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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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bildete die unirte Geistlichkeit und die unirte Kirche ein Gemisch von römisch-
katholischen und orthodoxen Elementen; -- die orthodoxe Bevölkerung aber
verlor inmitten willkürlicher Neuerungen, welche mit jedem Wechsel der
Ortsgeistlichen und der Eparchialbehörde immer wieder in anderer Gestalt
auftraten, ihren Glauben an die Heiligkeit der Religion und die Unantast¬
barkeit ihres Gottesdienstes.

Um ein für alle Mal der heillosen Unordnung in der Kirche ein Ende
zu machen, verließen viele Pfarreien die verfolgte, erniedrigte und auf jede
Weise absichtlich verstümmelte Religion ihrer Väter' und versuchten ihr Heil
in der römisch-katholischen Kirche.

Zur Bestätigung des soeben Gesagten, wollen wir uns an die denk¬
würdigen Worte des früheren griechisch-unirten Bischofs von Chelm, Kuzemski
erinnern, welche derselbe 1868 gesprochen hat.

"Die Missionsthätigkeit des lateinischen Clerus -- sagt der Bischof
Kuzemski -- wurde befördert von dem polnischen Adel, welcher durch das
Patronatsrecht einen sehr großen Einfluß auf die russische Kirche und die
russische Geistlichkeit ausübte. Durch die vereinten Kräfte des lateinischen
Clerus und des Adels wurde der russische Gottesdienst verdrängt, durch den
lateinische" ersetzt und das russische Volk -- polonisirt. Es unter¬
liegt keinem Zweifel, daß das Ziel dieses gemeinschaftlichen
Missionirens mehr ein politisches, als ein religiöses war.
Denn um religiöser Zwecke willen war es nicht nöthig, die
Unirten zur römisch-katholischen Kirche zu bekehren, da die¬
selben ebenso wie die Katholischen die Oberhoheit des Papstes
anerkannten. Hier handelte es sich nur um die Nationalität.
Der gemeine Mann sah überall die Macht des römischen Cultus, Verachtung
seines Glaubens, seiner Sprache und Spott über ihn selbst. Er begann sich
zu sehnen nach der römischen Kirche und der polnischen Volksthümlichkeit --
als nach etwas Besserem.

Die Verstümmelung des unirten Cultus erreichte ihren Höhepunkt. Selbst
Würdenträger in Chelm begannen es zu gestatten, an den Kirchen Rosen¬
kranzbrüderschaften, Skapuliere, polnische Agenten, Orgeln, Lieder :e. einzu¬
führen. Die polnische Sprache gelangte mehr und mehr zur Herrschaft.
Unirte, die unter solchen Umständen zur römischen Kirche übergingen, wurden
als Convertiten zu eifrigen Polen und schämten sich des russischen Namens."

Es ist klar, daß die Unirten in solch einer abnormen und im höchsten
Grade demoralisirenden Lage der Dinge, als eine Glaubensgemeinschaft, die
ihre Pflichten gegen Gott, die Obrigkeit und sich selbst versteht, nicht ver¬
bleiben konnten. Es blieb ihnen eins von beiden übrig: entweder vollstän¬
dig zur römischen Kirche überzugehen und dadurch für immer sich loszusagen


bildete die unirte Geistlichkeit und die unirte Kirche ein Gemisch von römisch-
katholischen und orthodoxen Elementen; — die orthodoxe Bevölkerung aber
verlor inmitten willkürlicher Neuerungen, welche mit jedem Wechsel der
Ortsgeistlichen und der Eparchialbehörde immer wieder in anderer Gestalt
auftraten, ihren Glauben an die Heiligkeit der Religion und die Unantast¬
barkeit ihres Gottesdienstes.

Um ein für alle Mal der heillosen Unordnung in der Kirche ein Ende
zu machen, verließen viele Pfarreien die verfolgte, erniedrigte und auf jede
Weise absichtlich verstümmelte Religion ihrer Väter' und versuchten ihr Heil
in der römisch-katholischen Kirche.

Zur Bestätigung des soeben Gesagten, wollen wir uns an die denk¬
würdigen Worte des früheren griechisch-unirten Bischofs von Chelm, Kuzemski
erinnern, welche derselbe 1868 gesprochen hat.

„Die Missionsthätigkeit des lateinischen Clerus — sagt der Bischof
Kuzemski — wurde befördert von dem polnischen Adel, welcher durch das
Patronatsrecht einen sehr großen Einfluß auf die russische Kirche und die
russische Geistlichkeit ausübte. Durch die vereinten Kräfte des lateinischen
Clerus und des Adels wurde der russische Gottesdienst verdrängt, durch den
lateinische« ersetzt und das russische Volk — polonisirt. Es unter¬
liegt keinem Zweifel, daß das Ziel dieses gemeinschaftlichen
Missionirens mehr ein politisches, als ein religiöses war.
Denn um religiöser Zwecke willen war es nicht nöthig, die
Unirten zur römisch-katholischen Kirche zu bekehren, da die¬
selben ebenso wie die Katholischen die Oberhoheit des Papstes
anerkannten. Hier handelte es sich nur um die Nationalität.
Der gemeine Mann sah überall die Macht des römischen Cultus, Verachtung
seines Glaubens, seiner Sprache und Spott über ihn selbst. Er begann sich
zu sehnen nach der römischen Kirche und der polnischen Volksthümlichkeit —
als nach etwas Besserem.

Die Verstümmelung des unirten Cultus erreichte ihren Höhepunkt. Selbst
Würdenträger in Chelm begannen es zu gestatten, an den Kirchen Rosen¬
kranzbrüderschaften, Skapuliere, polnische Agenten, Orgeln, Lieder :e. einzu¬
führen. Die polnische Sprache gelangte mehr und mehr zur Herrschaft.
Unirte, die unter solchen Umständen zur römischen Kirche übergingen, wurden
als Convertiten zu eifrigen Polen und schämten sich des russischen Namens."

Es ist klar, daß die Unirten in solch einer abnormen und im höchsten
Grade demoralisirenden Lage der Dinge, als eine Glaubensgemeinschaft, die
ihre Pflichten gegen Gott, die Obrigkeit und sich selbst versteht, nicht ver¬
bleiben konnten. Es blieb ihnen eins von beiden übrig: entweder vollstän¬
dig zur römischen Kirche überzugehen und dadurch für immer sich loszusagen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/188>, abgerufen am 06.02.2025.