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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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ihrer Farbe; nur in den verschiedenen Ausschüssen wurden, da man doch auch
Leute zum Arbeiten haben mußte und die Herren, welche sich die totale
Umgestaltung des bayrischen Staatswesens vorgenommen hatten, sich dazu
nicht so ganz geschickt fanden, die paar Liberalen, wie man damals sagte, "par-
donnirt." Es waren schöne Zeiten für die "patriotische" Partei damals, aus-
fichtreiche, hoffnungsfrohe. Auf das Programm: Die Selbstständigkeit Bay¬
erns im vollsten Umfang aufrecht, die katholische Religion in ihm herrschend
zu erhalten, mit Händen und Füßen gegen eine Einigung Deutschlands sich
zu wehren, vor allem dem "Räuber" von 1866, dem verhaßten Preußen,
möglichst viel Schabernack anzuthun, waren die "Patrioten" gewählt worden
und, keck das Haupt emportragcnd, gen München gezogen, um dort die große
Reform nach rückwärts zu beginnen; jene famose Adresse, die allen nationalen
Gedanken verhöhnte, die im Reichs rath zu. vertreten der Präsident des pro¬
testantischen Oberconsistoriums, Herr von Harleß, sich nicht entblödete, wurde
an den König erlassen; an Preußen wenigstens in den Kammerreden der
nieder- und oberbayrischen Kampfhähne der Krieg erklärt; der Passauer Pro¬
fessor Greil stellte den ganzen bisherigen Staatshaushalt aus den Kopf und
entwarf das Ausweisungsdeeret gegen alle nicht in blauweißer Würze gelegene
Lehrer an hohen und niedern Schulen; der "Demokrat" Kolb that seinen neu¬
erworbenen Bundesbrüdern von der rechten Seite des Hauses den Gefallen,
gegen die kaum erst ins Leben getretene neue Wehrverfassung ins Feld zu
ziehen und seinen abgetriebenen Milizgaul zu reiten; Fürst Hohenlohe, der
den Schwarzen verhaßte Minister nahm seinen Abschied, seine Collegen hielten
zwar etwas zäher an ihren Fauteuils, aber auch sie mußten endlich mürbe
werden, schon konnten die Herren v. Frankenstein, Jörg, Greil und Genossen,
daran denken, ihre Erbschaft anzutreten und das wahre Heil Bayerns zu
bringen: -- da kam der 19. Juli l870, und mit ihm in Berlin die Kriegs¬
erklärung Frankreichs und hier in München jene ewig denkwürdige Nachsitzung
der Kammer, in welcher die "Patrioten" schmähliche Neutralität Bayerns
verlangten, etlichen unter ihnen aber doch die Schamröthe ins Gesicht stieg,
so daß die Liberalen nicht allein standen, als unter der athemlosen Spannung
des bis in den letzten Winkel gefüllten Hauses, die "Ja" und "Nein" fielen,
und der Eintritt Bayerns in den großen Kampf "deutscher Nation" entschie¬
den wurde. Unvergeßlich wird mir jene Nacht bleiben. Unten im Hofe und
auf der Straße vor dem Hause eine dicht zusammenstehende Menge, unruhig,
gährend, nur des Zünders harrend, der den Brand, wenn die Entscheidung
der Kammer antinational ausfallen sollte, aufflammen lassen würde; im
Sitzungssaal Erregung auf allen Gesichtern, auf der Tribüne Jörg, um mit
aller ihm zu Gebote stehenden Sophistik die Abstimmung zu Gunsten der
Partikularisten zu lenken, draußen im Lesezimmer der preußische Gesandte


ihrer Farbe; nur in den verschiedenen Ausschüssen wurden, da man doch auch
Leute zum Arbeiten haben mußte und die Herren, welche sich die totale
Umgestaltung des bayrischen Staatswesens vorgenommen hatten, sich dazu
nicht so ganz geschickt fanden, die paar Liberalen, wie man damals sagte, „par-
donnirt." Es waren schöne Zeiten für die „patriotische" Partei damals, aus-
fichtreiche, hoffnungsfrohe. Auf das Programm: Die Selbstständigkeit Bay¬
erns im vollsten Umfang aufrecht, die katholische Religion in ihm herrschend
zu erhalten, mit Händen und Füßen gegen eine Einigung Deutschlands sich
zu wehren, vor allem dem „Räuber" von 1866, dem verhaßten Preußen,
möglichst viel Schabernack anzuthun, waren die „Patrioten" gewählt worden
und, keck das Haupt emportragcnd, gen München gezogen, um dort die große
Reform nach rückwärts zu beginnen; jene famose Adresse, die allen nationalen
Gedanken verhöhnte, die im Reichs rath zu. vertreten der Präsident des pro¬
testantischen Oberconsistoriums, Herr von Harleß, sich nicht entblödete, wurde
an den König erlassen; an Preußen wenigstens in den Kammerreden der
nieder- und oberbayrischen Kampfhähne der Krieg erklärt; der Passauer Pro¬
fessor Greil stellte den ganzen bisherigen Staatshaushalt aus den Kopf und
entwarf das Ausweisungsdeeret gegen alle nicht in blauweißer Würze gelegene
Lehrer an hohen und niedern Schulen; der „Demokrat" Kolb that seinen neu¬
erworbenen Bundesbrüdern von der rechten Seite des Hauses den Gefallen,
gegen die kaum erst ins Leben getretene neue Wehrverfassung ins Feld zu
ziehen und seinen abgetriebenen Milizgaul zu reiten; Fürst Hohenlohe, der
den Schwarzen verhaßte Minister nahm seinen Abschied, seine Collegen hielten
zwar etwas zäher an ihren Fauteuils, aber auch sie mußten endlich mürbe
werden, schon konnten die Herren v. Frankenstein, Jörg, Greil und Genossen,
daran denken, ihre Erbschaft anzutreten und das wahre Heil Bayerns zu
bringen: — da kam der 19. Juli l870, und mit ihm in Berlin die Kriegs¬
erklärung Frankreichs und hier in München jene ewig denkwürdige Nachsitzung
der Kammer, in welcher die „Patrioten" schmähliche Neutralität Bayerns
verlangten, etlichen unter ihnen aber doch die Schamröthe ins Gesicht stieg,
so daß die Liberalen nicht allein standen, als unter der athemlosen Spannung
des bis in den letzten Winkel gefüllten Hauses, die „Ja" und „Nein" fielen,
und der Eintritt Bayerns in den großen Kampf „deutscher Nation" entschie¬
den wurde. Unvergeßlich wird mir jene Nacht bleiben. Unten im Hofe und
auf der Straße vor dem Hause eine dicht zusammenstehende Menge, unruhig,
gährend, nur des Zünders harrend, der den Brand, wenn die Entscheidung
der Kammer antinational ausfallen sollte, aufflammen lassen würde; im
Sitzungssaal Erregung auf allen Gesichtern, auf der Tribüne Jörg, um mit
aller ihm zu Gebote stehenden Sophistik die Abstimmung zu Gunsten der
Partikularisten zu lenken, draußen im Lesezimmer der preußische Gesandte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/483>, abgerufen am 03.07.2024.