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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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türliche machen sollte, jetzt aus dem Geistlosen stammen und durch das Geist¬
lose ersetzt werden soll. Hier hat gerade die Philosophie das Grenzhüteramt
zu wahren, zu sorgen, daß man der Materie und ihrer Bewegung ihr Recht
läßt, aber auch dem Geist, seiner Freiheit und seinen Idealen gerecht wird.

In dieser Hinsicht hatUlrici zwei vorzügliche Werke geschrieben: Gott
und die Natur; Gott und der Mensch. Sie verbinden den Scharf¬
blick des Denkers mit dem Fleiß des Gelehrten und dem sittlichen Ernste,
welcher für die höchsten Güter der Menschheit einsteht. Sein Ziel und seine
Darstellungsweise bezeichnet Ulrici in der Borrede des zweiten, nun in zweiter
Auflage und neuer Durcharbeitung erschienenen Buchs also: "Mein Streben
ist auf der Grundlage der Ergebnisse der Naturwissenschaften,
also auf der Basis festgestellter Thatsachen, eine idealistische Lebens¬
und Weltanschauung aufzubauen, d. h. darzuthun, daß der Seele gegen¬
über dem Leibe, dem Geiste gegenüber der Natur nicht blos ein selbständiges
Dasein, sondern auch die Herrschaft nicht blos gebühre, sondern thatsächlich
zustehe. Dabei handelt es sich darum, ob der Unterschied an Leib und Seele,
Gott und Welt zum negativen Gegensatz, zu einer Zerklüftung in ein unver¬
einbares Hüben und Drüben ausschlägt, oder ob er nur Unterschied ist und
bleibt, der die immanente lebendige Beziehung des Unterschiedes in sich trägt...
Die Thatsache und eine logisch stringente Folgerung üben noch
immer eine Gewalt, der kein bloßer Machtspruch, von welcher Seite er auch
komme, gewachsen ist, der sogar den Fortschritt zu hemmen und auf andre
Bahnen zu lenken vermag. Die wahre Versöhnung aber von Realismus und
Idealismus, welche die Philosophie anstrebt, weil und indem sie zum Ganzen
strebt, liegt beschlossen in dem einfachen Satze: der Realismus Träger und
Organ des Idealismus wie der Leib Träger und Organ der Seele. -- Ich
habe auf alle geistreichen Einfälle, Pointen, Antithesen und Combinationen
wie auf allen Schmuck der Rede verzichtet. Ein Fünklein Wahrheit, ein
neuer haltbarer Grund für einen vielleicht uralten Gedanken hat für die Wissen¬
schaft mehr Werth als ein ganzes Feuermeer jener schillernden Geistesblitze,
die nach kurzem Leuchten nur ein um so tieferes Dunkel zurücklassen."

In "Gott und Natur" heißt es: "Die Natur und ihre Erkenntniß ist
der Prüfstein der religiösen Idee wie der philosophischen Forschung nach den
letzten Gründen des Seins und Geschehens." Und so läßt Ulrici die bedeu¬
tendsten Forscher, die anerkanntesten Lehrbücher der Astronomie, Physik, Chemie,
Physiologie selber reden, prüft die Theorien über Kraft, Stoff, Atom, über
den chemischen Proceß, über die Natur des Lichtes, der Wärme, der Elektriciät,
über Welt- und Erdbildung, über das Unorganische wie über das Organische,
um darzuthun, wie die Naturwissenschaft selbst ein höheres, ideales Prinzip,
das göttliche voraussetzt oder auf ihrem eigenen Gebiet an Grenzen kommt


türliche machen sollte, jetzt aus dem Geistlosen stammen und durch das Geist¬
lose ersetzt werden soll. Hier hat gerade die Philosophie das Grenzhüteramt
zu wahren, zu sorgen, daß man der Materie und ihrer Bewegung ihr Recht
läßt, aber auch dem Geist, seiner Freiheit und seinen Idealen gerecht wird.

In dieser Hinsicht hatUlrici zwei vorzügliche Werke geschrieben: Gott
und die Natur; Gott und der Mensch. Sie verbinden den Scharf¬
blick des Denkers mit dem Fleiß des Gelehrten und dem sittlichen Ernste,
welcher für die höchsten Güter der Menschheit einsteht. Sein Ziel und seine
Darstellungsweise bezeichnet Ulrici in der Borrede des zweiten, nun in zweiter
Auflage und neuer Durcharbeitung erschienenen Buchs also: „Mein Streben
ist auf der Grundlage der Ergebnisse der Naturwissenschaften,
also auf der Basis festgestellter Thatsachen, eine idealistische Lebens¬
und Weltanschauung aufzubauen, d. h. darzuthun, daß der Seele gegen¬
über dem Leibe, dem Geiste gegenüber der Natur nicht blos ein selbständiges
Dasein, sondern auch die Herrschaft nicht blos gebühre, sondern thatsächlich
zustehe. Dabei handelt es sich darum, ob der Unterschied an Leib und Seele,
Gott und Welt zum negativen Gegensatz, zu einer Zerklüftung in ein unver¬
einbares Hüben und Drüben ausschlägt, oder ob er nur Unterschied ist und
bleibt, der die immanente lebendige Beziehung des Unterschiedes in sich trägt...
Die Thatsache und eine logisch stringente Folgerung üben noch
immer eine Gewalt, der kein bloßer Machtspruch, von welcher Seite er auch
komme, gewachsen ist, der sogar den Fortschritt zu hemmen und auf andre
Bahnen zu lenken vermag. Die wahre Versöhnung aber von Realismus und
Idealismus, welche die Philosophie anstrebt, weil und indem sie zum Ganzen
strebt, liegt beschlossen in dem einfachen Satze: der Realismus Träger und
Organ des Idealismus wie der Leib Träger und Organ der Seele. — Ich
habe auf alle geistreichen Einfälle, Pointen, Antithesen und Combinationen
wie auf allen Schmuck der Rede verzichtet. Ein Fünklein Wahrheit, ein
neuer haltbarer Grund für einen vielleicht uralten Gedanken hat für die Wissen¬
schaft mehr Werth als ein ganzes Feuermeer jener schillernden Geistesblitze,
die nach kurzem Leuchten nur ein um so tieferes Dunkel zurücklassen."

In „Gott und Natur" heißt es: „Die Natur und ihre Erkenntniß ist
der Prüfstein der religiösen Idee wie der philosophischen Forschung nach den
letzten Gründen des Seins und Geschehens." Und so läßt Ulrici die bedeu¬
tendsten Forscher, die anerkanntesten Lehrbücher der Astronomie, Physik, Chemie,
Physiologie selber reden, prüft die Theorien über Kraft, Stoff, Atom, über
den chemischen Proceß, über die Natur des Lichtes, der Wärme, der Elektriciät,
über Welt- und Erdbildung, über das Unorganische wie über das Organische,
um darzuthun, wie die Naturwissenschaft selbst ein höheres, ideales Prinzip,
das göttliche voraussetzt oder auf ihrem eigenen Gebiet an Grenzen kommt


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[0451] türliche machen sollte, jetzt aus dem Geistlosen stammen und durch das Geist¬ lose ersetzt werden soll. Hier hat gerade die Philosophie das Grenzhüteramt zu wahren, zu sorgen, daß man der Materie und ihrer Bewegung ihr Recht läßt, aber auch dem Geist, seiner Freiheit und seinen Idealen gerecht wird. In dieser Hinsicht hatUlrici zwei vorzügliche Werke geschrieben: Gott und die Natur; Gott und der Mensch. Sie verbinden den Scharf¬ blick des Denkers mit dem Fleiß des Gelehrten und dem sittlichen Ernste, welcher für die höchsten Güter der Menschheit einsteht. Sein Ziel und seine Darstellungsweise bezeichnet Ulrici in der Borrede des zweiten, nun in zweiter Auflage und neuer Durcharbeitung erschienenen Buchs also: „Mein Streben ist auf der Grundlage der Ergebnisse der Naturwissenschaften, also auf der Basis festgestellter Thatsachen, eine idealistische Lebens¬ und Weltanschauung aufzubauen, d. h. darzuthun, daß der Seele gegen¬ über dem Leibe, dem Geiste gegenüber der Natur nicht blos ein selbständiges Dasein, sondern auch die Herrschaft nicht blos gebühre, sondern thatsächlich zustehe. Dabei handelt es sich darum, ob der Unterschied an Leib und Seele, Gott und Welt zum negativen Gegensatz, zu einer Zerklüftung in ein unver¬ einbares Hüben und Drüben ausschlägt, oder ob er nur Unterschied ist und bleibt, der die immanente lebendige Beziehung des Unterschiedes in sich trägt... Die Thatsache und eine logisch stringente Folgerung üben noch immer eine Gewalt, der kein bloßer Machtspruch, von welcher Seite er auch komme, gewachsen ist, der sogar den Fortschritt zu hemmen und auf andre Bahnen zu lenken vermag. Die wahre Versöhnung aber von Realismus und Idealismus, welche die Philosophie anstrebt, weil und indem sie zum Ganzen strebt, liegt beschlossen in dem einfachen Satze: der Realismus Träger und Organ des Idealismus wie der Leib Träger und Organ der Seele. — Ich habe auf alle geistreichen Einfälle, Pointen, Antithesen und Combinationen wie auf allen Schmuck der Rede verzichtet. Ein Fünklein Wahrheit, ein neuer haltbarer Grund für einen vielleicht uralten Gedanken hat für die Wissen¬ schaft mehr Werth als ein ganzes Feuermeer jener schillernden Geistesblitze, die nach kurzem Leuchten nur ein um so tieferes Dunkel zurücklassen." In „Gott und Natur" heißt es: „Die Natur und ihre Erkenntniß ist der Prüfstein der religiösen Idee wie der philosophischen Forschung nach den letzten Gründen des Seins und Geschehens." Und so läßt Ulrici die bedeu¬ tendsten Forscher, die anerkanntesten Lehrbücher der Astronomie, Physik, Chemie, Physiologie selber reden, prüft die Theorien über Kraft, Stoff, Atom, über den chemischen Proceß, über die Natur des Lichtes, der Wärme, der Elektriciät, über Welt- und Erdbildung, über das Unorganische wie über das Organische, um darzuthun, wie die Naturwissenschaft selbst ein höheres, ideales Prinzip, das göttliche voraussetzt oder auf ihrem eigenen Gebiet an Grenzen kommt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/451>, abgerufen am 03.07.2024.