Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.Man hat sich gewöhnt, die Confessionen mit ganz verschiedenem Maß zu Nicht minder glücklich war am 6. April der Abgeordnete Gneist. Er Das Widerstreben der Curie, den deutschen Staat dieselben Rechte an Am 6. April leuchtete auch dem Abgeordneten Virchow ein günstiger Stern. Man hat sich gewöhnt, die Confessionen mit ganz verschiedenem Maß zu Nicht minder glücklich war am 6. April der Abgeordnete Gneist. Er Das Widerstreben der Curie, den deutschen Staat dieselben Rechte an Am 6. April leuchtete auch dem Abgeordneten Virchow ein günstiger Stern. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133410"/> <p xml:id="ID_396"> Man hat sich gewöhnt, die Confessionen mit ganz verschiedenem Maß zu<lb/> messen. Darum nimmt es Niemanden mehr Wunder, mitten in der Haupt¬<lb/> stadt des Protestantismus eine katholische Kathedrale zu sehen, während in<lb/> der Hauptstadt des Katholicismus nicht einmal eine protestantische Kapelle be¬<lb/> stehen durfte. Mit ihrem Anspruch, nicht nur die allein seligmachende Lehre<lb/> zu besitzen, sondern auch die alleinige Verwalterin und Vertheilerin der Selig¬<lb/> keit zu sein, hat die römische Kirche, wie der Abgeordnete Jung ganz richtig<lb/> hervorhob, wie ein riesiges Petrefact mitten in der Geschichte gestanden. Es<lb/> gab eine Zeit, wo die Nationen dieses Petrefact ignoriren durften. Aber diese<lb/> Zeit ist vorüber, seitdem jene Ansprüche mit einem Ernst wie seit Jahrhun¬<lb/> derten nicht, nicht nur erhoben werden, sondern auch die Mittel zu ihrer<lb/> Verwirklichung unter Benutzung aller Freiheiten des modernen Staates aufge¬<lb/> boten werden. Daß der moderne Staat die von ihm verliehene Freiheit nicht<lb/> ausbeuten lassen will zur Aufrichtung einer Gegenherrschast, über die man den<lb/> Staat längst Herr zu werden glaubte, das ist im Grunde die Bedeutung des<lb/> heutigen Kampfes gegen die Curie.</p><lb/> <p xml:id="ID_397"> Nicht minder glücklich war am 6. April der Abgeordnete Gneist. Er<lb/> hatte in einer der letzten Sitzungen vor Ostern, wie wir sahen, mit besonderem<lb/> Gelingen ausgeführt, wie ohne die Souveränität des Staats über die verschie¬<lb/> denen Kirchen die Einheit der Nation wiederum zerstört werden müßte. Denn<lb/> nur durch die Souveränität des Staates ist die Einheit der Nation erhalten<lb/> worden. Dies Mal führte Gneist aus, wie diejenigen Rechte der Souveräni¬<lb/> tät, welche jetzt der deutsche Staat beansprucht, bei rein katholischen Nationen<lb/> vom Staat längst unbestritten behauptet werden, z. B. daß die Disziplinar-<lb/> urtheile nur von inländischen Behörden gesprochen und nur mit Genehmigung<lb/> des Staats vollzogen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_398"> Das Widerstreben der Curie, den deutschen Staat dieselben Rechte an<lb/> sich nehmen zu lassen, die der Staat allerwärts längst an sich genommen, be¬<lb/> ruht auf dem besonderen Gefühle des Gegensatzes, welchen die Curie zu dem<lb/> deutschen Staate empfindet.</p><lb/> <p xml:id="ID_399" next="#ID_400"> Am 6. April leuchtete auch dem Abgeordneten Virchow ein günstiger Stern.<lb/> Dieser Abgeordnete hat, was ihm hoch anzurechnen ist, von seinem Stand¬<lb/> punkt der allgemeinen individuellen Freiheit sich gleichwohl längst zu der An¬<lb/> sicht bekehrt, daß man im Namen der individuellen Freiheit nicht die schranken¬<lb/> lose Entfaltung einer Organisation, wie die römische Kirche, gestatten<lb/> kann. Auch er fand einen sehr glücklichen Ausdruck gegen die Behauptung<lb/> der Bedrückung des katholischen Gewissens. Er sagte, das durch die Kirchen¬<lb/> gesetze aufgelegte Martyrium sei kein Martyrium des Glaubens, sondern ein<lb/> Martyrium des Dienstes. Dieser Ausspruch trifft in der That den Kern der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0122]
Man hat sich gewöhnt, die Confessionen mit ganz verschiedenem Maß zu
messen. Darum nimmt es Niemanden mehr Wunder, mitten in der Haupt¬
stadt des Protestantismus eine katholische Kathedrale zu sehen, während in
der Hauptstadt des Katholicismus nicht einmal eine protestantische Kapelle be¬
stehen durfte. Mit ihrem Anspruch, nicht nur die allein seligmachende Lehre
zu besitzen, sondern auch die alleinige Verwalterin und Vertheilerin der Selig¬
keit zu sein, hat die römische Kirche, wie der Abgeordnete Jung ganz richtig
hervorhob, wie ein riesiges Petrefact mitten in der Geschichte gestanden. Es
gab eine Zeit, wo die Nationen dieses Petrefact ignoriren durften. Aber diese
Zeit ist vorüber, seitdem jene Ansprüche mit einem Ernst wie seit Jahrhun¬
derten nicht, nicht nur erhoben werden, sondern auch die Mittel zu ihrer
Verwirklichung unter Benutzung aller Freiheiten des modernen Staates aufge¬
boten werden. Daß der moderne Staat die von ihm verliehene Freiheit nicht
ausbeuten lassen will zur Aufrichtung einer Gegenherrschast, über die man den
Staat längst Herr zu werden glaubte, das ist im Grunde die Bedeutung des
heutigen Kampfes gegen die Curie.
Nicht minder glücklich war am 6. April der Abgeordnete Gneist. Er
hatte in einer der letzten Sitzungen vor Ostern, wie wir sahen, mit besonderem
Gelingen ausgeführt, wie ohne die Souveränität des Staats über die verschie¬
denen Kirchen die Einheit der Nation wiederum zerstört werden müßte. Denn
nur durch die Souveränität des Staates ist die Einheit der Nation erhalten
worden. Dies Mal führte Gneist aus, wie diejenigen Rechte der Souveräni¬
tät, welche jetzt der deutsche Staat beansprucht, bei rein katholischen Nationen
vom Staat längst unbestritten behauptet werden, z. B. daß die Disziplinar-
urtheile nur von inländischen Behörden gesprochen und nur mit Genehmigung
des Staats vollzogen werden.
Das Widerstreben der Curie, den deutschen Staat dieselben Rechte an
sich nehmen zu lassen, die der Staat allerwärts längst an sich genommen, be¬
ruht auf dem besonderen Gefühle des Gegensatzes, welchen die Curie zu dem
deutschen Staate empfindet.
Am 6. April leuchtete auch dem Abgeordneten Virchow ein günstiger Stern.
Dieser Abgeordnete hat, was ihm hoch anzurechnen ist, von seinem Stand¬
punkt der allgemeinen individuellen Freiheit sich gleichwohl längst zu der An¬
sicht bekehrt, daß man im Namen der individuellen Freiheit nicht die schranken¬
lose Entfaltung einer Organisation, wie die römische Kirche, gestatten
kann. Auch er fand einen sehr glücklichen Ausdruck gegen die Behauptung
der Bedrückung des katholischen Gewissens. Er sagte, das durch die Kirchen¬
gesetze aufgelegte Martyrium sei kein Martyrium des Glaubens, sondern ein
Martyrium des Dienstes. Dieser Ausspruch trifft in der That den Kern der
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