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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sein schwer ertränkter Vater vielleicht nicht mehr am Leben sein. Seine Reise
leide daher nicht den geringsten Verzug. Wiederholt bat er um Bewilligung
der Extrapost. Er erhielt sie. Sie ging ihm aber viel zu langsam, um
seinen Verfolgern zu entkommen. Er verlangte deshalb in Oranienburg
Curirpferde und erhielt sie. Auf diesen jagte er indeß so rasch vorwärts, daß
der Postmeister auf einer der Stationen gewaltigen Lärm darüber erhob, daß
die Pferde, welche von Schweiß trieften, überjagt worden. Zornig schlug er
die Hergabe weiterer Curirpferde ab.

Erst die Gegenvorstellungen des ehemaligen Lützow'schen Reiters und
seine dringende Bitte um Pferde erweichten das Herz des Beamten; er be¬
willigte weitere Pferde.

Nördlich von Stralsund am Strand, westlich von Hiddensee sah er in
aller Frühe des 6. Mai ein Boot mit zwei Fischern. Er rief sie heran, es
waren Vater und Sohn, und er zeigte und bot nun ersterem zwanzig blanke
Thaler, wenn er ihn an die Küste von Schweden bei Ustad bringe. Darauf
ging der Fischer ein. In der Nähe von Hiddensee wurde der nöthige Ballast
eingenommen und ohne Verzug in See gestochen, um sobald als möglich vom
Lande außer Sicht zu kommen.

Als man über Rügen hinaus war, wollte der Fischer nach den Kreide¬
felsen der Insel Mön unter dem Vorgeben, dort sei die Küste von Schweden.
Als er, der Bedeutung durch v. Mühlenfels ungeachtet, darauf bestand, ent¬
fernte ihn dieser mit Gewalt vom Steuer, um dieses selbst zu lenken und
nicht wieder loszulassen. Einer solchen Körperkraft des Reisenden gegenüber
sahen der Fischer und sein Sohn die Nothwendigkeit ein, sich zu fügen.

Für das Boot und seine Last ging die See hoch. Erst am frühen
Morgen des 7. Mai gelang es. die Küste von Schonen bei Mao zu erreichen.
Dort von der Strandwache festgehalten, verlangte v. Mühlenfels vor den
Landeshauptmann geführt zu werden. Dieser fand gegen die Legitimation
des angeblichen Berliner Studenten zur Reise nach Stockholm nichts zu er¬
innern. Im Begriff sich zu entfernen, wurde v. Mühlenfels von dem
Landeshauptmann gefragt: wie es denn dem armen Mühlenfels gehe, welchen
die preußische Negierung nun schon ins zweite Jahr in Berlin gefangen halte,
ohne daß man wisse, warum? Bei dem Antheil an seinem Schicksal, welcher
in dieser Frage lag, gab v. Mühlenfels sich ihm zu erkennen und die Absicht
kund, zunächst seine ältere Schwester, die Baronin von Cederström auf
Beatalund -- drei Meilen von Stockholm -- zu besuchen.

Voll Theilnahme erwiederte der Landeshauptmann, vor Allem müsse er
über seine Flucht und Ankunft in Schweden nach Stockholm berichten und
anfragen, ob seiner Weiterreise nichts entgegenstehe. Wie aber auch der
Bescheid ausfallen möge, in seinem Lar (Schonen) sei v. Mühlenfels sicher.


sein schwer ertränkter Vater vielleicht nicht mehr am Leben sein. Seine Reise
leide daher nicht den geringsten Verzug. Wiederholt bat er um Bewilligung
der Extrapost. Er erhielt sie. Sie ging ihm aber viel zu langsam, um
seinen Verfolgern zu entkommen. Er verlangte deshalb in Oranienburg
Curirpferde und erhielt sie. Auf diesen jagte er indeß so rasch vorwärts, daß
der Postmeister auf einer der Stationen gewaltigen Lärm darüber erhob, daß
die Pferde, welche von Schweiß trieften, überjagt worden. Zornig schlug er
die Hergabe weiterer Curirpferde ab.

Erst die Gegenvorstellungen des ehemaligen Lützow'schen Reiters und
seine dringende Bitte um Pferde erweichten das Herz des Beamten; er be¬
willigte weitere Pferde.

Nördlich von Stralsund am Strand, westlich von Hiddensee sah er in
aller Frühe des 6. Mai ein Boot mit zwei Fischern. Er rief sie heran, es
waren Vater und Sohn, und er zeigte und bot nun ersterem zwanzig blanke
Thaler, wenn er ihn an die Küste von Schweden bei Ustad bringe. Darauf
ging der Fischer ein. In der Nähe von Hiddensee wurde der nöthige Ballast
eingenommen und ohne Verzug in See gestochen, um sobald als möglich vom
Lande außer Sicht zu kommen.

Als man über Rügen hinaus war, wollte der Fischer nach den Kreide¬
felsen der Insel Mön unter dem Vorgeben, dort sei die Küste von Schweden.
Als er, der Bedeutung durch v. Mühlenfels ungeachtet, darauf bestand, ent¬
fernte ihn dieser mit Gewalt vom Steuer, um dieses selbst zu lenken und
nicht wieder loszulassen. Einer solchen Körperkraft des Reisenden gegenüber
sahen der Fischer und sein Sohn die Nothwendigkeit ein, sich zu fügen.

Für das Boot und seine Last ging die See hoch. Erst am frühen
Morgen des 7. Mai gelang es. die Küste von Schonen bei Mao zu erreichen.
Dort von der Strandwache festgehalten, verlangte v. Mühlenfels vor den
Landeshauptmann geführt zu werden. Dieser fand gegen die Legitimation
des angeblichen Berliner Studenten zur Reise nach Stockholm nichts zu er¬
innern. Im Begriff sich zu entfernen, wurde v. Mühlenfels von dem
Landeshauptmann gefragt: wie es denn dem armen Mühlenfels gehe, welchen
die preußische Negierung nun schon ins zweite Jahr in Berlin gefangen halte,
ohne daß man wisse, warum? Bei dem Antheil an seinem Schicksal, welcher
in dieser Frage lag, gab v. Mühlenfels sich ihm zu erkennen und die Absicht
kund, zunächst seine ältere Schwester, die Baronin von Cederström auf
Beatalund — drei Meilen von Stockholm — zu besuchen.

Voll Theilnahme erwiederte der Landeshauptmann, vor Allem müsse er
über seine Flucht und Ankunft in Schweden nach Stockholm berichten und
anfragen, ob seiner Weiterreise nichts entgegenstehe. Wie aber auch der
Bescheid ausfallen möge, in seinem Lar (Schonen) sei v. Mühlenfels sicher.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/78>, abgerufen am 23.07.2024.