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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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auf einen bestimmten Antheil an den Privilegien und an dem Vermögen der
römisch-katholischen Kirche Deutschlands sind nur zu begründen durch den
Beweis der Unrechtmäßigkeit des Vaticanums.

Glücklicherweise sind wir seit der Encyclika vom 3. Februar über dieses
Stadium der römisch-deutschen Frage hinaus gekommen, ehe es noch actuell
geworden. Die römische Kirche hat zunächst in Preußen den Staat gezwungen,
ihre Rechte für verwirkt zu erklären, nachdem sie den Staat direct in seiner
Existenz bedroht und ihm die Hoheit auf seinem eignen Gebiete abgesprochen
hat. Zwar sind, um genau zu sprechen, die Rechte der römischen Kirche bis
jetzt nur suspendirt, noch nicht für verwirkt erklärt worden; aber die völlige
definitive Rücknahme der an die römische Kirche vom Staat ertheilten Rechte
wird und muß unausbleiblich erfolgen. Dann steht der Staat einer neuen
Neligionsgenossenschaft gegenüber, die sich Altkatholiken nennt und welche er
nach Erwägungen der Zweckmäßigkeit mit Rechten ausstatten mag. Die
Genossen der römischen Kirche aber werden einer kirchlichen Organisation und
Nechtsausstattung nur unter ganz veränderten Bedingungen wieder theilhaftig
werden können, verändert am meisten im Bezug auf die permanente Stellung
des Staats'zu den kirchlichen Obrigkeiten.

Unter diesen Umständen, deren Darlegung einen Widerspruch wohl nicht
zuläßt, dünkt uns der Antrag Petri e-ntweder zu spät gekommen oder auch
zu früh. Eine neue Religionsgesellschaft wollen die Altkatholiken bis jetzt
nicht sein. Als solche kann also die Staatsgesetzgebung sie jetzt noch nicht
definitiv ausstatten. Höchstens kann der Staat den Altkatholiken aus der
einbehaltenen Kirchendotation und aus dem bald zu sequestrirenden Kirchen-
vermögen einen angemessenen Theil zu interimistischen Gebrauch überweisen.
Erst wenn es dahin gekommen, daß die vaticanische Kirche auf dem Boden
des. deutschen Staates für unduldbar erklärt ist, werden die Altkatholiken sich
als neue Religionsgesellschaft zu constituiren und andererseits die bis jetzt
noch vaticanischen Katholiken dasselbe zu thun haben, wenn letztere nicht
etwa vorziehen, als religiös vereinzelte Personen zu leben. Ob die dereinstige
Constitution der römischen Kirche in Deutschland vom Papstthum gutgeheißen,
oder stillschweigend geduldet, oder offiziell verdammt wird, ob sie überhaupt
je zu Stande kommt, das sind Fragen, deren Lösung zwar der Zukunft
überlassen bleibt, die aber nichtsdestoweniger gestellt werden müssen. Denn
es ist nöthig zu wissen, daß bei dem Streit mit Rom der deutsche Staat
nicht einem unbekannten Land entgegen steuert, sondern einem Gebiet
begrenzter Möglichkeiten, bei deren jeder er die Bedingungen seiner Existenz,
seiner Ehre und Hoheit, an welche die Existenz geknüpft ist, erfüllt findet.


v --r.


auf einen bestimmten Antheil an den Privilegien und an dem Vermögen der
römisch-katholischen Kirche Deutschlands sind nur zu begründen durch den
Beweis der Unrechtmäßigkeit des Vaticanums.

Glücklicherweise sind wir seit der Encyclika vom 3. Februar über dieses
Stadium der römisch-deutschen Frage hinaus gekommen, ehe es noch actuell
geworden. Die römische Kirche hat zunächst in Preußen den Staat gezwungen,
ihre Rechte für verwirkt zu erklären, nachdem sie den Staat direct in seiner
Existenz bedroht und ihm die Hoheit auf seinem eignen Gebiete abgesprochen
hat. Zwar sind, um genau zu sprechen, die Rechte der römischen Kirche bis
jetzt nur suspendirt, noch nicht für verwirkt erklärt worden; aber die völlige
definitive Rücknahme der an die römische Kirche vom Staat ertheilten Rechte
wird und muß unausbleiblich erfolgen. Dann steht der Staat einer neuen
Neligionsgenossenschaft gegenüber, die sich Altkatholiken nennt und welche er
nach Erwägungen der Zweckmäßigkeit mit Rechten ausstatten mag. Die
Genossen der römischen Kirche aber werden einer kirchlichen Organisation und
Nechtsausstattung nur unter ganz veränderten Bedingungen wieder theilhaftig
werden können, verändert am meisten im Bezug auf die permanente Stellung
des Staats'zu den kirchlichen Obrigkeiten.

Unter diesen Umständen, deren Darlegung einen Widerspruch wohl nicht
zuläßt, dünkt uns der Antrag Petri e-ntweder zu spät gekommen oder auch
zu früh. Eine neue Religionsgesellschaft wollen die Altkatholiken bis jetzt
nicht sein. Als solche kann also die Staatsgesetzgebung sie jetzt noch nicht
definitiv ausstatten. Höchstens kann der Staat den Altkatholiken aus der
einbehaltenen Kirchendotation und aus dem bald zu sequestrirenden Kirchen-
vermögen einen angemessenen Theil zu interimistischen Gebrauch überweisen.
Erst wenn es dahin gekommen, daß die vaticanische Kirche auf dem Boden
des. deutschen Staates für unduldbar erklärt ist, werden die Altkatholiken sich
als neue Religionsgesellschaft zu constituiren und andererseits die bis jetzt
noch vaticanischen Katholiken dasselbe zu thun haben, wenn letztere nicht
etwa vorziehen, als religiös vereinzelte Personen zu leben. Ob die dereinstige
Constitution der römischen Kirche in Deutschland vom Papstthum gutgeheißen,
oder stillschweigend geduldet, oder offiziell verdammt wird, ob sie überhaupt
je zu Stande kommt, das sind Fragen, deren Lösung zwar der Zukunft
überlassen bleibt, die aber nichtsdestoweniger gestellt werden müssen. Denn
es ist nöthig zu wissen, daß bei dem Streit mit Rom der deutsche Staat
nicht einem unbekannten Land entgegen steuert, sondern einem Gebiet
begrenzter Möglichkeiten, bei deren jeder er die Bedingungen seiner Existenz,
seiner Ehre und Hoheit, an welche die Existenz geknüpft ist, erfüllt findet.


v —r.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/479>, abgerufen am 01.07.2024.