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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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war die Berathung des Gesetzes über die Einstellung der Leistungen aus
Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen. Die
erste Lesung des betreffenden Entwurfs am 16. März brachte den vielbe¬
sprochenen Zwischenfall, daß, während Heinrich v. Shbel nach einem ultra¬
montanen Pamphlet oder Roman die Schilderung des Fürsten Bismarck zum
Besten gab. der Letztere zufällig in das Haus eintrat und zum Gegenstand
einer unwillkürlichen Ovation wurde. Als darauf Herr v. Gerlach zu Gunsten
der hierarchischen Auflehnung gegen die Gesetze wieder einmal das Wort
citirte: man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, antwortete ihm
Fürst Bismarck. In seiner schlagenden Weise lehnte der Kanzler die Ver¬
kehrung jenes Wortes in den Satz ab: man müsse dem Papst mehr dienen
als dem Kaiser.

Die zweite Lesung des Gesetzes am 18. März hatte wiederum ihren
eigenthümlichen Zwischenfall, indem ein Mitglied des Centrums trotz der Ein¬
sprache des Präsidenten und des größten Theiles der Abgeordneten die Eneyklika
vom 5. Februar von , der Rednerbühne des Hauses zur Verlesung brachte
unter dem Vorwand, daß dies zur Verdeutlichung seines Vortrags nöthig sei.
Der Zweck der Verlesung war einfach die straflose Verbreitung der Eneyklika.
Das gewählte Mittel zeigt von einer Rücksichtslosigkeit, die in der Regel
nicht Sache gebildeter Menschen ist. Andererseits hatte der Präsident die
Verlesung nur widerrathen, nicht verboten, indem er erklärte, sich zu einem
Verbot nicht befugt erachtet zu haben, sobald der Redner darauf bestand, der
Verlesung zu seiner Ausführung zu bedürfen. In Folge des Vorfalls wird
beabsichtigt, durch die Geschäftsordnung ausdrücklich zu bestimmen, daß Akten¬
stücke nur mit Genehmigung des Präsidenten verlesen werden dürfen.

Die Rücksichtslosigkeit des ultramontanen Redners lag darin, daß er
das Haus der Abgeordneten durch einen Vorwand verhöhnte, dessen Hinfällig¬
keit für jedes Auge sichtbar war, während ein ganz anderer, dem Hause
fremder oder gar feindlicher Zweck erreicht werden sollte. So abstoßend nun
eine solche Rücksichtslosigkeit bleibt, so müssen wir andererseits doch bekennen,
daß wir mit dem Grund nicht sympathisiren, der sie hervorrief. Daß ein¬
zelne Zeitungen den Text veröffentlichen durften, weil ihre Staatstreue Gesinnung
außer Zweifel, während andere Zeitungen wegen vorausgesetzter staatsfeind¬
licher Absicht für dieselbe Veröffentlichung gerichtliche Schritte zu gewärtigen
haben, das Alles gefällt uns sehr wenig. Mit einer großen Politik verträgt
sich nichts schlechter als Künstelei, durch welche rechts und links das Urtheil
und die Empfindung in Verwirrung gebracht wird. Nach unserm Geschmack
wäre es gewesen, wenn in allen katholischen Diöcesen die Eneyklika Namens
der Staatsbehörden angeschlagen worden wäre mit der Bemerkung: der Papst
fordert von Euch den Ungehorsam gegen den König und das Staatsgesetz;


war die Berathung des Gesetzes über die Einstellung der Leistungen aus
Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen. Die
erste Lesung des betreffenden Entwurfs am 16. März brachte den vielbe¬
sprochenen Zwischenfall, daß, während Heinrich v. Shbel nach einem ultra¬
montanen Pamphlet oder Roman die Schilderung des Fürsten Bismarck zum
Besten gab. der Letztere zufällig in das Haus eintrat und zum Gegenstand
einer unwillkürlichen Ovation wurde. Als darauf Herr v. Gerlach zu Gunsten
der hierarchischen Auflehnung gegen die Gesetze wieder einmal das Wort
citirte: man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, antwortete ihm
Fürst Bismarck. In seiner schlagenden Weise lehnte der Kanzler die Ver¬
kehrung jenes Wortes in den Satz ab: man müsse dem Papst mehr dienen
als dem Kaiser.

Die zweite Lesung des Gesetzes am 18. März hatte wiederum ihren
eigenthümlichen Zwischenfall, indem ein Mitglied des Centrums trotz der Ein¬
sprache des Präsidenten und des größten Theiles der Abgeordneten die Eneyklika
vom 5. Februar von , der Rednerbühne des Hauses zur Verlesung brachte
unter dem Vorwand, daß dies zur Verdeutlichung seines Vortrags nöthig sei.
Der Zweck der Verlesung war einfach die straflose Verbreitung der Eneyklika.
Das gewählte Mittel zeigt von einer Rücksichtslosigkeit, die in der Regel
nicht Sache gebildeter Menschen ist. Andererseits hatte der Präsident die
Verlesung nur widerrathen, nicht verboten, indem er erklärte, sich zu einem
Verbot nicht befugt erachtet zu haben, sobald der Redner darauf bestand, der
Verlesung zu seiner Ausführung zu bedürfen. In Folge des Vorfalls wird
beabsichtigt, durch die Geschäftsordnung ausdrücklich zu bestimmen, daß Akten¬
stücke nur mit Genehmigung des Präsidenten verlesen werden dürfen.

Die Rücksichtslosigkeit des ultramontanen Redners lag darin, daß er
das Haus der Abgeordneten durch einen Vorwand verhöhnte, dessen Hinfällig¬
keit für jedes Auge sichtbar war, während ein ganz anderer, dem Hause
fremder oder gar feindlicher Zweck erreicht werden sollte. So abstoßend nun
eine solche Rücksichtslosigkeit bleibt, so müssen wir andererseits doch bekennen,
daß wir mit dem Grund nicht sympathisiren, der sie hervorrief. Daß ein¬
zelne Zeitungen den Text veröffentlichen durften, weil ihre Staatstreue Gesinnung
außer Zweifel, während andere Zeitungen wegen vorausgesetzter staatsfeind¬
licher Absicht für dieselbe Veröffentlichung gerichtliche Schritte zu gewärtigen
haben, das Alles gefällt uns sehr wenig. Mit einer großen Politik verträgt
sich nichts schlechter als Künstelei, durch welche rechts und links das Urtheil
und die Empfindung in Verwirrung gebracht wird. Nach unserm Geschmack
wäre es gewesen, wenn in allen katholischen Diöcesen die Eneyklika Namens
der Staatsbehörden angeschlagen worden wäre mit der Bemerkung: der Papst
fordert von Euch den Ungehorsam gegen den König und das Staatsgesetz;


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[0526] war die Berathung des Gesetzes über die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen. Die erste Lesung des betreffenden Entwurfs am 16. März brachte den vielbe¬ sprochenen Zwischenfall, daß, während Heinrich v. Shbel nach einem ultra¬ montanen Pamphlet oder Roman die Schilderung des Fürsten Bismarck zum Besten gab. der Letztere zufällig in das Haus eintrat und zum Gegenstand einer unwillkürlichen Ovation wurde. Als darauf Herr v. Gerlach zu Gunsten der hierarchischen Auflehnung gegen die Gesetze wieder einmal das Wort citirte: man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, antwortete ihm Fürst Bismarck. In seiner schlagenden Weise lehnte der Kanzler die Ver¬ kehrung jenes Wortes in den Satz ab: man müsse dem Papst mehr dienen als dem Kaiser. Die zweite Lesung des Gesetzes am 18. März hatte wiederum ihren eigenthümlichen Zwischenfall, indem ein Mitglied des Centrums trotz der Ein¬ sprache des Präsidenten und des größten Theiles der Abgeordneten die Eneyklika vom 5. Februar von , der Rednerbühne des Hauses zur Verlesung brachte unter dem Vorwand, daß dies zur Verdeutlichung seines Vortrags nöthig sei. Der Zweck der Verlesung war einfach die straflose Verbreitung der Eneyklika. Das gewählte Mittel zeigt von einer Rücksichtslosigkeit, die in der Regel nicht Sache gebildeter Menschen ist. Andererseits hatte der Präsident die Verlesung nur widerrathen, nicht verboten, indem er erklärte, sich zu einem Verbot nicht befugt erachtet zu haben, sobald der Redner darauf bestand, der Verlesung zu seiner Ausführung zu bedürfen. In Folge des Vorfalls wird beabsichtigt, durch die Geschäftsordnung ausdrücklich zu bestimmen, daß Akten¬ stücke nur mit Genehmigung des Präsidenten verlesen werden dürfen. Die Rücksichtslosigkeit des ultramontanen Redners lag darin, daß er das Haus der Abgeordneten durch einen Vorwand verhöhnte, dessen Hinfällig¬ keit für jedes Auge sichtbar war, während ein ganz anderer, dem Hause fremder oder gar feindlicher Zweck erreicht werden sollte. So abstoßend nun eine solche Rücksichtslosigkeit bleibt, so müssen wir andererseits doch bekennen, daß wir mit dem Grund nicht sympathisiren, der sie hervorrief. Daß ein¬ zelne Zeitungen den Text veröffentlichen durften, weil ihre Staatstreue Gesinnung außer Zweifel, während andere Zeitungen wegen vorausgesetzter staatsfeind¬ licher Absicht für dieselbe Veröffentlichung gerichtliche Schritte zu gewärtigen haben, das Alles gefällt uns sehr wenig. Mit einer großen Politik verträgt sich nichts schlechter als Künstelei, durch welche rechts und links das Urtheil und die Empfindung in Verwirrung gebracht wird. Nach unserm Geschmack wäre es gewesen, wenn in allen katholischen Diöcesen die Eneyklika Namens der Staatsbehörden angeschlagen worden wäre mit der Bemerkung: der Papst fordert von Euch den Ungehorsam gegen den König und das Staatsgesetz;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/526>, abgerufen am 23.07.2024.