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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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noch bevor in Deutschland und Frankreich durch Bauernkrieg und Jaquerie
die ersten Vorboten davon aufgetaucht waren. Schon im 14. Jahrhundert
war die Emancipation der Hörigen in England vollendete Thatsache. Dafür
hat aber auch die Entwicklung der Eigenthumsverhältnisse eine ganz entgegen¬
gesetzte Wendung als in den genannten Staaten des Continents genommen.
Während die an die Scholle gebundenen Bauern in den letzteren sammt ihrem
Grund und Boden aus dem Hörigkeitsverbande entlassen wurden, verblieb das
Land in Großbritannien den Feudalherrn. Dort hatte der Normann Wilhelm
durch die Eroberung sich zum Obergrundherrn eingesetzt, welcher den Grund¬
besitz unter seinen Mannen vertheilte, und dieses Recht bestand, wenn auch nur
als Fiction, bis in die neueste Zeit fort. Auf dieser Basis hat sich das po¬
litische Eigenthums - und Erbrecht ganz im Geiste des mittelalterlichen Rechtes
fortentwickelt, indem ein Unterschied zwischen dem Grundeigenthum und dem
beweglichen Vermögen gemacht wurde. Das letztere wird gleich dem Allod
gemäß dem gemeinen Notherberecht vererbt ohne einen Unterschied unter den
Kindern zu machen. Das erstere aber steht jetzt, wo das Obereigenthums¬
recht der Krone nur noch eine Fiction ist, zur unbeschränkten Verfügung des
jeweiligen Besitzers.

Der britische Grundeigenthümer kann mit seinem Erbgut machen, was
er will und ist durch kein Pflichttheil eines Kindes gebunden. Hingegen hat
sich durch eine, nunmehr allmächtig gewordene Sitte eine Art factischen Majo¬
rats herausentwickelt, welches bei dem ganzen Hauptstock, d. h. wenigstens
neun Zehnteln sämmtlichen Grundeigenthums in England und Wales, in
Schottland und Irland in Kraft ist. Der jeweilige Besitzer verfügt nach
seinem Gefallen über sein Grundeigenthum,, er kann es auch verkaufen oder
durchbringen. In der Regel hinterläßt er es aber testamentarisch seinem
ältesten Sohne. Um das Grundeigenthum in der Familie festzuhalten und
vor den Streichen eines verschwenderischen Sohnes zu schützen hat sich, wo es
nur irgend angeht, eine noch weiter führende Praxis ausgebildet. Der Gro߬
vater setzt testamentarisch den ältesten Enkel zum Erben seines Grundeigen¬
thums ein und der Sohn hat nur die Nutznießung und kann nicht über die
Substanz verfügen. Die übrigen Kinder erhalten das mütterliche Vermögen
oder einen entsprechenden Antheil an dem beweglichen Vermögen, welches der
Vater aus dem Einkommen erspart hat. Die Folge dieser Entwicklung des
Eigenthumrechtes und der Vertheilung des Grundeigenthums ist. daß die
Hauptmasse des Grund und Bodens im Besitz des Landadels geblieben ist
und daß es nur ausnahmsweise noch andere Personen aus dem Bauern- und
dem Gewerbe- oder Handelsstande giebt, welche noch Grundeigenthum besitzen.
Darunter sind aufzuführen wenige kleine Landwirthe oder Bauern, welche sich
aus der ältesten Zeit unabhängig erhalten haben oder nach und nach verarmt


noch bevor in Deutschland und Frankreich durch Bauernkrieg und Jaquerie
die ersten Vorboten davon aufgetaucht waren. Schon im 14. Jahrhundert
war die Emancipation der Hörigen in England vollendete Thatsache. Dafür
hat aber auch die Entwicklung der Eigenthumsverhältnisse eine ganz entgegen¬
gesetzte Wendung als in den genannten Staaten des Continents genommen.
Während die an die Scholle gebundenen Bauern in den letzteren sammt ihrem
Grund und Boden aus dem Hörigkeitsverbande entlassen wurden, verblieb das
Land in Großbritannien den Feudalherrn. Dort hatte der Normann Wilhelm
durch die Eroberung sich zum Obergrundherrn eingesetzt, welcher den Grund¬
besitz unter seinen Mannen vertheilte, und dieses Recht bestand, wenn auch nur
als Fiction, bis in die neueste Zeit fort. Auf dieser Basis hat sich das po¬
litische Eigenthums - und Erbrecht ganz im Geiste des mittelalterlichen Rechtes
fortentwickelt, indem ein Unterschied zwischen dem Grundeigenthum und dem
beweglichen Vermögen gemacht wurde. Das letztere wird gleich dem Allod
gemäß dem gemeinen Notherberecht vererbt ohne einen Unterschied unter den
Kindern zu machen. Das erstere aber steht jetzt, wo das Obereigenthums¬
recht der Krone nur noch eine Fiction ist, zur unbeschränkten Verfügung des
jeweiligen Besitzers.

Der britische Grundeigenthümer kann mit seinem Erbgut machen, was
er will und ist durch kein Pflichttheil eines Kindes gebunden. Hingegen hat
sich durch eine, nunmehr allmächtig gewordene Sitte eine Art factischen Majo¬
rats herausentwickelt, welches bei dem ganzen Hauptstock, d. h. wenigstens
neun Zehnteln sämmtlichen Grundeigenthums in England und Wales, in
Schottland und Irland in Kraft ist. Der jeweilige Besitzer verfügt nach
seinem Gefallen über sein Grundeigenthum,, er kann es auch verkaufen oder
durchbringen. In der Regel hinterläßt er es aber testamentarisch seinem
ältesten Sohne. Um das Grundeigenthum in der Familie festzuhalten und
vor den Streichen eines verschwenderischen Sohnes zu schützen hat sich, wo es
nur irgend angeht, eine noch weiter führende Praxis ausgebildet. Der Gro߬
vater setzt testamentarisch den ältesten Enkel zum Erben seines Grundeigen¬
thums ein und der Sohn hat nur die Nutznießung und kann nicht über die
Substanz verfügen. Die übrigen Kinder erhalten das mütterliche Vermögen
oder einen entsprechenden Antheil an dem beweglichen Vermögen, welches der
Vater aus dem Einkommen erspart hat. Die Folge dieser Entwicklung des
Eigenthumrechtes und der Vertheilung des Grundeigenthums ist. daß die
Hauptmasse des Grund und Bodens im Besitz des Landadels geblieben ist
und daß es nur ausnahmsweise noch andere Personen aus dem Bauern- und
dem Gewerbe- oder Handelsstande giebt, welche noch Grundeigenthum besitzen.
Darunter sind aufzuführen wenige kleine Landwirthe oder Bauern, welche sich
aus der ältesten Zeit unabhängig erhalten haben oder nach und nach verarmt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/390>, abgerufen am 23.07.2024.