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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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von italienischen statt von päpstlichenBe Horde "regiert werden?
Die letztere Regierungsweise ist freilich schlechter als die erstere, aber wir haben
nicht die Aufgabe, unter eigenen Opfern für die Wohlfahrt fremder Völker zu sor¬
gen. Können wir durch Verzicht auf solche Sorge bei uns den Frieden und die
Unterwerfung unter das Gesetz herbeiführen, warum sollte uns die Heimath
nicht näher angehn als die Fremde? Sollte das deutsche Volk durch die
Verkehrtheiten der italienischen Politik jemals zu solchen Reflexionen gebracht
werden -- der Zeitpunkt, sie in Thatsachen umzusetzen, würde bald genug
gekommen sein.

Italien verdankt den deutschen Waffen Venedig und Rom; Belgien ver¬
dankt ihnen, daß es überhaupt noch existirt. Am 24. Juli 1870 veröffentlichte
die Times jenen berüchtigten Allianzentwurf, welcher Preußen den deutschen
Süden überließ, wenn dasselbe die Erwerbung Luxemburgs und die Eroberung
Belgiens zulassen wollte. Die diplomatischen Enthüllungen, welche der franzö¬
sische Krieg hervorrief, offenbarten der erstaunten Welt, wie ruhelos die französische
Politik an der Vernichtung des Grenzstaates gearbeitet hatte und wie wenig
seine Neutralität ihn geschützt haben würde, wenn der hohe Sinn des preußischen
Staatsmannes eine Regelung der deutschen Angelegenheiten im Bunde mit
Frankreich und um solchen Preis zugelassen hätte. Führte das Glück der
Waffen die französische Armee nach Berlin, statt die deutsche nach Paris, so
fiel Belgien trotz der papiernen Proteste-Englands, dem Sieger zum Opfer.
Wir rechnen in der Politik nicht auf Dankbarkeit, aber wir fordern von der
Regierung eines Landes, welches so ohne sein Verdienst dem Untergang ent¬
ronnen ist, daß sie wenigstens einige kluge Rücksicht denen gegenüber nehme,
die als willige Werkzeuge der Vorsehung es gerettet haben. Man kann doch
Nicht wissen, ob diese Willigkeit nicht auch später noch von Nutzen sein wird.
Denn der Gedanke, für den Verlust von Elsaß-Lothringen eine
Entschädigung in Belgien zu suchen, liegt den französischen Politikern
aus begreiflichen Gründen sehr nahe. Es würde uns nicht wundern, wenn
man von Paris aus versuchte, vor dem Ausbruch eines zweiten Kriegs oder
im Verlauf desselben in dieser Richtung uns Ausgleichungsvorschläge zu
machen. Eine monarchische Restauration würde in erster Linie die Revanche
bieten ohne den Krieg, d. h. den Deutschen Elsaß-Lothringen lassen und
Belgien dafür einstecken. Oder sollten die belgischen Clerikalen trotz der Un-
glücksfälle, welche Frankreich heimgesucht haben, die Vereinigung mit der
großen Nation der bisherigen Selbständigkeit vorziehen? -- Belgien ist das
Land der constitutionellen Schablone; als solches hatte es einst einen Ruf
bei den liberalen Parteien, bis die Welt dahinter kam, daß die formalen
Grundrechte von den Jesuiten zur Vernichtung wahrer Bildung und Volks¬
freiheit benutzt worden seien. Auch in dieser Entwicklung zum jesuitischen


von italienischen statt von päpstlichenBe Horde »regiert werden?
Die letztere Regierungsweise ist freilich schlechter als die erstere, aber wir haben
nicht die Aufgabe, unter eigenen Opfern für die Wohlfahrt fremder Völker zu sor¬
gen. Können wir durch Verzicht auf solche Sorge bei uns den Frieden und die
Unterwerfung unter das Gesetz herbeiführen, warum sollte uns die Heimath
nicht näher angehn als die Fremde? Sollte das deutsche Volk durch die
Verkehrtheiten der italienischen Politik jemals zu solchen Reflexionen gebracht
werden — der Zeitpunkt, sie in Thatsachen umzusetzen, würde bald genug
gekommen sein.

Italien verdankt den deutschen Waffen Venedig und Rom; Belgien ver¬
dankt ihnen, daß es überhaupt noch existirt. Am 24. Juli 1870 veröffentlichte
die Times jenen berüchtigten Allianzentwurf, welcher Preußen den deutschen
Süden überließ, wenn dasselbe die Erwerbung Luxemburgs und die Eroberung
Belgiens zulassen wollte. Die diplomatischen Enthüllungen, welche der franzö¬
sische Krieg hervorrief, offenbarten der erstaunten Welt, wie ruhelos die französische
Politik an der Vernichtung des Grenzstaates gearbeitet hatte und wie wenig
seine Neutralität ihn geschützt haben würde, wenn der hohe Sinn des preußischen
Staatsmannes eine Regelung der deutschen Angelegenheiten im Bunde mit
Frankreich und um solchen Preis zugelassen hätte. Führte das Glück der
Waffen die französische Armee nach Berlin, statt die deutsche nach Paris, so
fiel Belgien trotz der papiernen Proteste-Englands, dem Sieger zum Opfer.
Wir rechnen in der Politik nicht auf Dankbarkeit, aber wir fordern von der
Regierung eines Landes, welches so ohne sein Verdienst dem Untergang ent¬
ronnen ist, daß sie wenigstens einige kluge Rücksicht denen gegenüber nehme,
die als willige Werkzeuge der Vorsehung es gerettet haben. Man kann doch
Nicht wissen, ob diese Willigkeit nicht auch später noch von Nutzen sein wird.
Denn der Gedanke, für den Verlust von Elsaß-Lothringen eine
Entschädigung in Belgien zu suchen, liegt den französischen Politikern
aus begreiflichen Gründen sehr nahe. Es würde uns nicht wundern, wenn
man von Paris aus versuchte, vor dem Ausbruch eines zweiten Kriegs oder
im Verlauf desselben in dieser Richtung uns Ausgleichungsvorschläge zu
machen. Eine monarchische Restauration würde in erster Linie die Revanche
bieten ohne den Krieg, d. h. den Deutschen Elsaß-Lothringen lassen und
Belgien dafür einstecken. Oder sollten die belgischen Clerikalen trotz der Un-
glücksfälle, welche Frankreich heimgesucht haben, die Vereinigung mit der
großen Nation der bisherigen Selbständigkeit vorziehen? — Belgien ist das
Land der constitutionellen Schablone; als solches hatte es einst einen Ruf
bei den liberalen Parteien, bis die Welt dahinter kam, daß die formalen
Grundrechte von den Jesuiten zur Vernichtung wahrer Bildung und Volks¬
freiheit benutzt worden seien. Auch in dieser Entwicklung zum jesuitischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/183>, abgerufen am 26.06.2024.