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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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wo erstere in beträchtlicher Zahl vorhanden, nach dem Zahlenverhältniß der
selbstständigen Gemeindeglieder beider Kirchenparteien. Der Antrag gab An¬
laß zu einer der besten Verhandlungen über das schon so oft verhandelte
Thema, deren Ergebniß die Verweisung des Antrags an die Commission zur
Vorberathung des Gesetzes über die Vermögensverwaltung der katholischen
Kirchengemeinden war. Die Verhandlung, der wir soeben ein verdientes Lob
gespendet, hat dieses dadurch verdient, daß die meisten Redner von der ge¬
nommenen Stellung aus sehr gut argumentirten. Sie hat unseres Erachtens
nichts destoweniger den Kern der Sache verfehlt.

Der altkatholischen Bewegung gegenüber hat bisher die Regierung und
der Landtag in Preußen den Standpunkt einzunehmen versucht, auf welchem
gesagt wird: dies ist ein Streit innerhalb der katholischen Kirche, über den
der Staat nicht befinden kann, er behandelt deshalb die streitenden Theile
so als ob jeder den gleichen Anspruch hätte.

Wir halten es aber an der" Zeit, mit der Meinung nicht länger zurück¬
zuhalten, daß an diesem Standpunkt nichts ist. Er läßt sich dialektisch eine
Weile, aber nur zum Schein festhalten; er läßt sich desgleichen in der Praxis
eine Weile, so lange nämlich, als das Schisma auf kleine Dimensionen
beschränkt bleibt, festhalten. Die wahre Ansicht des Gegenstandes ist aber
folgende. Wenn der Staat einer Kirchengemeinschaft große, weitreichende
Privilegien verleiht, so muß der Staat sich von vorn herein in den Stand
setzen, und wenn er dies fehlerhafter Weise versäumt haben sollte, so muß
er sich die Mittel nachträglich verschaffen, zu erkennen, ob das Subject, dem er
große Rechte verliehen, sieh gleich geblieben oder nicht. Wenn der Staat dazu
nicht im Stande sein sollte, so könnte er eines Tages wer weiß durch welche
Macht oder Kraft verpflichtet gehalten werden, im Besitz von ihm verliehener,
aber nunmehr gegen ihn gerichteter Rechte zu schützen. In Wahrheit kann
der Staat den Gegensatz zwischen Alt- und Neu-Katholiken allenfalls igno-
riren, solange derselbe sich als eine vorübergehende Irrung betrachten läßt.
Wenn dies aber nicht mehr möglich, dann muß der Staat allerdings die
Rechtsfrage untersuchen. Eine Rechtsfrage ist aber noch keine Dogmensrage.
Es handelt sich vielmehr um die Rechtsbeständigkeit des vatikanischen Conzils
sowohl in Bezug auf Befugniß als auf Verfahren. Damit ist der Streit
zwischen Alt- und Neukatholiken nicht entschieden, daß die ersten sagen: wir
sind die Alten, die Andern sind die Neueren. Es fragt sich vielmehr, ob die
Neuerung rechtsbeständig gewesen. Und allerdings ist der Staat nicht nur
berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, sich Gewißheit zu verschaffen, ob die
Veränderung eines von ihm ausgestatteten Rechtssubjectes nach dem Recht
und nach der Ordnung erfolgt ist. in welcher er bei der Ausstattung die
Bürgschaft seines Vertrauens gesehen hat. Die Ansprüche der Altkatholiken


wo erstere in beträchtlicher Zahl vorhanden, nach dem Zahlenverhältniß der
selbstständigen Gemeindeglieder beider Kirchenparteien. Der Antrag gab An¬
laß zu einer der besten Verhandlungen über das schon so oft verhandelte
Thema, deren Ergebniß die Verweisung des Antrags an die Commission zur
Vorberathung des Gesetzes über die Vermögensverwaltung der katholischen
Kirchengemeinden war. Die Verhandlung, der wir soeben ein verdientes Lob
gespendet, hat dieses dadurch verdient, daß die meisten Redner von der ge¬
nommenen Stellung aus sehr gut argumentirten. Sie hat unseres Erachtens
nichts destoweniger den Kern der Sache verfehlt.

Der altkatholischen Bewegung gegenüber hat bisher die Regierung und
der Landtag in Preußen den Standpunkt einzunehmen versucht, auf welchem
gesagt wird: dies ist ein Streit innerhalb der katholischen Kirche, über den
der Staat nicht befinden kann, er behandelt deshalb die streitenden Theile
so als ob jeder den gleichen Anspruch hätte.

Wir halten es aber an der» Zeit, mit der Meinung nicht länger zurück¬
zuhalten, daß an diesem Standpunkt nichts ist. Er läßt sich dialektisch eine
Weile, aber nur zum Schein festhalten; er läßt sich desgleichen in der Praxis
eine Weile, so lange nämlich, als das Schisma auf kleine Dimensionen
beschränkt bleibt, festhalten. Die wahre Ansicht des Gegenstandes ist aber
folgende. Wenn der Staat einer Kirchengemeinschaft große, weitreichende
Privilegien verleiht, so muß der Staat sich von vorn herein in den Stand
setzen, und wenn er dies fehlerhafter Weise versäumt haben sollte, so muß
er sich die Mittel nachträglich verschaffen, zu erkennen, ob das Subject, dem er
große Rechte verliehen, sieh gleich geblieben oder nicht. Wenn der Staat dazu
nicht im Stande sein sollte, so könnte er eines Tages wer weiß durch welche
Macht oder Kraft verpflichtet gehalten werden, im Besitz von ihm verliehener,
aber nunmehr gegen ihn gerichteter Rechte zu schützen. In Wahrheit kann
der Staat den Gegensatz zwischen Alt- und Neu-Katholiken allenfalls igno-
riren, solange derselbe sich als eine vorübergehende Irrung betrachten läßt.
Wenn dies aber nicht mehr möglich, dann muß der Staat allerdings die
Rechtsfrage untersuchen. Eine Rechtsfrage ist aber noch keine Dogmensrage.
Es handelt sich vielmehr um die Rechtsbeständigkeit des vatikanischen Conzils
sowohl in Bezug auf Befugniß als auf Verfahren. Damit ist der Streit
zwischen Alt- und Neukatholiken nicht entschieden, daß die ersten sagen: wir
sind die Alten, die Andern sind die Neueren. Es fragt sich vielmehr, ob die
Neuerung rechtsbeständig gewesen. Und allerdings ist der Staat nicht nur
berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, sich Gewißheit zu verschaffen, ob die
Veränderung eines von ihm ausgestatteten Rechtssubjectes nach dem Recht
und nach der Ordnung erfolgt ist. in welcher er bei der Ausstattung die
Bürgschaft seines Vertrauens gesehen hat. Die Ansprüche der Altkatholiken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/478>, abgerufen am 01.07.2024.