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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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ihr denn immer, Ferdinand, wenn Du Sonntags zu Richter's gehst"? -- "El,
Papa -- wir prügeln uns." Nur sind die deutschen Prügel doch etwas
harmloser wie die amerikanischen Knabenborereien. In unserm deutschen
Ringkampf bei Reichenau ruft der Schiedsrichter am Ende des Gefechts mit
einem Achselzucken der Selbstverständlichkeit aus: "Sie thun sich ja nichts!"
Und der Chorus bestätigt: "Ja wohl, sie sind gleicher Stärke." Bailey Aldrich
dagegen, der als Sieger aus der Boxerei mit Conway gebläut hervorgeht --
"hatte die Mütze auf die eine Seite gerückt, um die kühle Luft von seinem
Auge abzuhalten". "Ich fühlte", sagt er, "daß ich meiner Nase nicht blos
folgte, sondern ihr so dicht folgte, daß ich einige Gefahr lief, auf sie zu treten.
Ich schien Nase genug für die ganze Gesellschaft zu haben. Auch meine
linke Wange war aufgeschwollen wie ein Hefenkloß. Ich konnte nicht umhin,
mir selbst zu sagen: "Na, wenn das der Sieg ist, wie muß es erst um den
andern Burschen stehen?" Und als er in diesem Zustand sein Haus erreicht
und seine unverheirathete Großtante vor seinem "heitren Aussehen zurückfährt,
versucht er hold zu lächeln", "aber das Lächeln brachte, indem es sich über
meine geschwollene Backe kräuselte und auf meiner Nase wie eine zusammen¬
sinkende Welle erstarb, einen Ausdruck hervor, von welchem Fräulein Abigail
erklärte, daß sie, ausgenommen auf dem Gesichte eines chinesischen Götzenbildes
nie etwas dergleichen gesehen habe".

Auch in Bezug auf die Anfänge menschlicher Kultur und Kunst in den
ersten der Erudition geweihten Knabenjahren machen Reichenau und Aldrich
gleich bedenkliche Erfahrungen bei deutschen und amerikanischen Jungen. "Ich
bin Einen heraufgekommen -- in Religion --" meldet einer der kleinen Hel¬
den Reichenau's treulich zu Hause. "Mit welcher Frage denn?" -- "Schulz
hatte wieder sein Löschblatt vergessen und wurde Letzter gesetzt." Freilich nur
ein bescheidenes theologisches Verdienst des Beförderten! Beförderungen ab¬
wärts hingegen werden nicht offiziell, sondern nur auf besondere Nachfrage
mitgetheilt. Nicht besser steht es mit den Anfängen der "Schönen Künste".
"Schönschriften lagen aus", sagt Reichenau, "welche kurze und ihrem Inhalt
nach meistens unbestreitbare Sentenzen, wie: "Hunger ist der hefte Koch" oder:
"aller Anfang ist schwer" kalligraphisch verherrlichten, in weit getrennten
Zeilen, deren Gradheit und Ebenmäßigkeit noch mehr Staunen hätte erregen
müssen, wären nicht hier und da am Rande kleine Restchen der mit Blei
gezogenen Hilfslinien stehen geblieben, welche der Gummi aufzureiben vergaß.
Mappen und Zeichnungen gingen von Hand zu Hand. Unzweifelhaft sati¬
rische Aufnahme fand nur jenes in der Geschichte der Malerei berühmt ge¬
wordene wilde Schwein; der gute Eber hatte sich so arg übernommen, in
fetter schwarzer Kreide, daß gegen die dunkeln Schlagschatten seines rauhen
Borstenkleides die beste englische Stiefelwichse an der Bleichsucht zu leiden


ihr denn immer, Ferdinand, wenn Du Sonntags zu Richter's gehst"? — „El,
Papa — wir prügeln uns." Nur sind die deutschen Prügel doch etwas
harmloser wie die amerikanischen Knabenborereien. In unserm deutschen
Ringkampf bei Reichenau ruft der Schiedsrichter am Ende des Gefechts mit
einem Achselzucken der Selbstverständlichkeit aus: „Sie thun sich ja nichts!"
Und der Chorus bestätigt: „Ja wohl, sie sind gleicher Stärke." Bailey Aldrich
dagegen, der als Sieger aus der Boxerei mit Conway gebläut hervorgeht —
„hatte die Mütze auf die eine Seite gerückt, um die kühle Luft von seinem
Auge abzuhalten". „Ich fühlte", sagt er, „daß ich meiner Nase nicht blos
folgte, sondern ihr so dicht folgte, daß ich einige Gefahr lief, auf sie zu treten.
Ich schien Nase genug für die ganze Gesellschaft zu haben. Auch meine
linke Wange war aufgeschwollen wie ein Hefenkloß. Ich konnte nicht umhin,
mir selbst zu sagen: „Na, wenn das der Sieg ist, wie muß es erst um den
andern Burschen stehen?" Und als er in diesem Zustand sein Haus erreicht
und seine unverheirathete Großtante vor seinem „heitren Aussehen zurückfährt,
versucht er hold zu lächeln", „aber das Lächeln brachte, indem es sich über
meine geschwollene Backe kräuselte und auf meiner Nase wie eine zusammen¬
sinkende Welle erstarb, einen Ausdruck hervor, von welchem Fräulein Abigail
erklärte, daß sie, ausgenommen auf dem Gesichte eines chinesischen Götzenbildes
nie etwas dergleichen gesehen habe".

Auch in Bezug auf die Anfänge menschlicher Kultur und Kunst in den
ersten der Erudition geweihten Knabenjahren machen Reichenau und Aldrich
gleich bedenkliche Erfahrungen bei deutschen und amerikanischen Jungen. „Ich
bin Einen heraufgekommen — in Religion —" meldet einer der kleinen Hel¬
den Reichenau's treulich zu Hause. „Mit welcher Frage denn?" — „Schulz
hatte wieder sein Löschblatt vergessen und wurde Letzter gesetzt." Freilich nur
ein bescheidenes theologisches Verdienst des Beförderten! Beförderungen ab¬
wärts hingegen werden nicht offiziell, sondern nur auf besondere Nachfrage
mitgetheilt. Nicht besser steht es mit den Anfängen der „Schönen Künste".
„Schönschriften lagen aus", sagt Reichenau, „welche kurze und ihrem Inhalt
nach meistens unbestreitbare Sentenzen, wie: „Hunger ist der hefte Koch" oder:
„aller Anfang ist schwer" kalligraphisch verherrlichten, in weit getrennten
Zeilen, deren Gradheit und Ebenmäßigkeit noch mehr Staunen hätte erregen
müssen, wären nicht hier und da am Rande kleine Restchen der mit Blei
gezogenen Hilfslinien stehen geblieben, welche der Gummi aufzureiben vergaß.
Mappen und Zeichnungen gingen von Hand zu Hand. Unzweifelhaft sati¬
rische Aufnahme fand nur jenes in der Geschichte der Malerei berühmt ge¬
wordene wilde Schwein; der gute Eber hatte sich so arg übernommen, in
fetter schwarzer Kreide, daß gegen die dunkeln Schlagschatten seines rauhen
Borstenkleides die beste englische Stiefelwichse an der Bleichsucht zu leiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/431>, abgerufen am 23.07.2024.