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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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rieb Kiepert's "Neuer Handatlas über alle Theile der Erde" angelegt. Er
besteht aus 42 vortrefflich gestochenen Karten und wurde 1873 in zweiter
vollständig berichtigter und vermehrter Auflage herausgegeben, während die
erste im Jahre 1860 erschien und von Seiten der Sachkenner mit hoher Ge¬
nugthuung begrüßt wurde. Der Name Kiepert's ist seit nun fast einem Men¬
schenalter mit der deutschen wissenschaftlichen Kartographie eng verknüpft und
genießt einer so wohlverdienten Anerkennung, daß es kaum nöthig erscheint,
zu dem allgemeinen Lobe noch etwas hinzuzufügen. Zwar erscheinen manche
der älteren Karten in Folge des lithographischen Umdruckes, namentlich im
Terrain, hier und da etwas gequetscht und breit, aber im Ganzen erfreut die
Darstellung durch lichtvolle Klarheit. Der große Maßstab der meisten er¬
laubte die Anbringung zahlreicher Details und so empfiehlt sich in dieser
Hinsicht der Atlas dem Zeitungsleser ganz besonders.

Kiepert's ausgebreitete Kenntnisse auf linguistischen und ethnographischen
Gebiete spiegeln sich auch deutlich in seinem Atlas wieder. Es giebt keinen
zweiten, bei dem die Consequenz in der Rechtschreibung der Eigennamen so
penibel durchgeführt wäre, wie in diesem Werke. Mag man auch in Einzel¬
heiten anderer Ansicht sein -- das Ganze befriedigt ungemein und verdient
hohe Anerkennung. Kiepert giebt die Namen in der landesüblichen Weise
und bemerkt die deutsche Form dabei gewöhnlich im Kleinen. So finden wir
Warszawa und nicht Warschau, Moskwa und nicht Moskau. Er schreibt
Kalisz und nicht Kalisch, indem er bei den mit lateinischer Schrift schreiben¬
den Völkern deren Orthographie beibehält. Für den uns Deutschen fehlenden
weichen sah-Laut der Slaven setzt er öd, ein Verfahren, das mit dem eng¬
lischen Lu zu Verwechslungen führen kann. Adolf Eurem hatte für diesen
Laut ein cursives/eingeführt, entsprechend dem französischen s in Mr, Meiln.
Indessen beide Verfahrungsweisen helfen nicht über die Schwierigkeit hinweg,
sind einseitig und willkürlich. Wir können, wollen wir hier richtig verfahren,
nur das polnische und tschechische S für diesen Laut gebrauchen, wie er auch
von Lepsius in seinem Standard-Alphabet angenommen wurde. Kiepert's
ausgebreitete Sprachkenntniß documentirt sich allenthalben, wie er denn für
das Kasvische Meer russische, türkische und persische Formen anführt und im
Orient allenthalben die richtigen arabischen Namen den mehr gebräuchlichen
Urformen beifügt. Daß er in manchen Dingen isolirt steht darf nicht geläugnet
werden. So hat er gewiß ursprünglich recht, wenn er Nigir für den großen
afrikanischen Strom schreibt, um eine Verwechslung mit dem lateinischen
Niger vorzubeugen. Aber bei der allgemeinen Anerkennung, welche letztere
Form gefunden, und wobei man wohl kaum an "schwarz" denkt, wird Kiepert
hier vereinzelt stehen bleiben, ebenso wie mit seinem ursprünglich auch richtigen
Ungern gegenüber der amtlichen und allgemein üblichen Form Ungarn. Wir


rieb Kiepert's „Neuer Handatlas über alle Theile der Erde" angelegt. Er
besteht aus 42 vortrefflich gestochenen Karten und wurde 1873 in zweiter
vollständig berichtigter und vermehrter Auflage herausgegeben, während die
erste im Jahre 1860 erschien und von Seiten der Sachkenner mit hoher Ge¬
nugthuung begrüßt wurde. Der Name Kiepert's ist seit nun fast einem Men¬
schenalter mit der deutschen wissenschaftlichen Kartographie eng verknüpft und
genießt einer so wohlverdienten Anerkennung, daß es kaum nöthig erscheint,
zu dem allgemeinen Lobe noch etwas hinzuzufügen. Zwar erscheinen manche
der älteren Karten in Folge des lithographischen Umdruckes, namentlich im
Terrain, hier und da etwas gequetscht und breit, aber im Ganzen erfreut die
Darstellung durch lichtvolle Klarheit. Der große Maßstab der meisten er¬
laubte die Anbringung zahlreicher Details und so empfiehlt sich in dieser
Hinsicht der Atlas dem Zeitungsleser ganz besonders.

Kiepert's ausgebreitete Kenntnisse auf linguistischen und ethnographischen
Gebiete spiegeln sich auch deutlich in seinem Atlas wieder. Es giebt keinen
zweiten, bei dem die Consequenz in der Rechtschreibung der Eigennamen so
penibel durchgeführt wäre, wie in diesem Werke. Mag man auch in Einzel¬
heiten anderer Ansicht sein — das Ganze befriedigt ungemein und verdient
hohe Anerkennung. Kiepert giebt die Namen in der landesüblichen Weise
und bemerkt die deutsche Form dabei gewöhnlich im Kleinen. So finden wir
Warszawa und nicht Warschau, Moskwa und nicht Moskau. Er schreibt
Kalisz und nicht Kalisch, indem er bei den mit lateinischer Schrift schreiben¬
den Völkern deren Orthographie beibehält. Für den uns Deutschen fehlenden
weichen sah-Laut der Slaven setzt er öd, ein Verfahren, das mit dem eng¬
lischen Lu zu Verwechslungen führen kann. Adolf Eurem hatte für diesen
Laut ein cursives/eingeführt, entsprechend dem französischen s in Mr, Meiln.
Indessen beide Verfahrungsweisen helfen nicht über die Schwierigkeit hinweg,
sind einseitig und willkürlich. Wir können, wollen wir hier richtig verfahren,
nur das polnische und tschechische S für diesen Laut gebrauchen, wie er auch
von Lepsius in seinem Standard-Alphabet angenommen wurde. Kiepert's
ausgebreitete Sprachkenntniß documentirt sich allenthalben, wie er denn für
das Kasvische Meer russische, türkische und persische Formen anführt und im
Orient allenthalben die richtigen arabischen Namen den mehr gebräuchlichen
Urformen beifügt. Daß er in manchen Dingen isolirt steht darf nicht geläugnet
werden. So hat er gewiß ursprünglich recht, wenn er Nigir für den großen
afrikanischen Strom schreibt, um eine Verwechslung mit dem lateinischen
Niger vorzubeugen. Aber bei der allgemeinen Anerkennung, welche letztere
Form gefunden, und wobei man wohl kaum an „schwarz" denkt, wird Kiepert
hier vereinzelt stehen bleiben, ebenso wie mit seinem ursprünglich auch richtigen
Ungern gegenüber der amtlichen und allgemein üblichen Form Ungarn. Wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/475>, abgerufen am 01.10.2024.