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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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scharfes Zechen scheint zuletzt die Hauptsache gewesen und ordentlichen
Leuten und Hausvätern -- ich vermuthe, von wegen der Gardinenpredigten
-- zu arg geworden zu sein. "Die Nothwendigkeit einer Beseitigung der
Mißbräuche, die sich eingeschlichen, stellte sich," wie meine Quelle sagt, "deut¬
lich heraus, und bereits im Jahre 1809 versuchten einige erfahrene Männer,
die "Sonderbare Brüderschaft" (wir bleiben wohl bei den "Närrischen Kerlen",
zumal wir jetzt an ihren Zustand nach geschlossener Loge denken müssen) idealer
zu gestalten." Das scheint Zeit und Mühe erfordert zusahen; denn erst "im
Jahre 1813 fand in Manchester eine Versammlung statt, infolge deren sich
zum Behuf einer Reform mehrere Logen von dem "United Order of Ott
Fellows," dessen oberste Verwaltung ihren Sitz in London hatte, trennten
und den "Independent Order of Ott Fellows " begründeten." Diese refor-
mirten Ott Fellows breiteten sich rasch aus und waren in kurzer Zeit schon
den beim alten Brauch verbliebenen an Zahl überlegen. Später müssen wei¬
tere Spaltungen stattgefunden haben, da die "Närrischen Kerle" Englands,
wie weiter unten gezeigt werden soll, gegenwärtig in nicht weniger als neun¬
zehn Seelen oder Systeme zerfallen.

Mittlerweile war der Orden auch nach den Vereinigten Staaten verpflanzt
worden. In Baltimore bestand bereits 1802 eine Loge desselben, und in der
Folgezeit bildeten sich allenthalben in Nordamerika andere dadurch, daß, wo
sich eine genügende Anzahl von Liebhabern der Sache fand, die nächste Loge
ihnen einen "Freibrief" ertheilte, der ihre Vereinigung als gerechte und voll¬
kommene Ott Fellow-Loge anerkannte und ihnen das Recht verlieh, ebenfalls
Freibriefe der Art auszustellen. Rechten Zug aber und weite Verbreitung gewann
der Orden hier erst, als Thomas Wildey sich der Sache mit Eifer annahm.
Wildey, "der große Mann des Volkes, ein Mann, der das Handwerk eines
Grobschmieds erlernt," bezeichnet einen Markstein in der Geschichte der Odd-
Fellowship. Zunächst errichtete er am 26. April 1819 mit einigen Freunden
zu Baltimore die Washington-Loge Ur. 1, die 1821 von der Großloge zu
Manchester einen Freibrief erhielt. Dann entstand vorzüglich durch seine Mit¬
wirkung aus dem Zusammentritt der von Baltimore aus gestifteten oder an¬
erkannten amerikanischen Logen zu einer gemeinschaftlichen Oberbehörde die
Großloge von Maryland. Endlich richtete er als "Groß-Sire" oder Präsi¬
dent der letztern sein Augenmerk darauf, die getrennt wirkenden Ott Fellow-
Logen in der Union mit den unter seinen Auspicien entstandenen zu ver¬
einigen, ein Bestreben, das er nach seinem Rücktritte vom Amte des Groß-
Sire als Reiseapostel bis an seinen Tod fortsetzte, und welches den Erfolg
hatte, daß sich am 15. Januar 1825 aus den Logen von Maryland. Neuyork,
Pennsylvanien und Massachusetts eine "Großloge der Vereinigten Staaten"
constituirte, der allmälig sämmtliche Ott Fellow-Logen der Union sich unter-


scharfes Zechen scheint zuletzt die Hauptsache gewesen und ordentlichen
Leuten und Hausvätern — ich vermuthe, von wegen der Gardinenpredigten
— zu arg geworden zu sein. „Die Nothwendigkeit einer Beseitigung der
Mißbräuche, die sich eingeschlichen, stellte sich," wie meine Quelle sagt, „deut¬
lich heraus, und bereits im Jahre 1809 versuchten einige erfahrene Männer,
die „Sonderbare Brüderschaft" (wir bleiben wohl bei den „Närrischen Kerlen",
zumal wir jetzt an ihren Zustand nach geschlossener Loge denken müssen) idealer
zu gestalten." Das scheint Zeit und Mühe erfordert zusahen; denn erst „im
Jahre 1813 fand in Manchester eine Versammlung statt, infolge deren sich
zum Behuf einer Reform mehrere Logen von dem „United Order of Ott
Fellows," dessen oberste Verwaltung ihren Sitz in London hatte, trennten
und den „Independent Order of Ott Fellows " begründeten." Diese refor-
mirten Ott Fellows breiteten sich rasch aus und waren in kurzer Zeit schon
den beim alten Brauch verbliebenen an Zahl überlegen. Später müssen wei¬
tere Spaltungen stattgefunden haben, da die „Närrischen Kerle" Englands,
wie weiter unten gezeigt werden soll, gegenwärtig in nicht weniger als neun¬
zehn Seelen oder Systeme zerfallen.

Mittlerweile war der Orden auch nach den Vereinigten Staaten verpflanzt
worden. In Baltimore bestand bereits 1802 eine Loge desselben, und in der
Folgezeit bildeten sich allenthalben in Nordamerika andere dadurch, daß, wo
sich eine genügende Anzahl von Liebhabern der Sache fand, die nächste Loge
ihnen einen „Freibrief" ertheilte, der ihre Vereinigung als gerechte und voll¬
kommene Ott Fellow-Loge anerkannte und ihnen das Recht verlieh, ebenfalls
Freibriefe der Art auszustellen. Rechten Zug aber und weite Verbreitung gewann
der Orden hier erst, als Thomas Wildey sich der Sache mit Eifer annahm.
Wildey, „der große Mann des Volkes, ein Mann, der das Handwerk eines
Grobschmieds erlernt," bezeichnet einen Markstein in der Geschichte der Odd-
Fellowship. Zunächst errichtete er am 26. April 1819 mit einigen Freunden
zu Baltimore die Washington-Loge Ur. 1, die 1821 von der Großloge zu
Manchester einen Freibrief erhielt. Dann entstand vorzüglich durch seine Mit¬
wirkung aus dem Zusammentritt der von Baltimore aus gestifteten oder an¬
erkannten amerikanischen Logen zu einer gemeinschaftlichen Oberbehörde die
Großloge von Maryland. Endlich richtete er als „Groß-Sire" oder Präsi¬
dent der letztern sein Augenmerk darauf, die getrennt wirkenden Ott Fellow-
Logen in der Union mit den unter seinen Auspicien entstandenen zu ver¬
einigen, ein Bestreben, das er nach seinem Rücktritte vom Amte des Groß-
Sire als Reiseapostel bis an seinen Tod fortsetzte, und welches den Erfolg
hatte, daß sich am 15. Januar 1825 aus den Logen von Maryland. Neuyork,
Pennsylvanien und Massachusetts eine „Großloge der Vereinigten Staaten"
constituirte, der allmälig sämmtliche Ott Fellow-Logen der Union sich unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/212>, abgerufen am 06.02.2025.