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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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es ihnen Niemand übel nehmen, wenn sie letztere übersehen hätten, denn
etwas hervorragendes hat das "Ständehaus", wie man seit Alters hier sagt,
nicht. Das Aeußere ginge noch an. es hat wenigstens eine von den umgebenden
Gebäuden abstehende stattliche Facade, sogar ein Schilderhaus steht davor,
vor dem zu Sitzungszeiten ein müder Posten schüttert, aber im Innern, da
schlägt man die Hände über den Kopf zusammen vor Verwunderung, daß die
Legislative des bayrischen Staates nun schon über ein halbes Jahrhundert in
diesen Räumen existiren konnte, daß man alle die Opfer, die auch unter ihr
das Münchner Klima ab und zu gefordert, nicht auf jener Rechnung gesetzt
hat. Das "Ständehaus" war früher, zu Curfürsts Zeiten, das Ballhaus,
seinen durch zwei Stockwerke laufenden großen Saal konnte man leicht zum
Sitzungssaal einrichten und sonst auch dachte man für das, was ein Abgeord¬
neter braucht, Raum genug in dem Gebäude zu finden. Aber der fand sich
eben nicht; also kaufte man ein paar anstoßende, mit ihren Neben- und Rück¬
seiten in enge, schmutzige Gäßchen gehende Häuser an und setzte diese mit dem
Ballhaus in möglichst unpraktische und complizirte Verbindung. Daraus
entstand nun ein Conglomerat von finstern Gängen, engen Treppen, dumpfen
Zimmern, daß es auch einem, der seit Jahren in diesem Rattenkönig von
einem Hause aus- und eingeht, ohne einen sehr sichern Ariadnefaden unmöglich
ist, sich zurecht zu finden. Höchstens ein paar auf die Hauptstraße hinaus
liegende Commissionszimmer, sowie das des Präsidenten haben Luft und
Licht, bei den meisten andern sind das unbekannte Dinge. Da man aber
diese gemeiniglich am wenigsten missen kann und namentlich auch der Sitzungs¬
saal der Abgeordneten jedem Gesetz einer vernünftigen Ventilation höhnisch
widerspricht, so kann man ermessen, wie angenehm und wohlthuend der mo¬
natslange Aufenthalt in diesen Räumen auf Körper und Geist wirkt. Doch
sind die Abgeordneten immer noch besser daran, als das Personal des Hauses:
Kanzlei, Expedition und gar erst der Stenographensaal sind in Localen unter¬
gebracht, die an die Häufung der Gefangenen in Chillon einerseits, an
die Bleidächer von Venedig andrerseits erinnern. Lange Zeit hat man diese
Zustände mit echt bayrischer "Gemüthlichkeit" getragen; dann kamen endlich
Anträge auf Um- oder Neubau, aber niemals fanden diese selbst im Schooße
der Kammer günstige Erledigung, und als auch in der gegenwärtigen von
der liberalen Seite abermals auf das dringende Bedürfniß einer Aenderung
hingewiesen wurde, da meinte man auf der andern malitiös: warum ein neues
Haus für eine Versammlung bauen, die doch über kurz oder lang vollends
Alles nach Berlin werde abgeben müssen, und für einen Münchner Provinzial-
landtag sei das bisherige gut genug. Schließlich war aber die Majorität
der Kammern doch anderer Ansicht und beim nächsten Budget wird wohl der
Neubau des Ständehauses eine Rolle spielen.


es ihnen Niemand übel nehmen, wenn sie letztere übersehen hätten, denn
etwas hervorragendes hat das „Ständehaus", wie man seit Alters hier sagt,
nicht. Das Aeußere ginge noch an. es hat wenigstens eine von den umgebenden
Gebäuden abstehende stattliche Facade, sogar ein Schilderhaus steht davor,
vor dem zu Sitzungszeiten ein müder Posten schüttert, aber im Innern, da
schlägt man die Hände über den Kopf zusammen vor Verwunderung, daß die
Legislative des bayrischen Staates nun schon über ein halbes Jahrhundert in
diesen Räumen existiren konnte, daß man alle die Opfer, die auch unter ihr
das Münchner Klima ab und zu gefordert, nicht auf jener Rechnung gesetzt
hat. Das „Ständehaus" war früher, zu Curfürsts Zeiten, das Ballhaus,
seinen durch zwei Stockwerke laufenden großen Saal konnte man leicht zum
Sitzungssaal einrichten und sonst auch dachte man für das, was ein Abgeord¬
neter braucht, Raum genug in dem Gebäude zu finden. Aber der fand sich
eben nicht; also kaufte man ein paar anstoßende, mit ihren Neben- und Rück¬
seiten in enge, schmutzige Gäßchen gehende Häuser an und setzte diese mit dem
Ballhaus in möglichst unpraktische und complizirte Verbindung. Daraus
entstand nun ein Conglomerat von finstern Gängen, engen Treppen, dumpfen
Zimmern, daß es auch einem, der seit Jahren in diesem Rattenkönig von
einem Hause aus- und eingeht, ohne einen sehr sichern Ariadnefaden unmöglich
ist, sich zurecht zu finden. Höchstens ein paar auf die Hauptstraße hinaus
liegende Commissionszimmer, sowie das des Präsidenten haben Luft und
Licht, bei den meisten andern sind das unbekannte Dinge. Da man aber
diese gemeiniglich am wenigsten missen kann und namentlich auch der Sitzungs¬
saal der Abgeordneten jedem Gesetz einer vernünftigen Ventilation höhnisch
widerspricht, so kann man ermessen, wie angenehm und wohlthuend der mo¬
natslange Aufenthalt in diesen Räumen auf Körper und Geist wirkt. Doch
sind die Abgeordneten immer noch besser daran, als das Personal des Hauses:
Kanzlei, Expedition und gar erst der Stenographensaal sind in Localen unter¬
gebracht, die an die Häufung der Gefangenen in Chillon einerseits, an
die Bleidächer von Venedig andrerseits erinnern. Lange Zeit hat man diese
Zustände mit echt bayrischer „Gemüthlichkeit" getragen; dann kamen endlich
Anträge auf Um- oder Neubau, aber niemals fanden diese selbst im Schooße
der Kammer günstige Erledigung, und als auch in der gegenwärtigen von
der liberalen Seite abermals auf das dringende Bedürfniß einer Aenderung
hingewiesen wurde, da meinte man auf der andern malitiös: warum ein neues
Haus für eine Versammlung bauen, die doch über kurz oder lang vollends
Alles nach Berlin werde abgeben müssen, und für einen Münchner Provinzial-
landtag sei das bisherige gut genug. Schließlich war aber die Majorität
der Kammern doch anderer Ansicht und beim nächsten Budget wird wohl der
Neubau des Ständehauses eine Rolle spielen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/447>, abgerufen am 01.07.2024.