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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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zweifelt und den Weltuntergang erwartend, vor allem auf den Himmel Ge¬
wicht legen mußte, da wurde die Passion Christi in den Vordergrund gestellt
und zur Trägerin des Cultus gemacht. Die Natur mußte geknechtet werden,
um den Himmel zu erobern, unsere ganze Existenz als die Urhunde hinge¬
stellt werden, in der jede Freude nur geduldet und jede Entsagung geheiligt
war. Diesem finstern Geiste entspringt auch der Gebrauch, Frauen beim ersten
Besuche der Kirche nach dem Wochenbett aufzuweisen oder auszusegnen. Es
sei mir gestattet die Eindrücke einer solchen Aussegnung hier zu schildern.

Kam ich als Kind eine Viertelstunde zu früh in unsere Dorfkirche, so
gewahrte ich oft an der Seitenthüre zwei dunkelvermummte Frauen stehen,
welche auf den Küster und Geistlichen warteten. Diese kamen dann im
halben Ornate und der Geistliche besprengte die Frauen mit Weihwasser
nachdem der Küster den Frauen brennende Wachslichter in die Hand ge¬
geben. Sie folgten dann dem Geistlichen, welcher lateinische Gebete sprach
an den Altar, wo ungefähr 3 bis 10 Minuten lang der Geistliche das Beten
über die niedergeknieten Frauen in lateinischer Sprache fortsetzte und sie dann
wieder mit Weihwasser besprengte. Die Frauen gingen dann um den Altar
herum und legten ein Geldstück auf denselben, womit die Ausweisung ab¬
gemacht war, -- Als ich später über diesen Gebrauch nachzudenken im Stande
war, fühlte ich, daß der Priester durch seine Gebete und durch seinen Segen
ähnlich wie bei der Taufe einen Makel beseitigt und öfter kam mir dann der
Gedanke wieder, daß es doch sonderbar sei, daß die Naturgesetze, die doch von
Gott herstammen, mit der Sünde verschwistert sein sollen. Als ich nun jüngst
offen aussprach, daß in dem Ausweisen eine Beleidigung des Weibes liege,
da rief die Schaar der Gelobten, meine Behauptung sei Unsinn, ich sei schlecht
informire !e. Da kam mir denn ein Brief eines mich belehren wollenden
Geistlichen zu, der mir, freilich gegen seine Absicht bewies, wie begründet
meine Ansicht ist. In diesem Briefe wird dargelegt, daß der Gebrauch der
Aussegnung eine Nachahmung der Maria sei, die, obschon ohne Sünde em¬
pfangen, dennoch in den Tempel ging und ihr Kind dem Herrn darbrachte.
Ferner wird behauptet, die Kirche unterscheide zwischen "unrein nach dem
Gesetze und unrein durch den Willen zur Sünde", z. B. sei die Erbsünde in
die erste Kategorie gehörig. Hierauf habe ich nun zu entgegnen, daß bei ^
dem Aussegnen der Wöchnerinnen am Rhein es nicht Gebrauch ist das Kind
mitzubringen, und die Darbringung Christi im Tempel nachzuahmen, da das
Kind schon in der Taufe Gott gewidmet wird. Die Dankgebete für über-
standene Lebensgefahr und Schmerzen und die Bitte um weiteren Beistand
spricht der Geistliche lateinisch und wissen die Frauen also nichts,.davon,
da sie nur das Gefühl und die Absicht haben, "ausgeweiht" zu werden.

Daß die römisch-christliche Kirche die alten mosaischen Reinigungsgesetze


zweifelt und den Weltuntergang erwartend, vor allem auf den Himmel Ge¬
wicht legen mußte, da wurde die Passion Christi in den Vordergrund gestellt
und zur Trägerin des Cultus gemacht. Die Natur mußte geknechtet werden,
um den Himmel zu erobern, unsere ganze Existenz als die Urhunde hinge¬
stellt werden, in der jede Freude nur geduldet und jede Entsagung geheiligt
war. Diesem finstern Geiste entspringt auch der Gebrauch, Frauen beim ersten
Besuche der Kirche nach dem Wochenbett aufzuweisen oder auszusegnen. Es
sei mir gestattet die Eindrücke einer solchen Aussegnung hier zu schildern.

Kam ich als Kind eine Viertelstunde zu früh in unsere Dorfkirche, so
gewahrte ich oft an der Seitenthüre zwei dunkelvermummte Frauen stehen,
welche auf den Küster und Geistlichen warteten. Diese kamen dann im
halben Ornate und der Geistliche besprengte die Frauen mit Weihwasser
nachdem der Küster den Frauen brennende Wachslichter in die Hand ge¬
geben. Sie folgten dann dem Geistlichen, welcher lateinische Gebete sprach
an den Altar, wo ungefähr 3 bis 10 Minuten lang der Geistliche das Beten
über die niedergeknieten Frauen in lateinischer Sprache fortsetzte und sie dann
wieder mit Weihwasser besprengte. Die Frauen gingen dann um den Altar
herum und legten ein Geldstück auf denselben, womit die Ausweisung ab¬
gemacht war, — Als ich später über diesen Gebrauch nachzudenken im Stande
war, fühlte ich, daß der Priester durch seine Gebete und durch seinen Segen
ähnlich wie bei der Taufe einen Makel beseitigt und öfter kam mir dann der
Gedanke wieder, daß es doch sonderbar sei, daß die Naturgesetze, die doch von
Gott herstammen, mit der Sünde verschwistert sein sollen. Als ich nun jüngst
offen aussprach, daß in dem Ausweisen eine Beleidigung des Weibes liege,
da rief die Schaar der Gelobten, meine Behauptung sei Unsinn, ich sei schlecht
informire !e. Da kam mir denn ein Brief eines mich belehren wollenden
Geistlichen zu, der mir, freilich gegen seine Absicht bewies, wie begründet
meine Ansicht ist. In diesem Briefe wird dargelegt, daß der Gebrauch der
Aussegnung eine Nachahmung der Maria sei, die, obschon ohne Sünde em¬
pfangen, dennoch in den Tempel ging und ihr Kind dem Herrn darbrachte.
Ferner wird behauptet, die Kirche unterscheide zwischen „unrein nach dem
Gesetze und unrein durch den Willen zur Sünde", z. B. sei die Erbsünde in
die erste Kategorie gehörig. Hierauf habe ich nun zu entgegnen, daß bei ^
dem Aussegnen der Wöchnerinnen am Rhein es nicht Gebrauch ist das Kind
mitzubringen, und die Darbringung Christi im Tempel nachzuahmen, da das
Kind schon in der Taufe Gott gewidmet wird. Die Dankgebete für über-
standene Lebensgefahr und Schmerzen und die Bitte um weiteren Beistand
spricht der Geistliche lateinisch und wissen die Frauen also nichts,.davon,
da sie nur das Gefühl und die Absicht haben, „ausgeweiht" zu werden.

Daß die römisch-christliche Kirche die alten mosaischen Reinigungsgesetze


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[0083] zweifelt und den Weltuntergang erwartend, vor allem auf den Himmel Ge¬ wicht legen mußte, da wurde die Passion Christi in den Vordergrund gestellt und zur Trägerin des Cultus gemacht. Die Natur mußte geknechtet werden, um den Himmel zu erobern, unsere ganze Existenz als die Urhunde hinge¬ stellt werden, in der jede Freude nur geduldet und jede Entsagung geheiligt war. Diesem finstern Geiste entspringt auch der Gebrauch, Frauen beim ersten Besuche der Kirche nach dem Wochenbett aufzuweisen oder auszusegnen. Es sei mir gestattet die Eindrücke einer solchen Aussegnung hier zu schildern. Kam ich als Kind eine Viertelstunde zu früh in unsere Dorfkirche, so gewahrte ich oft an der Seitenthüre zwei dunkelvermummte Frauen stehen, welche auf den Küster und Geistlichen warteten. Diese kamen dann im halben Ornate und der Geistliche besprengte die Frauen mit Weihwasser nachdem der Küster den Frauen brennende Wachslichter in die Hand ge¬ geben. Sie folgten dann dem Geistlichen, welcher lateinische Gebete sprach an den Altar, wo ungefähr 3 bis 10 Minuten lang der Geistliche das Beten über die niedergeknieten Frauen in lateinischer Sprache fortsetzte und sie dann wieder mit Weihwasser besprengte. Die Frauen gingen dann um den Altar herum und legten ein Geldstück auf denselben, womit die Ausweisung ab¬ gemacht war, — Als ich später über diesen Gebrauch nachzudenken im Stande war, fühlte ich, daß der Priester durch seine Gebete und durch seinen Segen ähnlich wie bei der Taufe einen Makel beseitigt und öfter kam mir dann der Gedanke wieder, daß es doch sonderbar sei, daß die Naturgesetze, die doch von Gott herstammen, mit der Sünde verschwistert sein sollen. Als ich nun jüngst offen aussprach, daß in dem Ausweisen eine Beleidigung des Weibes liege, da rief die Schaar der Gelobten, meine Behauptung sei Unsinn, ich sei schlecht informire !e. Da kam mir denn ein Brief eines mich belehren wollenden Geistlichen zu, der mir, freilich gegen seine Absicht bewies, wie begründet meine Ansicht ist. In diesem Briefe wird dargelegt, daß der Gebrauch der Aussegnung eine Nachahmung der Maria sei, die, obschon ohne Sünde em¬ pfangen, dennoch in den Tempel ging und ihr Kind dem Herrn darbrachte. Ferner wird behauptet, die Kirche unterscheide zwischen „unrein nach dem Gesetze und unrein durch den Willen zur Sünde", z. B. sei die Erbsünde in die erste Kategorie gehörig. Hierauf habe ich nun zu entgegnen, daß bei ^ dem Aussegnen der Wöchnerinnen am Rhein es nicht Gebrauch ist das Kind mitzubringen, und die Darbringung Christi im Tempel nachzuahmen, da das Kind schon in der Taufe Gott gewidmet wird. Die Dankgebete für über- standene Lebensgefahr und Schmerzen und die Bitte um weiteren Beistand spricht der Geistliche lateinisch und wissen die Frauen also nichts,.davon, da sie nur das Gefühl und die Absicht haben, „ausgeweiht" zu werden. Daß die römisch-christliche Kirche die alten mosaischen Reinigungsgesetze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/83>, abgerufen am 03.07.2024.