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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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etwas Anderes erwiesen, denn wofür sie vorher gehalten wurde: sie hat sich
erwiesen als Etwas, woraus innerliche Veränderungen manchfaltigster Art,
Gedankeninhalte bis zu den höchsten und umfassendsten Wahrheiten hinauf,
Empfindungsunterschiede zwischen intensivster Lust und intensivstem Schmerze,
hervorbrechen können, -- als ein neutrales, indifferentes, nach allen Seiten
hin bestimmteres Etwas, für welches das Schelling'sche Wort "Indifferenz"
oder "Identität der Gegensätze" zunächst als negative Bezeichnung gar nicht
so übel war. Die Atome des Kant-Laplace'schen Urnebels dürfen also, wenn
sie die Träger des gesammten Entwicklungsprocesses bis zum denkenden Men¬
schen hinauf sein sollen, keineswegs für die Stoffatome der chemischen Elemente
ausgegeben werden, sondern jener Urnebel besteht dann vielmehr aus einem
Urseienden, worin die Anlage zu unendlichen inneren Veränderungen, zu Ent¬
faltungen immer höherer, immer geistigerer Thätigkeiten eingeschlossen ist.
Nur dann, wenn wir solcherweise jene Atome umgestalten zu den umfassendsten
Entwicklungskeimen, nur dann kann das Alles daraus werden, was der heutige
Monismus daraus will werden sehen.

Aber ich muß Ihre Geduld, verehrte Festgenossen, noch ein wenig weiter
Hinhalten, ehe wir dem Minirer von der andern Seite, unserm Schelling,
wieder voll ins Antlitz schauen können. Es fehlt noch der versprochene Nach¬
weis, daß die Ergebnisse und Tendenzen der modernen Naturwissenschaft, wie
sie von der Materie abführen, so auch vom Mechanischen entfernen,
und sich deshalb aufs Beste in den seelischen, teleologischen Monismus
der Schelling'schen Willenstheorie einfügen.

Der heutige Monismus will, daß nur eine Art von Causalität im Welt¬
all vorkomme, nämlich die mechanische. Ließe sich nun zeigen, daß an einem
einzigen Punkte des Weltalls eine andre Causalität, etwa die ideologische,
waltet, so wäre es entweder um den Monismus geschehen, oder alle Causa¬
lität wäre von dieser anderen Art, also etwa ideologisch, zweckthätig, wil¬
lensartig. Daß es nun irgendwo im Weltall Willensthätigkeit giebt, das
sollte denn doch uns Menschen bekannt sein. Wir Menschen sind doch wohl
durch Willen thätig, indem wir erst uns Zwecke denken, dann die Mittel über¬
legen, hierauf die Bewegungen in der Außenwelt herbeiführen, durch welche
der vorgesetzte Zweck resultirt. Wenn ein Offizier seine Recruten eine be¬
stimmte Bewegung ausführen läßt, so denkt er sich erst diese Bewegung, dann
wählt er das ihm bekannte Mittel des entsprechenden Commandowortes, er
ruft dieses aus, und siehe, der Effect zeigt, daß er sich nicht verrechnete. So
augenfällig hier Alles scheint, so wenig ist es von der heutigen Wissenschaft
hinreichend beherzigt, und Sie finden in sonst achtungerweckenden Büchern
oft genug mit erstaunen machender Sicherheit behauptet, daß auch die Willcns-
thaten des Menschen und ihre Erfolge durchaus physikalisch, also zuletzt mensa-


etwas Anderes erwiesen, denn wofür sie vorher gehalten wurde: sie hat sich
erwiesen als Etwas, woraus innerliche Veränderungen manchfaltigster Art,
Gedankeninhalte bis zu den höchsten und umfassendsten Wahrheiten hinauf,
Empfindungsunterschiede zwischen intensivster Lust und intensivstem Schmerze,
hervorbrechen können, — als ein neutrales, indifferentes, nach allen Seiten
hin bestimmteres Etwas, für welches das Schelling'sche Wort „Indifferenz"
oder „Identität der Gegensätze" zunächst als negative Bezeichnung gar nicht
so übel war. Die Atome des Kant-Laplace'schen Urnebels dürfen also, wenn
sie die Träger des gesammten Entwicklungsprocesses bis zum denkenden Men¬
schen hinauf sein sollen, keineswegs für die Stoffatome der chemischen Elemente
ausgegeben werden, sondern jener Urnebel besteht dann vielmehr aus einem
Urseienden, worin die Anlage zu unendlichen inneren Veränderungen, zu Ent¬
faltungen immer höherer, immer geistigerer Thätigkeiten eingeschlossen ist.
Nur dann, wenn wir solcherweise jene Atome umgestalten zu den umfassendsten
Entwicklungskeimen, nur dann kann das Alles daraus werden, was der heutige
Monismus daraus will werden sehen.

Aber ich muß Ihre Geduld, verehrte Festgenossen, noch ein wenig weiter
Hinhalten, ehe wir dem Minirer von der andern Seite, unserm Schelling,
wieder voll ins Antlitz schauen können. Es fehlt noch der versprochene Nach¬
weis, daß die Ergebnisse und Tendenzen der modernen Naturwissenschaft, wie
sie von der Materie abführen, so auch vom Mechanischen entfernen,
und sich deshalb aufs Beste in den seelischen, teleologischen Monismus
der Schelling'schen Willenstheorie einfügen.

Der heutige Monismus will, daß nur eine Art von Causalität im Welt¬
all vorkomme, nämlich die mechanische. Ließe sich nun zeigen, daß an einem
einzigen Punkte des Weltalls eine andre Causalität, etwa die ideologische,
waltet, so wäre es entweder um den Monismus geschehen, oder alle Causa¬
lität wäre von dieser anderen Art, also etwa ideologisch, zweckthätig, wil¬
lensartig. Daß es nun irgendwo im Weltall Willensthätigkeit giebt, das
sollte denn doch uns Menschen bekannt sein. Wir Menschen sind doch wohl
durch Willen thätig, indem wir erst uns Zwecke denken, dann die Mittel über¬
legen, hierauf die Bewegungen in der Außenwelt herbeiführen, durch welche
der vorgesetzte Zweck resultirt. Wenn ein Offizier seine Recruten eine be¬
stimmte Bewegung ausführen läßt, so denkt er sich erst diese Bewegung, dann
wählt er das ihm bekannte Mittel des entsprechenden Commandowortes, er
ruft dieses aus, und siehe, der Effect zeigt, daß er sich nicht verrechnete. So
augenfällig hier Alles scheint, so wenig ist es von der heutigen Wissenschaft
hinreichend beherzigt, und Sie finden in sonst achtungerweckenden Büchern
oft genug mit erstaunen machender Sicherheit behauptet, daß auch die Willcns-
thaten des Menschen und ihre Erfolge durchaus physikalisch, also zuletzt mensa-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/18>, abgerufen am 06.02.2025.