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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Nun begannen die Wehklagen der Patrioten. Sie sahen ihre Sache ver¬
loren, wenn es so fort gehe. Sie entfalteten die größte Anstrengung bei den
Reichstagswahlen vom 10. Jan. 1874 und erlangten dabei in der That wieder
zwei Drittel der Mandate. Die directen Wahlen und die Hülfe des Clerus
erklären dies. Ermuntert durch den Erfolg, erhoben in der im Mai v. I.
wieder eröffneten Session Führer, wie Krätzer und Jörg den Ruf nach Auf¬
lösung der Kammer und Neuwahlen, von denen sie die Ausschließung der
Abtrünnigen erhofften. Gegen diese entlud sich dann, als die Regierung
darauf nicht einging, der ganze Zorn der Extremen. Am 25. Juni sollte
dem Minister v. Lutz durch Versagung der Mittel für die Kunstakademie zu
München ein großes Mißtrauensvotum zu Theil werden, aber Eder und Ge¬
nossen erklärten, sie hielten sich an diesen Beschluß ihrer Partei nur soweit
gebunden, als dieser ihrem Abgeordneteneide nicht widerspreche, denn sie hätten
geschworen, vor Allem die Landesverfassung zu achten. Das war ein schwerer
Schlag für die Extremen. Dieselben unternahmen dann, wie zum Zeichen
ungebrochenen Muthes, am 6. Juli noch einem starken Anlauf gegen das
Reich, indem sie durch Ablehnung der außerordentlichen Bedürfnisse des Heeres
eine Collision mit jenem schienen herbeiführen zu wollen; in der That aber
besaßen sie nicht diesen Muth, denn trotz hitziger Debatten erfolgte die Be¬
willigung mit großer Mehrheit. Sie wollten aber wenigstens zeigen, was
sie hätten thun können und lehnten jene Forderung über 187S hinaus, ab.

Von der jetzigen Kammer hoffen die Extremen nichts mehr. Die Sturm¬
angriffe, welche sie in derselben vorhaben, sollen nur der Bewegung für die
Neuwahlen dienen. Auf diese sind alle ihre Anstrengungen gerichtet. Möglich,
daß sie dabei nochmals die Mehrheit erringen, zumal die Liberalen, abgesehen
von der nicht in Betracht kommenden Volkspartei, welche sich am 28. Juni
v. I. auf einer Versammlung zu Ingolstadt bildete, auch jetzt noch nicht die
wünschenswerthe Energie entfalten zu können scheinen; allein im Schoße der
Extremen werden starke Zweifel an dem Gelingen ihrer Sache gehegt.

Von offenbar sehr sachkundiger Seite wird dies in Leitartikeln der ultra¬
montanen "Deutschen Reichs - Zeitung" zu Bonn vom 4., 5. und 6. Febr.
ausführlich entwickelt. Aehnlich wie im vorigen Sommer in Sachsen von
conservativer Seite, so wird jetzt in Baiern von "patriotischer" Seite die
Schuld an der wachsenden Zunahme des Sinnes für die deutschen Angelegen¬
heiten angeblichen Missethaten Einzelner beizumessen gesucht. Wie dort natio¬
nalliberale Correspondenten deutscher Blätter den beginnenden Umschwung in
der Bevölkerung hervorgerufen haben sollten, so soll hier das Programm der
Patrioten durch Abtrünnige lahm gelegt sein. Mit bezeichnender Naivetät
werden Die, welche dies angeblich bewirkt, in dem genannten Blatte "Ver¬
räther und Ueberläufer" genannt, welche "sich von Session zu Session ver-


Nun begannen die Wehklagen der Patrioten. Sie sahen ihre Sache ver¬
loren, wenn es so fort gehe. Sie entfalteten die größte Anstrengung bei den
Reichstagswahlen vom 10. Jan. 1874 und erlangten dabei in der That wieder
zwei Drittel der Mandate. Die directen Wahlen und die Hülfe des Clerus
erklären dies. Ermuntert durch den Erfolg, erhoben in der im Mai v. I.
wieder eröffneten Session Führer, wie Krätzer und Jörg den Ruf nach Auf¬
lösung der Kammer und Neuwahlen, von denen sie die Ausschließung der
Abtrünnigen erhofften. Gegen diese entlud sich dann, als die Regierung
darauf nicht einging, der ganze Zorn der Extremen. Am 25. Juni sollte
dem Minister v. Lutz durch Versagung der Mittel für die Kunstakademie zu
München ein großes Mißtrauensvotum zu Theil werden, aber Eder und Ge¬
nossen erklärten, sie hielten sich an diesen Beschluß ihrer Partei nur soweit
gebunden, als dieser ihrem Abgeordneteneide nicht widerspreche, denn sie hätten
geschworen, vor Allem die Landesverfassung zu achten. Das war ein schwerer
Schlag für die Extremen. Dieselben unternahmen dann, wie zum Zeichen
ungebrochenen Muthes, am 6. Juli noch einem starken Anlauf gegen das
Reich, indem sie durch Ablehnung der außerordentlichen Bedürfnisse des Heeres
eine Collision mit jenem schienen herbeiführen zu wollen; in der That aber
besaßen sie nicht diesen Muth, denn trotz hitziger Debatten erfolgte die Be¬
willigung mit großer Mehrheit. Sie wollten aber wenigstens zeigen, was
sie hätten thun können und lehnten jene Forderung über 187S hinaus, ab.

Von der jetzigen Kammer hoffen die Extremen nichts mehr. Die Sturm¬
angriffe, welche sie in derselben vorhaben, sollen nur der Bewegung für die
Neuwahlen dienen. Auf diese sind alle ihre Anstrengungen gerichtet. Möglich,
daß sie dabei nochmals die Mehrheit erringen, zumal die Liberalen, abgesehen
von der nicht in Betracht kommenden Volkspartei, welche sich am 28. Juni
v. I. auf einer Versammlung zu Ingolstadt bildete, auch jetzt noch nicht die
wünschenswerthe Energie entfalten zu können scheinen; allein im Schoße der
Extremen werden starke Zweifel an dem Gelingen ihrer Sache gehegt.

Von offenbar sehr sachkundiger Seite wird dies in Leitartikeln der ultra¬
montanen „Deutschen Reichs - Zeitung" zu Bonn vom 4., 5. und 6. Febr.
ausführlich entwickelt. Aehnlich wie im vorigen Sommer in Sachsen von
conservativer Seite, so wird jetzt in Baiern von „patriotischer" Seite die
Schuld an der wachsenden Zunahme des Sinnes für die deutschen Angelegen¬
heiten angeblichen Missethaten Einzelner beizumessen gesucht. Wie dort natio¬
nalliberale Correspondenten deutscher Blätter den beginnenden Umschwung in
der Bevölkerung hervorgerufen haben sollten, so soll hier das Programm der
Patrioten durch Abtrünnige lahm gelegt sein. Mit bezeichnender Naivetät
werden Die, welche dies angeblich bewirkt, in dem genannten Blatte „Ver¬
räther und Ueberläufer" genannt, welche „sich von Session zu Session ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/367>, abgerufen am 03.07.2024.