Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

festzuhalten, welche dem Todten und rein Materiellen allein entsprechen würde,
nämlich die mechanische.

Unter Materie, körperlichem Stoffe, dürfen wir ohne willkürliche Ver¬
stellung des Wortgebrauchs nur die chemischen Elemente in dem Sinne
verstehen, in welchem das Dasein von Grundstoffen von der chemischen und
Physikalischen Wissenschaft gefordert worden ist. In diesem Sinne ist der
körperliche Stoff das qualitativ sowohl als quantitativ schlechthin Beharrende.
Unveränderliche, mit welchem demnach Veränderungen nur insofern vorgehen
können, als es seine Lage im Raume ändert. Alle Veränderungen in der
Welt dieser Urstoffe, der Ur-Atome, werden hiernach zurückgeführt auf bloße
Ortsveränderungen, auf Mischung und Entmischung, Verbindung und Lösung.
Annäherung und Entfernung, überhaupt auf Bewegung. Wenn nun in
jenem Processe der Entstehung des Lebendigen aus dem Unorganischen, des
Geistigen aus dem Ungeistigen, Veränderungen vorkommen, welche ihrer Natur
nach nicht auf bloße Bewegungserscheinungen reducirt werden können, so ist
dadurch erwiesen, daß Dasjenige, woran diese Veränderungen vorgingen, eben
nicht jenes Beharrende, qualitativ Unveränderliche, also nicht Materie war,
sondern in einem anderen, dafür passenderen Begriffe allein wiedererkannt
werden kann. Daß aber im Laufe jenes Processes wirklich solche innerliche,
nicht bloße Ortsveränderungen, an der angeblichen Materie vorgehen: wer
wollte dies im Ernste leugnen? Vergleichen wir ein Stück Steinkohle mit
einem ängstlich flatternden und kläglich schreienden Vogelweibchen, dem man
die Jungen stahl, und sodann mit einem Feldherrn, der nach seinen Schlachten-
Plänen die Bewegungen einer Armee leitet: sind in diesen drei Erscheinungen,
angenommen, es seien in allen dreien eben nur die Stoffatome das Wirkende,
diese Stoffatome ohne innerliche Veränderung geblieben, im Vergleich der
einen zu den anderen? Wenn die Kohlenstoffatome der Steinkohle durch
den Stoffwechsel in das Gehirn des Vogels und sodann in das Gehirn des
Feldherrn traten: war da jede Veränderung, die mit ihnen vorging, nichts
als eine Orts- und Bewegungsänderung? Oder ängstigten und quälten sich
vielleicht diese Kohlenstoffatome schon in der Steinkohle und dachten sie
Schlachtenpläne schon im Gehirn des Vogelweibchens? Oder wäre Angst und
Oual nur eine Ortoeränderung und wäre das Ausdenken von Schlachten-
Plänen nur eine Schwingungsbewegung? Dann wäre ja wohl auch der
Unterschied von Lust- und Schmerzempfindung nur ein Ortsunterschied, und
auch der Unterschied zwischen zweierlei Gedankeninhalten, z. B. zwischen dem
Begriffe "Gerechtigkeit" und dem Begriffe "Ungerechtigkeit," ein bloßer Orts¬
unterschied oder Unterschied in der Schwingungsziffer? Davon kann natürlich
nicht die Rede sein. Sobald also empfindende und denkende Wesen aus der
angeblichen unorganischen Materie hervorgehen, so hat sich diese letztere als


festzuhalten, welche dem Todten und rein Materiellen allein entsprechen würde,
nämlich die mechanische.

Unter Materie, körperlichem Stoffe, dürfen wir ohne willkürliche Ver¬
stellung des Wortgebrauchs nur die chemischen Elemente in dem Sinne
verstehen, in welchem das Dasein von Grundstoffen von der chemischen und
Physikalischen Wissenschaft gefordert worden ist. In diesem Sinne ist der
körperliche Stoff das qualitativ sowohl als quantitativ schlechthin Beharrende.
Unveränderliche, mit welchem demnach Veränderungen nur insofern vorgehen
können, als es seine Lage im Raume ändert. Alle Veränderungen in der
Welt dieser Urstoffe, der Ur-Atome, werden hiernach zurückgeführt auf bloße
Ortsveränderungen, auf Mischung und Entmischung, Verbindung und Lösung.
Annäherung und Entfernung, überhaupt auf Bewegung. Wenn nun in
jenem Processe der Entstehung des Lebendigen aus dem Unorganischen, des
Geistigen aus dem Ungeistigen, Veränderungen vorkommen, welche ihrer Natur
nach nicht auf bloße Bewegungserscheinungen reducirt werden können, so ist
dadurch erwiesen, daß Dasjenige, woran diese Veränderungen vorgingen, eben
nicht jenes Beharrende, qualitativ Unveränderliche, also nicht Materie war,
sondern in einem anderen, dafür passenderen Begriffe allein wiedererkannt
werden kann. Daß aber im Laufe jenes Processes wirklich solche innerliche,
nicht bloße Ortsveränderungen, an der angeblichen Materie vorgehen: wer
wollte dies im Ernste leugnen? Vergleichen wir ein Stück Steinkohle mit
einem ängstlich flatternden und kläglich schreienden Vogelweibchen, dem man
die Jungen stahl, und sodann mit einem Feldherrn, der nach seinen Schlachten-
Plänen die Bewegungen einer Armee leitet: sind in diesen drei Erscheinungen,
angenommen, es seien in allen dreien eben nur die Stoffatome das Wirkende,
diese Stoffatome ohne innerliche Veränderung geblieben, im Vergleich der
einen zu den anderen? Wenn die Kohlenstoffatome der Steinkohle durch
den Stoffwechsel in das Gehirn des Vogels und sodann in das Gehirn des
Feldherrn traten: war da jede Veränderung, die mit ihnen vorging, nichts
als eine Orts- und Bewegungsänderung? Oder ängstigten und quälten sich
vielleicht diese Kohlenstoffatome schon in der Steinkohle und dachten sie
Schlachtenpläne schon im Gehirn des Vogelweibchens? Oder wäre Angst und
Oual nur eine Ortoeränderung und wäre das Ausdenken von Schlachten-
Plänen nur eine Schwingungsbewegung? Dann wäre ja wohl auch der
Unterschied von Lust- und Schmerzempfindung nur ein Ortsunterschied, und
auch der Unterschied zwischen zweierlei Gedankeninhalten, z. B. zwischen dem
Begriffe „Gerechtigkeit" und dem Begriffe „Ungerechtigkeit," ein bloßer Orts¬
unterschied oder Unterschied in der Schwingungsziffer? Davon kann natürlich
nicht die Rede sein. Sobald also empfindende und denkende Wesen aus der
angeblichen unorganischen Materie hervorgehen, so hat sich diese letztere als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133305"/>
          <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35"> festzuhalten, welche dem Todten und rein Materiellen allein entsprechen würde,<lb/>
nämlich die mechanische.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_37" next="#ID_38"> Unter Materie, körperlichem Stoffe, dürfen wir ohne willkürliche Ver¬<lb/>
stellung des Wortgebrauchs nur die chemischen Elemente in dem Sinne<lb/>
verstehen, in welchem das Dasein von Grundstoffen von der chemischen und<lb/>
Physikalischen Wissenschaft gefordert worden ist. In diesem Sinne ist der<lb/>
körperliche Stoff das qualitativ sowohl als quantitativ schlechthin Beharrende.<lb/>
Unveränderliche, mit welchem demnach Veränderungen nur insofern vorgehen<lb/>
können, als es seine Lage im Raume ändert. Alle Veränderungen in der<lb/>
Welt dieser Urstoffe, der Ur-Atome, werden hiernach zurückgeführt auf bloße<lb/>
Ortsveränderungen, auf Mischung und Entmischung, Verbindung und Lösung.<lb/>
Annäherung und Entfernung, überhaupt auf Bewegung. Wenn nun in<lb/>
jenem Processe der Entstehung des Lebendigen aus dem Unorganischen, des<lb/>
Geistigen aus dem Ungeistigen, Veränderungen vorkommen, welche ihrer Natur<lb/>
nach nicht auf bloße Bewegungserscheinungen reducirt werden können, so ist<lb/>
dadurch erwiesen, daß Dasjenige, woran diese Veränderungen vorgingen, eben<lb/>
nicht jenes Beharrende, qualitativ Unveränderliche, also nicht Materie war,<lb/>
sondern in einem anderen, dafür passenderen Begriffe allein wiedererkannt<lb/>
werden kann. Daß aber im Laufe jenes Processes wirklich solche innerliche,<lb/>
nicht bloße Ortsveränderungen, an der angeblichen Materie vorgehen: wer<lb/>
wollte dies im Ernste leugnen? Vergleichen wir ein Stück Steinkohle mit<lb/>
einem ängstlich flatternden und kläglich schreienden Vogelweibchen, dem man<lb/>
die Jungen stahl, und sodann mit einem Feldherrn, der nach seinen Schlachten-<lb/>
Plänen die Bewegungen einer Armee leitet: sind in diesen drei Erscheinungen,<lb/>
angenommen, es seien in allen dreien eben nur die Stoffatome das Wirkende,<lb/>
diese Stoffatome ohne innerliche Veränderung geblieben, im Vergleich der<lb/>
einen zu den anderen? Wenn die Kohlenstoffatome der Steinkohle durch<lb/>
den Stoffwechsel in das Gehirn des Vogels und sodann in das Gehirn des<lb/>
Feldherrn traten: war da jede Veränderung, die mit ihnen vorging, nichts<lb/>
als eine Orts- und Bewegungsänderung? Oder ängstigten und quälten sich<lb/>
vielleicht diese Kohlenstoffatome schon in der Steinkohle und dachten sie<lb/>
Schlachtenpläne schon im Gehirn des Vogelweibchens? Oder wäre Angst und<lb/>
Oual nur eine Ortoeränderung und wäre das Ausdenken von Schlachten-<lb/>
Plänen nur eine Schwingungsbewegung? Dann wäre ja wohl auch der<lb/>
Unterschied von Lust- und Schmerzempfindung nur ein Ortsunterschied, und<lb/>
auch der Unterschied zwischen zweierlei Gedankeninhalten, z. B. zwischen dem<lb/>
Begriffe &#x201E;Gerechtigkeit" und dem Begriffe &#x201E;Ungerechtigkeit," ein bloßer Orts¬<lb/>
unterschied oder Unterschied in der Schwingungsziffer? Davon kann natürlich<lb/>
nicht die Rede sein. Sobald also empfindende und denkende Wesen aus der<lb/>
angeblichen unorganischen Materie hervorgehen, so hat sich diese letztere als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] festzuhalten, welche dem Todten und rein Materiellen allein entsprechen würde, nämlich die mechanische. Unter Materie, körperlichem Stoffe, dürfen wir ohne willkürliche Ver¬ stellung des Wortgebrauchs nur die chemischen Elemente in dem Sinne verstehen, in welchem das Dasein von Grundstoffen von der chemischen und Physikalischen Wissenschaft gefordert worden ist. In diesem Sinne ist der körperliche Stoff das qualitativ sowohl als quantitativ schlechthin Beharrende. Unveränderliche, mit welchem demnach Veränderungen nur insofern vorgehen können, als es seine Lage im Raume ändert. Alle Veränderungen in der Welt dieser Urstoffe, der Ur-Atome, werden hiernach zurückgeführt auf bloße Ortsveränderungen, auf Mischung und Entmischung, Verbindung und Lösung. Annäherung und Entfernung, überhaupt auf Bewegung. Wenn nun in jenem Processe der Entstehung des Lebendigen aus dem Unorganischen, des Geistigen aus dem Ungeistigen, Veränderungen vorkommen, welche ihrer Natur nach nicht auf bloße Bewegungserscheinungen reducirt werden können, so ist dadurch erwiesen, daß Dasjenige, woran diese Veränderungen vorgingen, eben nicht jenes Beharrende, qualitativ Unveränderliche, also nicht Materie war, sondern in einem anderen, dafür passenderen Begriffe allein wiedererkannt werden kann. Daß aber im Laufe jenes Processes wirklich solche innerliche, nicht bloße Ortsveränderungen, an der angeblichen Materie vorgehen: wer wollte dies im Ernste leugnen? Vergleichen wir ein Stück Steinkohle mit einem ängstlich flatternden und kläglich schreienden Vogelweibchen, dem man die Jungen stahl, und sodann mit einem Feldherrn, der nach seinen Schlachten- Plänen die Bewegungen einer Armee leitet: sind in diesen drei Erscheinungen, angenommen, es seien in allen dreien eben nur die Stoffatome das Wirkende, diese Stoffatome ohne innerliche Veränderung geblieben, im Vergleich der einen zu den anderen? Wenn die Kohlenstoffatome der Steinkohle durch den Stoffwechsel in das Gehirn des Vogels und sodann in das Gehirn des Feldherrn traten: war da jede Veränderung, die mit ihnen vorging, nichts als eine Orts- und Bewegungsänderung? Oder ängstigten und quälten sich vielleicht diese Kohlenstoffatome schon in der Steinkohle und dachten sie Schlachtenpläne schon im Gehirn des Vogelweibchens? Oder wäre Angst und Oual nur eine Ortoeränderung und wäre das Ausdenken von Schlachten- Plänen nur eine Schwingungsbewegung? Dann wäre ja wohl auch der Unterschied von Lust- und Schmerzempfindung nur ein Ortsunterschied, und auch der Unterschied zwischen zweierlei Gedankeninhalten, z. B. zwischen dem Begriffe „Gerechtigkeit" und dem Begriffe „Ungerechtigkeit," ein bloßer Orts¬ unterschied oder Unterschied in der Schwingungsziffer? Davon kann natürlich nicht die Rede sein. Sobald also empfindende und denkende Wesen aus der angeblichen unorganischen Materie hervorgehen, so hat sich diese letztere als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/17>, abgerufen am 06.02.2025.