars
jährlich beliefen, daß aber, da die Mitgliederzahl desselben eine halbe Million
betragen soll, der Einzelne seinem Wohlthätigkeitstriebe mit noch nicht ganz
drei Fünfteln eines Dollars — also etwa 2 Mark 40 Pf. — per Jahr Ge¬
nüge geleistet hat.

Derselbe berichtet ferner, daß sein Orden zu den sechs Millionen Dollars,
mit denen die Privatwohltätigkeit das abgebrannte Chicago unterstützte,
131,000 beigesteuert. Auch das ist viel und nicht viel, wenn wir eine halbe
Million damit dividiren, und dazu kommt immer wieder, daß die Ott Fellows
nur ihre Genossen bedenken und jene Summe wahrscheinlich nicht der un¬
glücklichen Stadt als Ganzem, sondern den „Närrischen Kerlen" derselben zu¬
geflossen ist.

Herr Pniower aber hofft, „daß vorstehende Beispiele geeignet sein werden,
die Vorurtheile derer, die sich bei dem bloßen Gedanken an geheime Gesell¬
schaften bekreuzigen, zu brechen und die Sinnesart derer, die für die Odd-
Fellowship höchstens ein Achselzucken hatten, als wollten sie sagen: „Pah,
Lappalie!" zu ändern." Der Ott Fellow-Orden wirkt mit Kleinem auf das
Große, durch den Einzelnen auf das Ganze, er ist wie die Bergquelle, die
bescheiden in ihrem Ursprung, doch zum mächtigen Strom wird, der Schiffe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/217>, abgerufen am 06.02.2025.