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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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keit sie dem Priesterstande schulden. An anderer Stelle habe ich darauf hin¬
gewiesen, welche fatale Consequenzen sich für die römische Geistlichkeit aus
dieser über- oder unmenschlichen Stellung ergeben. Nur der "Mensch" hat
Anspruch auf Menschlichkeit im Kampfe, während jedes andere uns bekäm¬
pfende Wesen, heiße es Thier oder Centaur, oder wie sonst die Mythe die
Mischung von Mensch und Thier bezeichnete, unerbittlich vernichtet werden
durfte. Ja wir müssen aus der Fabelwelt die Beispiele holen, um für die
"neuen" Götter der Erde Vergleiche zu finden. Ein Abglanz des Papstes,
der als Gottes Stellvertreter sich auch das göttliche Attribut der Unfehlbar¬
keit anmaßt, geht auf jeden Bauernlümmel über, der, 20 bis 24 Jahre alt,
mit mangelhafter Conviktsbildung die vier Weihen erhält und von seiner
Mutter und seinem Vater mit "Sie" und "Herr Sohn" sich tituliren läßt.
Der Bauer soll aber in diesen Caplänen den mit gewaltigem Zauber Ausge¬
rüsteten verehren, der im Namen Gottes ihm seine Sünden vergiebt, sein
verhextes Vieh befreit, seine Frau aufweist und Gott selbst veranlaßt, täglich
sich auf dem Altare zu verwandeln. Instinktiv verehrt das Volk die katho¬
lischen Geistlichen als die Herrgottsmächer, so sehr auch betont wird, daß
alles im Namen Gottes vom Knechte der Knechte Gottes geschieht.

Erhaben über irdische Leidenschaft, losgerissen von der Familie, mit Ge¬
walt über die Natur und zumal über die Sünde, soll das Volk seine Prie¬
ster erkennen, verehren und sich -- ihnen beugen. Das Vieh wird ausgeseg¬
net, wenn es rothe Milch giebt oder sonstige auffallende Zustände hat, aus
Besessenen wird der Teufel exorcirt und ähnliche Formeln werden bei der
Taufe gesprochen. Ob Christus, der die Kindlein zu sich kommen ließ und
sie segnete, wohl ein Widersagen dem Teufel und seinen Werken extra ver¬
langte?

Es ist aber durchaus den Principien entsprechend "Beuge nieder um zu
erheben" "Verrichte um zu beherrschen", daß Rom die Abhängigkeit der Men¬
schen vom Teufel stark betonte und Erkennen des irdischen Jammerthales ver¬
langte, damit nur der zum Himmel aufschauen dürfe, der durch die Taufe
dem Papste angehöre und bei Lebzeiten durch Folgsamkeit und materiellen
Tribut dieses bezeuge. Liegt schon in der allgemeinen Hülfsbedürftigkeit des
Menschen der größte Sporn, vertrauensvoll die Arme um Hülfe zu einem
allgütigen Vater zu erheben, und nach der Nacht sich zum Lichte sehnen,
so war es raffinirteste ^Absicht, Elend und Jammer, Schmerz und Noth
sich tributär zu machen, um die monopolisirte Gnade des Himmels zu
spenden.

In den ersten Jahrhunderten des Christenthums finden wir Christum
nur als den guten Hirten und in der antiken Schönheit eines Orpheus und
Apollo dargestellt. Später erst, als die Menschheit an ihrer Zukunft ver-


keit sie dem Priesterstande schulden. An anderer Stelle habe ich darauf hin¬
gewiesen, welche fatale Consequenzen sich für die römische Geistlichkeit aus
dieser über- oder unmenschlichen Stellung ergeben. Nur der „Mensch" hat
Anspruch auf Menschlichkeit im Kampfe, während jedes andere uns bekäm¬
pfende Wesen, heiße es Thier oder Centaur, oder wie sonst die Mythe die
Mischung von Mensch und Thier bezeichnete, unerbittlich vernichtet werden
durfte. Ja wir müssen aus der Fabelwelt die Beispiele holen, um für die
„neuen" Götter der Erde Vergleiche zu finden. Ein Abglanz des Papstes,
der als Gottes Stellvertreter sich auch das göttliche Attribut der Unfehlbar¬
keit anmaßt, geht auf jeden Bauernlümmel über, der, 20 bis 24 Jahre alt,
mit mangelhafter Conviktsbildung die vier Weihen erhält und von seiner
Mutter und seinem Vater mit „Sie" und „Herr Sohn" sich tituliren läßt.
Der Bauer soll aber in diesen Caplänen den mit gewaltigem Zauber Ausge¬
rüsteten verehren, der im Namen Gottes ihm seine Sünden vergiebt, sein
verhextes Vieh befreit, seine Frau aufweist und Gott selbst veranlaßt, täglich
sich auf dem Altare zu verwandeln. Instinktiv verehrt das Volk die katho¬
lischen Geistlichen als die Herrgottsmächer, so sehr auch betont wird, daß
alles im Namen Gottes vom Knechte der Knechte Gottes geschieht.

Erhaben über irdische Leidenschaft, losgerissen von der Familie, mit Ge¬
walt über die Natur und zumal über die Sünde, soll das Volk seine Prie¬
ster erkennen, verehren und sich — ihnen beugen. Das Vieh wird ausgeseg¬
net, wenn es rothe Milch giebt oder sonstige auffallende Zustände hat, aus
Besessenen wird der Teufel exorcirt und ähnliche Formeln werden bei der
Taufe gesprochen. Ob Christus, der die Kindlein zu sich kommen ließ und
sie segnete, wohl ein Widersagen dem Teufel und seinen Werken extra ver¬
langte?

Es ist aber durchaus den Principien entsprechend „Beuge nieder um zu
erheben" „Verrichte um zu beherrschen", daß Rom die Abhängigkeit der Men¬
schen vom Teufel stark betonte und Erkennen des irdischen Jammerthales ver¬
langte, damit nur der zum Himmel aufschauen dürfe, der durch die Taufe
dem Papste angehöre und bei Lebzeiten durch Folgsamkeit und materiellen
Tribut dieses bezeuge. Liegt schon in der allgemeinen Hülfsbedürftigkeit des
Menschen der größte Sporn, vertrauensvoll die Arme um Hülfe zu einem
allgütigen Vater zu erheben, und nach der Nacht sich zum Lichte sehnen,
so war es raffinirteste ^Absicht, Elend und Jammer, Schmerz und Noth
sich tributär zu machen, um die monopolisirte Gnade des Himmels zu
spenden.

In den ersten Jahrhunderten des Christenthums finden wir Christum
nur als den guten Hirten und in der antiken Schönheit eines Orpheus und
Apollo dargestellt. Später erst, als die Menschheit an ihrer Zukunft ver-


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[0082] keit sie dem Priesterstande schulden. An anderer Stelle habe ich darauf hin¬ gewiesen, welche fatale Consequenzen sich für die römische Geistlichkeit aus dieser über- oder unmenschlichen Stellung ergeben. Nur der „Mensch" hat Anspruch auf Menschlichkeit im Kampfe, während jedes andere uns bekäm¬ pfende Wesen, heiße es Thier oder Centaur, oder wie sonst die Mythe die Mischung von Mensch und Thier bezeichnete, unerbittlich vernichtet werden durfte. Ja wir müssen aus der Fabelwelt die Beispiele holen, um für die „neuen" Götter der Erde Vergleiche zu finden. Ein Abglanz des Papstes, der als Gottes Stellvertreter sich auch das göttliche Attribut der Unfehlbar¬ keit anmaßt, geht auf jeden Bauernlümmel über, der, 20 bis 24 Jahre alt, mit mangelhafter Conviktsbildung die vier Weihen erhält und von seiner Mutter und seinem Vater mit „Sie" und „Herr Sohn" sich tituliren läßt. Der Bauer soll aber in diesen Caplänen den mit gewaltigem Zauber Ausge¬ rüsteten verehren, der im Namen Gottes ihm seine Sünden vergiebt, sein verhextes Vieh befreit, seine Frau aufweist und Gott selbst veranlaßt, täglich sich auf dem Altare zu verwandeln. Instinktiv verehrt das Volk die katho¬ lischen Geistlichen als die Herrgottsmächer, so sehr auch betont wird, daß alles im Namen Gottes vom Knechte der Knechte Gottes geschieht. Erhaben über irdische Leidenschaft, losgerissen von der Familie, mit Ge¬ walt über die Natur und zumal über die Sünde, soll das Volk seine Prie¬ ster erkennen, verehren und sich — ihnen beugen. Das Vieh wird ausgeseg¬ net, wenn es rothe Milch giebt oder sonstige auffallende Zustände hat, aus Besessenen wird der Teufel exorcirt und ähnliche Formeln werden bei der Taufe gesprochen. Ob Christus, der die Kindlein zu sich kommen ließ und sie segnete, wohl ein Widersagen dem Teufel und seinen Werken extra ver¬ langte? Es ist aber durchaus den Principien entsprechend „Beuge nieder um zu erheben" „Verrichte um zu beherrschen", daß Rom die Abhängigkeit der Men¬ schen vom Teufel stark betonte und Erkennen des irdischen Jammerthales ver¬ langte, damit nur der zum Himmel aufschauen dürfe, der durch die Taufe dem Papste angehöre und bei Lebzeiten durch Folgsamkeit und materiellen Tribut dieses bezeuge. Liegt schon in der allgemeinen Hülfsbedürftigkeit des Menschen der größte Sporn, vertrauensvoll die Arme um Hülfe zu einem allgütigen Vater zu erheben, und nach der Nacht sich zum Lichte sehnen, so war es raffinirteste ^Absicht, Elend und Jammer, Schmerz und Noth sich tributär zu machen, um die monopolisirte Gnade des Himmels zu spenden. In den ersten Jahrhunderten des Christenthums finden wir Christum nur als den guten Hirten und in der antiken Schönheit eines Orpheus und Apollo dargestellt. Später erst, als die Menschheit an ihrer Zukunft ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/82>, abgerufen am 23.07.2024.