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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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daß jene Anschauungen von dem Wesen apostolischer Kirchenverfassung in dem
dermaligen geschichtlich gewordenen Bewußtsein der evangelischen Kirche keine
entsprechenden Anknüpfungspunkte finden, und daß, davon auszugehen,
nicht innerhalb der Sphäre des auf bestimmten und geschichtlichen Voraussetz¬
ungen ruhenden Amtes landesherrlicher Kirchenregierung liege. Fortschritte
in dem Ausbau der synodalen Verfassung aus den späteren Jahren fanden
nicht statt, die Provinzialsynoden wurden beharrlich auf das Warten ver¬
wiesen. Und die Geduldsprobe, die man ihnen zumuthete, war nicht gering.
Auf die Anträge der Provinzialsynoden von 1862 wurde die ablehnende Ant¬
wort mitgetheilt, der rheinischen am 30. Dezember 1864, der westfälischen
am 1. Juli 1865.

Wenden wir uns nun zu den Aufsätzen, welche der neuen Gemeinde und
Synodalordnung für die evangelische Kirche der sechs östlichen Provinzen gel¬
ten. Eine allgemeine Charakteristik derselben giebt die Abhandlung von Dr.
Beyschlag, welche das zweite Heft eröffnet. Sie sucht diese Aufgabe durch
eine stete Parallelisirung der neuen Ordnung mit der rheinisch - westfälischen
zu lösen. Diese Vergleichung fällt durchgehend zu Gunsten der neuen Syno¬
dalordnung aus, welche ihre ältere Schwester durch technische Vorzüge, beson¬
ders aber durch ein höheres Maß von Weitherzigkeit, durch eine die Schärfe
prinzipieller Konsequenzen mildernde Billigkeit, endlich durch Mehrung der
Competenzen, welche den synodalen Körpern zuerkannt sind, namhaft über¬
trifft. Der Verfasser geht die einzelnen Bestimmungen beider Verfassungen
durch und stellt so anschaulich die Vorzüge der neuen Verfassung dar.
Vergegenwärtigen wir uns die wichtigsten derselben! Was zuerst das
Presbyterium betrifft, so rechnen wir dahin die Verpflichtung des Kirchenvor¬
stands, der Gemeinde über seine Verwaltung Mittheilung zu machen, die Ver¬
pflichtung des Geistlichen, auf Verlangen von mindestens der Hälfte der
Mitglieder eine außerordentliche Sitzung anzuberaumen, die Stimmenthal¬
tung persönlich beteiligter Mitglieder. Was die Bildung des Presbyteriums
anlangt, so heben wir hervor, daß das aktive Wahlrecht durch ordnungs¬
mäßige Anmeldung bedingt ist. Diese Bestimmung ist deshalb so werthvoll,
weil sie die Entstehung einer wirklichen kirchlichen Gemeinde begünstigt.

Wir billigen es auch mit dem Herrn Verfasser, daß während die rheinisch¬
westfälische Ordnung nur die Repräsentation, die weitere Gemeindevertretung,
unmittelbar aus der Gemeinde, das Presbyterium aber aus der Repräsentation
hervorgehen läßt, die neue Synodalordnung beide, Repräsentation und Pres¬
byterium, unmittelbarer Gemeindewahl überläßt. Es ist dies allerdings ein
Widerspruch gegen das sonst allgemein befolgte Prinzip, jede niedere
Stufe als Basis der höheren anzusehen. Aber die Ausnahme er¬
scheint berechtigt, insofern die Repräsentation nur nach Bedürfniß zusam-


daß jene Anschauungen von dem Wesen apostolischer Kirchenverfassung in dem
dermaligen geschichtlich gewordenen Bewußtsein der evangelischen Kirche keine
entsprechenden Anknüpfungspunkte finden, und daß, davon auszugehen,
nicht innerhalb der Sphäre des auf bestimmten und geschichtlichen Voraussetz¬
ungen ruhenden Amtes landesherrlicher Kirchenregierung liege. Fortschritte
in dem Ausbau der synodalen Verfassung aus den späteren Jahren fanden
nicht statt, die Provinzialsynoden wurden beharrlich auf das Warten ver¬
wiesen. Und die Geduldsprobe, die man ihnen zumuthete, war nicht gering.
Auf die Anträge der Provinzialsynoden von 1862 wurde die ablehnende Ant¬
wort mitgetheilt, der rheinischen am 30. Dezember 1864, der westfälischen
am 1. Juli 1865.

Wenden wir uns nun zu den Aufsätzen, welche der neuen Gemeinde und
Synodalordnung für die evangelische Kirche der sechs östlichen Provinzen gel¬
ten. Eine allgemeine Charakteristik derselben giebt die Abhandlung von Dr.
Beyschlag, welche das zweite Heft eröffnet. Sie sucht diese Aufgabe durch
eine stete Parallelisirung der neuen Ordnung mit der rheinisch - westfälischen
zu lösen. Diese Vergleichung fällt durchgehend zu Gunsten der neuen Syno¬
dalordnung aus, welche ihre ältere Schwester durch technische Vorzüge, beson¬
ders aber durch ein höheres Maß von Weitherzigkeit, durch eine die Schärfe
prinzipieller Konsequenzen mildernde Billigkeit, endlich durch Mehrung der
Competenzen, welche den synodalen Körpern zuerkannt sind, namhaft über¬
trifft. Der Verfasser geht die einzelnen Bestimmungen beider Verfassungen
durch und stellt so anschaulich die Vorzüge der neuen Verfassung dar.
Vergegenwärtigen wir uns die wichtigsten derselben! Was zuerst das
Presbyterium betrifft, so rechnen wir dahin die Verpflichtung des Kirchenvor¬
stands, der Gemeinde über seine Verwaltung Mittheilung zu machen, die Ver¬
pflichtung des Geistlichen, auf Verlangen von mindestens der Hälfte der
Mitglieder eine außerordentliche Sitzung anzuberaumen, die Stimmenthal¬
tung persönlich beteiligter Mitglieder. Was die Bildung des Presbyteriums
anlangt, so heben wir hervor, daß das aktive Wahlrecht durch ordnungs¬
mäßige Anmeldung bedingt ist. Diese Bestimmung ist deshalb so werthvoll,
weil sie die Entstehung einer wirklichen kirchlichen Gemeinde begünstigt.

Wir billigen es auch mit dem Herrn Verfasser, daß während die rheinisch¬
westfälische Ordnung nur die Repräsentation, die weitere Gemeindevertretung,
unmittelbar aus der Gemeinde, das Presbyterium aber aus der Repräsentation
hervorgehen läßt, die neue Synodalordnung beide, Repräsentation und Pres¬
byterium, unmittelbarer Gemeindewahl überläßt. Es ist dies allerdings ein
Widerspruch gegen das sonst allgemein befolgte Prinzip, jede niedere
Stufe als Basis der höheren anzusehen. Aber die Ausnahme er¬
scheint berechtigt, insofern die Repräsentation nur nach Bedürfniß zusam-


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[0094] daß jene Anschauungen von dem Wesen apostolischer Kirchenverfassung in dem dermaligen geschichtlich gewordenen Bewußtsein der evangelischen Kirche keine entsprechenden Anknüpfungspunkte finden, und daß, davon auszugehen, nicht innerhalb der Sphäre des auf bestimmten und geschichtlichen Voraussetz¬ ungen ruhenden Amtes landesherrlicher Kirchenregierung liege. Fortschritte in dem Ausbau der synodalen Verfassung aus den späteren Jahren fanden nicht statt, die Provinzialsynoden wurden beharrlich auf das Warten ver¬ wiesen. Und die Geduldsprobe, die man ihnen zumuthete, war nicht gering. Auf die Anträge der Provinzialsynoden von 1862 wurde die ablehnende Ant¬ wort mitgetheilt, der rheinischen am 30. Dezember 1864, der westfälischen am 1. Juli 1865. Wenden wir uns nun zu den Aufsätzen, welche der neuen Gemeinde und Synodalordnung für die evangelische Kirche der sechs östlichen Provinzen gel¬ ten. Eine allgemeine Charakteristik derselben giebt die Abhandlung von Dr. Beyschlag, welche das zweite Heft eröffnet. Sie sucht diese Aufgabe durch eine stete Parallelisirung der neuen Ordnung mit der rheinisch - westfälischen zu lösen. Diese Vergleichung fällt durchgehend zu Gunsten der neuen Syno¬ dalordnung aus, welche ihre ältere Schwester durch technische Vorzüge, beson¬ ders aber durch ein höheres Maß von Weitherzigkeit, durch eine die Schärfe prinzipieller Konsequenzen mildernde Billigkeit, endlich durch Mehrung der Competenzen, welche den synodalen Körpern zuerkannt sind, namhaft über¬ trifft. Der Verfasser geht die einzelnen Bestimmungen beider Verfassungen durch und stellt so anschaulich die Vorzüge der neuen Verfassung dar. Vergegenwärtigen wir uns die wichtigsten derselben! Was zuerst das Presbyterium betrifft, so rechnen wir dahin die Verpflichtung des Kirchenvor¬ stands, der Gemeinde über seine Verwaltung Mittheilung zu machen, die Ver¬ pflichtung des Geistlichen, auf Verlangen von mindestens der Hälfte der Mitglieder eine außerordentliche Sitzung anzuberaumen, die Stimmenthal¬ tung persönlich beteiligter Mitglieder. Was die Bildung des Presbyteriums anlangt, so heben wir hervor, daß das aktive Wahlrecht durch ordnungs¬ mäßige Anmeldung bedingt ist. Diese Bestimmung ist deshalb so werthvoll, weil sie die Entstehung einer wirklichen kirchlichen Gemeinde begünstigt. Wir billigen es auch mit dem Herrn Verfasser, daß während die rheinisch¬ westfälische Ordnung nur die Repräsentation, die weitere Gemeindevertretung, unmittelbar aus der Gemeinde, das Presbyterium aber aus der Repräsentation hervorgehen läßt, die neue Synodalordnung beide, Repräsentation und Pres¬ byterium, unmittelbarer Gemeindewahl überläßt. Es ist dies allerdings ein Widerspruch gegen das sonst allgemein befolgte Prinzip, jede niedere Stufe als Basis der höheren anzusehen. Aber die Ausnahme er¬ scheint berechtigt, insofern die Repräsentation nur nach Bedürfniß zusam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/94>, abgerufen am 25.08.2024.