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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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hängen hervorzukommen, drunten im Thale und in der Ebene ihre Atzung zu
suchen, die ihnen augenblicklich der zugeschneite Wald und die Bergschlucht
versagt. Sie machen die Gegend unsicher, bei Tag und Nacht. Einige haben
sich sogar in die Nähe menschlicher Wohnungen gewagt und sind ungenirt in
die Bergdörfer eingedrungen. In der Nähe von Metz ist jüngsthin ein ver¬
wegenes Paar heißhungriger Wölfe dem Postwagen bis in die unmittelbarste
Nähe der Ankunftsstation gefolgt. Ob nun die Raub- und Mordgesellen dem
biedern Postillon oder den edlen, ahnungslosen Passagieren an den Kragen
wollten, darüber schweigt die Chronik. In Rappoldsweiler sind die Bestien
sogar muthig durch das Thor in das Städtchen hineinmarschirt und haben
sich von den Schulknaben mit Schneeballen bombardiren lassen. Derartige
Naubthiergeschichten kommen übrigens fast in jedem Jahr vor, so oft ein
strenger Winter mit starkem Schneefall herrscht. So zerrissen am 31 März
1873 drei Wölfe 22 Schafe der Gemeinde Obersteinbrunn, l'/,, Meile südlich
von Mülhausen. Am 13. Juni jenes Jahres wurde bei Falken berg in
Deutsch-Lothringen ein Nest mit 8 jungen Wölfen gefunden. Dem glück¬
lichen Finder gelang es, 4 dieser zarten Unthierchen zu todten. Als er aber
sein Henkeramt auch auf die übrigen vier ausdehnen wollte, wurde er von
der inzwischen durch das Geschrei ihrer Kleinen herbeigezogenen alten Wölfin
in die Flucht getrieben und mußte Fersengeld bezahlen.

Die Menge des Raub- und Schwarzwildes, welches sich in den Vogesen
aufhält, kann trotz der umsichtigsten Maßregeln seitens der deutschen Forst¬
verwaltung noch immer nicht in genügendem Maße decimirt werden. Die
dichtbewaldeten Berge, Hügel und Hochebenen der Vogesenkette -- sagt der
Preuß. Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe Topographie und
Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen herausgegeben hat -- sind
das Eldorado des Raubwildes. Einsam zieht der Rhein nicht mehr durch
die Wildniß von Baumwipfeln, welche, von einer Vogesenkuppe gesehen, ein
unübersehbares Blättermeer bildeten; denn gerade diese gebirgigen Gegenden
sind verhältnißmäßig stark und dicht bevölkert. Dennoch nimmt der Wald
noch immer eine bedeutende Bodenfläche ein. Meist aus Eichen und Buchen
bestehend, bedecken die Forsten im Elsaß 255,153 Hektaren und in Lothringen
96,182 Hektaren. Der Bestand des Raubwildes in diesen Forsten belief sich
noch um die Mitte des Jahres 1873 auf 120 Wölfe, 80 Wildkatzen, 1500
Wildschweine und 1900 Füchse. Vom 1. Mai 1871 bis dahin 72 wurden
i. I. erlegt: 41 Wölfe, 38 Wildkatzen. 404 Sauen und 792 Füchse. Vom
1. Juli -- 31. Dez. 1872: in Deutsch-Lothringen 6 Wölfe, 34 Wildschweine.
7 Wildkatzen, in Unter-Elsaß 274 und im Ober-Elsaß 9 Wildschweine. Die
Hauptmaßregeln zur Vertilgung des Raubwildes bestehen in der Abhaltung


hängen hervorzukommen, drunten im Thale und in der Ebene ihre Atzung zu
suchen, die ihnen augenblicklich der zugeschneite Wald und die Bergschlucht
versagt. Sie machen die Gegend unsicher, bei Tag und Nacht. Einige haben
sich sogar in die Nähe menschlicher Wohnungen gewagt und sind ungenirt in
die Bergdörfer eingedrungen. In der Nähe von Metz ist jüngsthin ein ver¬
wegenes Paar heißhungriger Wölfe dem Postwagen bis in die unmittelbarste
Nähe der Ankunftsstation gefolgt. Ob nun die Raub- und Mordgesellen dem
biedern Postillon oder den edlen, ahnungslosen Passagieren an den Kragen
wollten, darüber schweigt die Chronik. In Rappoldsweiler sind die Bestien
sogar muthig durch das Thor in das Städtchen hineinmarschirt und haben
sich von den Schulknaben mit Schneeballen bombardiren lassen. Derartige
Naubthiergeschichten kommen übrigens fast in jedem Jahr vor, so oft ein
strenger Winter mit starkem Schneefall herrscht. So zerrissen am 31 März
1873 drei Wölfe 22 Schafe der Gemeinde Obersteinbrunn, l'/,, Meile südlich
von Mülhausen. Am 13. Juni jenes Jahres wurde bei Falken berg in
Deutsch-Lothringen ein Nest mit 8 jungen Wölfen gefunden. Dem glück¬
lichen Finder gelang es, 4 dieser zarten Unthierchen zu todten. Als er aber
sein Henkeramt auch auf die übrigen vier ausdehnen wollte, wurde er von
der inzwischen durch das Geschrei ihrer Kleinen herbeigezogenen alten Wölfin
in die Flucht getrieben und mußte Fersengeld bezahlen.

Die Menge des Raub- und Schwarzwildes, welches sich in den Vogesen
aufhält, kann trotz der umsichtigsten Maßregeln seitens der deutschen Forst¬
verwaltung noch immer nicht in genügendem Maße decimirt werden. Die
dichtbewaldeten Berge, Hügel und Hochebenen der Vogesenkette — sagt der
Preuß. Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe Topographie und
Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen herausgegeben hat — sind
das Eldorado des Raubwildes. Einsam zieht der Rhein nicht mehr durch
die Wildniß von Baumwipfeln, welche, von einer Vogesenkuppe gesehen, ein
unübersehbares Blättermeer bildeten; denn gerade diese gebirgigen Gegenden
sind verhältnißmäßig stark und dicht bevölkert. Dennoch nimmt der Wald
noch immer eine bedeutende Bodenfläche ein. Meist aus Eichen und Buchen
bestehend, bedecken die Forsten im Elsaß 255,153 Hektaren und in Lothringen
96,182 Hektaren. Der Bestand des Raubwildes in diesen Forsten belief sich
noch um die Mitte des Jahres 1873 auf 120 Wölfe, 80 Wildkatzen, 1500
Wildschweine und 1900 Füchse. Vom 1. Mai 1871 bis dahin 72 wurden
i. I. erlegt: 41 Wölfe, 38 Wildkatzen. 404 Sauen und 792 Füchse. Vom
1. Juli — 31. Dez. 1872: in Deutsch-Lothringen 6 Wölfe, 34 Wildschweine.
7 Wildkatzen, in Unter-Elsaß 274 und im Ober-Elsaß 9 Wildschweine. Die
Hauptmaßregeln zur Vertilgung des Raubwildes bestehen in der Abhaltung


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[0355] hängen hervorzukommen, drunten im Thale und in der Ebene ihre Atzung zu suchen, die ihnen augenblicklich der zugeschneite Wald und die Bergschlucht versagt. Sie machen die Gegend unsicher, bei Tag und Nacht. Einige haben sich sogar in die Nähe menschlicher Wohnungen gewagt und sind ungenirt in die Bergdörfer eingedrungen. In der Nähe von Metz ist jüngsthin ein ver¬ wegenes Paar heißhungriger Wölfe dem Postwagen bis in die unmittelbarste Nähe der Ankunftsstation gefolgt. Ob nun die Raub- und Mordgesellen dem biedern Postillon oder den edlen, ahnungslosen Passagieren an den Kragen wollten, darüber schweigt die Chronik. In Rappoldsweiler sind die Bestien sogar muthig durch das Thor in das Städtchen hineinmarschirt und haben sich von den Schulknaben mit Schneeballen bombardiren lassen. Derartige Naubthiergeschichten kommen übrigens fast in jedem Jahr vor, so oft ein strenger Winter mit starkem Schneefall herrscht. So zerrissen am 31 März 1873 drei Wölfe 22 Schafe der Gemeinde Obersteinbrunn, l'/,, Meile südlich von Mülhausen. Am 13. Juni jenes Jahres wurde bei Falken berg in Deutsch-Lothringen ein Nest mit 8 jungen Wölfen gefunden. Dem glück¬ lichen Finder gelang es, 4 dieser zarten Unthierchen zu todten. Als er aber sein Henkeramt auch auf die übrigen vier ausdehnen wollte, wurde er von der inzwischen durch das Geschrei ihrer Kleinen herbeigezogenen alten Wölfin in die Flucht getrieben und mußte Fersengeld bezahlen. Die Menge des Raub- und Schwarzwildes, welches sich in den Vogesen aufhält, kann trotz der umsichtigsten Maßregeln seitens der deutschen Forst¬ verwaltung noch immer nicht in genügendem Maße decimirt werden. Die dichtbewaldeten Berge, Hügel und Hochebenen der Vogesenkette — sagt der Preuß. Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe Topographie und Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen herausgegeben hat — sind das Eldorado des Raubwildes. Einsam zieht der Rhein nicht mehr durch die Wildniß von Baumwipfeln, welche, von einer Vogesenkuppe gesehen, ein unübersehbares Blättermeer bildeten; denn gerade diese gebirgigen Gegenden sind verhältnißmäßig stark und dicht bevölkert. Dennoch nimmt der Wald noch immer eine bedeutende Bodenfläche ein. Meist aus Eichen und Buchen bestehend, bedecken die Forsten im Elsaß 255,153 Hektaren und in Lothringen 96,182 Hektaren. Der Bestand des Raubwildes in diesen Forsten belief sich noch um die Mitte des Jahres 1873 auf 120 Wölfe, 80 Wildkatzen, 1500 Wildschweine und 1900 Füchse. Vom 1. Mai 1871 bis dahin 72 wurden i. I. erlegt: 41 Wölfe, 38 Wildkatzen. 404 Sauen und 792 Füchse. Vom 1. Juli — 31. Dez. 1872: in Deutsch-Lothringen 6 Wölfe, 34 Wildschweine. 7 Wildkatzen, in Unter-Elsaß 274 und im Ober-Elsaß 9 Wildschweine. Die Hauptmaßregeln zur Vertilgung des Raubwildes bestehen in der Abhaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/355>, abgerufen am 26.06.2024.