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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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eines solchen Instituts zu richten sind. Hier sehen wir Fachleute für die
höchsten Interessen ihres Berufes in die Schranken treten. Heutzutage, wo
in allen Berufszweigen nur derjenige die Führung beanspruchen darf, welcher
-auch das technische Material beherrscht, wird Niemand mehr, der nicht vorein¬
genommen ist, die Berechtigung jener veralteten und überlebten Anschauung
begreifen, welche das Heil der Bibliotheken von nicht technischer Leitung ab¬
hängig macht. Soll der Oberbibliothekar "leiten und überwachen", so wird
er auch das "Handwerk" aus dem Grunde verstehen müssen. Es ist ein zum
Glücke nur vereinzeltes Beispiel, aber doch eine schlagende Illustration für die
Thatsache, wohin die Leitung ohne Kenntniß des "Handwerks" führen kann,
wenn der Bericht eines Oberbibliothckars aus dem Jahre 1805 öffentlich der
"erheblichen Verluste" gedenkt, welche die von ihm verwaltete Bibliothek unter
einem seiner Vorgänger, der als gefeierter Universitätslehrer und ehrenwerther
Mann gleich geachtet war, "durch die Gewissenlosigkeit eines ihrer Beamten
erlitten", und wenn "die Summe, welche derselbe unterschlagen (abgesehen
von Büchern, die durch seine Schuld verschwunden seien), aus nahe an 12,000
Thaler geschätzt" wird!

Ein viel gebrauchtes Bibelwort sagt: "Niemand kann zween Herren
dienen". So wird auch der Universitätsprofessor, der "Bibliothekleitung und
Lehrerberuf verbindet", in einer mißlichen Lage sein. Man weiß, daß die
akademische Lehrthätigkeit die volle Kraft eines Mannes in Anspruch nimmt
und in Anspruch nehmen soll. Aber auch die Bibliothekleitung fordert einen
ganzen Mann. Schon, wenn man die Dienststunden in Erwägung zieht,
welche auf der Bibliothek zugebracht und von dem Leiter,der Bibliothek doch
ebenso, wie von seinen Untergebenen, zugebracht werden müssen, wenn anders
er diese "überwachen" will, so zeigt sich, wie wenig Zeit übrig bleibt, um
Vorlesungen zu halten und Vorlesungen auszuarbeiten. Dazu kommt, daß
dem Bibliothekdienst, wie es in der Ordnung ist, die beste Zeit des Tages
zufällt, so daß der "Lehrerberuf" naturgemäß erst in die zweite Linie tritt,
Welchem Universitätslehrer aber ginge seine Lehrthätigkeit, wie das ebenfalls
ganz in der Ordnung ist, nicht über Alles! Es giebt keinen Ausweg aus
diesem Dilemma, es sei denn der, an solche Universitätslehrer zu denken,
welche nur nominell Docenten sind. In Wirklichkeit ist die Wahrnehmung
einer Fachprofessur in ihrem vollen Umfange neben der Bibliothekleitung ebenso
unmöglich, wie sich die Bibliothekleitung als "Neben-" oder "Ehrenamt"
nicht führen läßt. Das Facit ist: der Oberbibliothekar, wie jeder andere
Bibliothekbeamte, darf nicht nur nicht verpflichtet sein, Vorlesungen zu halten,
sondern er muß verpflichtet sein, keine Vorlesungen zu halten, ausgenommen
über Gegenstände aus dem Gebiete der Bibliothekwissenschaft. Die Befürch¬
tung, der "ungetheilte Bibliothekar" als Leiter der Bibliothek würde zu "Ein-


eines solchen Instituts zu richten sind. Hier sehen wir Fachleute für die
höchsten Interessen ihres Berufes in die Schranken treten. Heutzutage, wo
in allen Berufszweigen nur derjenige die Führung beanspruchen darf, welcher
-auch das technische Material beherrscht, wird Niemand mehr, der nicht vorein¬
genommen ist, die Berechtigung jener veralteten und überlebten Anschauung
begreifen, welche das Heil der Bibliotheken von nicht technischer Leitung ab¬
hängig macht. Soll der Oberbibliothekar „leiten und überwachen", so wird
er auch das „Handwerk" aus dem Grunde verstehen müssen. Es ist ein zum
Glücke nur vereinzeltes Beispiel, aber doch eine schlagende Illustration für die
Thatsache, wohin die Leitung ohne Kenntniß des „Handwerks" führen kann,
wenn der Bericht eines Oberbibliothckars aus dem Jahre 1805 öffentlich der
„erheblichen Verluste" gedenkt, welche die von ihm verwaltete Bibliothek unter
einem seiner Vorgänger, der als gefeierter Universitätslehrer und ehrenwerther
Mann gleich geachtet war, „durch die Gewissenlosigkeit eines ihrer Beamten
erlitten", und wenn „die Summe, welche derselbe unterschlagen (abgesehen
von Büchern, die durch seine Schuld verschwunden seien), aus nahe an 12,000
Thaler geschätzt" wird!

Ein viel gebrauchtes Bibelwort sagt: „Niemand kann zween Herren
dienen". So wird auch der Universitätsprofessor, der „Bibliothekleitung und
Lehrerberuf verbindet", in einer mißlichen Lage sein. Man weiß, daß die
akademische Lehrthätigkeit die volle Kraft eines Mannes in Anspruch nimmt
und in Anspruch nehmen soll. Aber auch die Bibliothekleitung fordert einen
ganzen Mann. Schon, wenn man die Dienststunden in Erwägung zieht,
welche auf der Bibliothek zugebracht und von dem Leiter,der Bibliothek doch
ebenso, wie von seinen Untergebenen, zugebracht werden müssen, wenn anders
er diese „überwachen" will, so zeigt sich, wie wenig Zeit übrig bleibt, um
Vorlesungen zu halten und Vorlesungen auszuarbeiten. Dazu kommt, daß
dem Bibliothekdienst, wie es in der Ordnung ist, die beste Zeit des Tages
zufällt, so daß der „Lehrerberuf" naturgemäß erst in die zweite Linie tritt,
Welchem Universitätslehrer aber ginge seine Lehrthätigkeit, wie das ebenfalls
ganz in der Ordnung ist, nicht über Alles! Es giebt keinen Ausweg aus
diesem Dilemma, es sei denn der, an solche Universitätslehrer zu denken,
welche nur nominell Docenten sind. In Wirklichkeit ist die Wahrnehmung
einer Fachprofessur in ihrem vollen Umfange neben der Bibliothekleitung ebenso
unmöglich, wie sich die Bibliothekleitung als „Neben-" oder „Ehrenamt"
nicht führen läßt. Das Facit ist: der Oberbibliothekar, wie jeder andere
Bibliothekbeamte, darf nicht nur nicht verpflichtet sein, Vorlesungen zu halten,
sondern er muß verpflichtet sein, keine Vorlesungen zu halten, ausgenommen
über Gegenstände aus dem Gebiete der Bibliothekwissenschaft. Die Befürch¬
tung, der „ungetheilte Bibliothekar" als Leiter der Bibliothek würde zu „Ein-


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[0468] eines solchen Instituts zu richten sind. Hier sehen wir Fachleute für die höchsten Interessen ihres Berufes in die Schranken treten. Heutzutage, wo in allen Berufszweigen nur derjenige die Führung beanspruchen darf, welcher -auch das technische Material beherrscht, wird Niemand mehr, der nicht vorein¬ genommen ist, die Berechtigung jener veralteten und überlebten Anschauung begreifen, welche das Heil der Bibliotheken von nicht technischer Leitung ab¬ hängig macht. Soll der Oberbibliothekar „leiten und überwachen", so wird er auch das „Handwerk" aus dem Grunde verstehen müssen. Es ist ein zum Glücke nur vereinzeltes Beispiel, aber doch eine schlagende Illustration für die Thatsache, wohin die Leitung ohne Kenntniß des „Handwerks" führen kann, wenn der Bericht eines Oberbibliothckars aus dem Jahre 1805 öffentlich der „erheblichen Verluste" gedenkt, welche die von ihm verwaltete Bibliothek unter einem seiner Vorgänger, der als gefeierter Universitätslehrer und ehrenwerther Mann gleich geachtet war, „durch die Gewissenlosigkeit eines ihrer Beamten erlitten", und wenn „die Summe, welche derselbe unterschlagen (abgesehen von Büchern, die durch seine Schuld verschwunden seien), aus nahe an 12,000 Thaler geschätzt" wird! Ein viel gebrauchtes Bibelwort sagt: „Niemand kann zween Herren dienen". So wird auch der Universitätsprofessor, der „Bibliothekleitung und Lehrerberuf verbindet", in einer mißlichen Lage sein. Man weiß, daß die akademische Lehrthätigkeit die volle Kraft eines Mannes in Anspruch nimmt und in Anspruch nehmen soll. Aber auch die Bibliothekleitung fordert einen ganzen Mann. Schon, wenn man die Dienststunden in Erwägung zieht, welche auf der Bibliothek zugebracht und von dem Leiter,der Bibliothek doch ebenso, wie von seinen Untergebenen, zugebracht werden müssen, wenn anders er diese „überwachen" will, so zeigt sich, wie wenig Zeit übrig bleibt, um Vorlesungen zu halten und Vorlesungen auszuarbeiten. Dazu kommt, daß dem Bibliothekdienst, wie es in der Ordnung ist, die beste Zeit des Tages zufällt, so daß der „Lehrerberuf" naturgemäß erst in die zweite Linie tritt, Welchem Universitätslehrer aber ginge seine Lehrthätigkeit, wie das ebenfalls ganz in der Ordnung ist, nicht über Alles! Es giebt keinen Ausweg aus diesem Dilemma, es sei denn der, an solche Universitätslehrer zu denken, welche nur nominell Docenten sind. In Wirklichkeit ist die Wahrnehmung einer Fachprofessur in ihrem vollen Umfange neben der Bibliothekleitung ebenso unmöglich, wie sich die Bibliothekleitung als „Neben-" oder „Ehrenamt" nicht führen läßt. Das Facit ist: der Oberbibliothekar, wie jeder andere Bibliothekbeamte, darf nicht nur nicht verpflichtet sein, Vorlesungen zu halten, sondern er muß verpflichtet sein, keine Vorlesungen zu halten, ausgenommen über Gegenstände aus dem Gebiete der Bibliothekwissenschaft. Die Befürch¬ tung, der „ungetheilte Bibliothekar" als Leiter der Bibliothek würde zu „Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/468>, abgerufen am 03.07.2024.