Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.dem alt Hergebrachten festhaltend, in alten Anschauungen, theilweisem Aberglauben Wir gelangen damit zur Beurtheilung der eigentlichen Typen, welche Wie der Thüringer im Grundzuge seines Charakters genügsam, gutmü- dem alt Hergebrachten festhaltend, in alten Anschauungen, theilweisem Aberglauben Wir gelangen damit zur Beurtheilung der eigentlichen Typen, welche Wie der Thüringer im Grundzuge seines Charakters genügsam, gutmü- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133109"/> <p xml:id="ID_1240" prev="#ID_1239"> dem alt Hergebrachten festhaltend, in alten Anschauungen, theilweisem Aberglauben<lb/> und in Sitten der Vorzeit fortlebt. Sieht man von einigen als Ausnahme<lb/> zur Geltung gebrachten Charakteren ab, so ist Genügsamkeit und mütterliche<lb/> Weisheit ein zur Geltung gebrachter Grundton in den Frauenbildern Sommer's,<lb/> die ihre völlige Befriedigung im Manischen und Tartscher (d. l). im Scheuern,<lb/> Waschen und Backen) finden. — Es giebt keine lebensvollere Schilderung als<lb/> das Gedicht über das Schüttchenbacken, die Sitte des Bleigießens, das Oster-<lb/> wasserholen und für das eheliche Beisammenleben jene reizende Erzählung,<lb/> die Buzelmänner (I. No. 8), welche in gebundener Rede den Auszug der<lb/> ganzen Familie zu einem Dorffeste veranschaulicht. Kurz im Ganzen hebt<lb/> sich uns ein erfreuliches Bild des allgemeinen Volkscharakters ab, der natür¬<lb/> lich in den in das Einzelne gehenden Schilderungen individuell behandelt an<lb/> Reichthum gewinnt und viele Nuancirungen aufzuweisen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1241"> Wir gelangen damit zur Beurtheilung der eigentlichen Typen, welche<lb/> wohl recht eigentlich die Ursache gegeben haben mögen, daß man in Rudol-<lb/> stadt von „Oben" die Bestrebungen Sommer's nicht mit wohlwollendem Auge<lb/> betrachtete, von unten aber mit schnödem Undanke belohnt hat. Dem gegen¬<lb/> über führen wir an, daß der Dichter in nicht genug anzuerkennender Weise<lb/> die großen Klippen vermieden hat, welche sich leicht der Schilderung volks¬<lb/> tümlicher Charaktere entgegenstellen. Sommer's Bilder halten sich in wohl¬<lb/> thuender Weise auf sittlicher Höhe. Wer kann dem Dichter eines Mißgriffs<lb/> zeihen, wo ist ein Product im Stande zu verletzen oder auch nur zu befrem¬<lb/> den? Ein Theil der Gedichte, namentlich die Naturschilderungen, basiren<lb/> nicht allein auf einer feinen Beobachtung, sondern sind sogar tief religiös<lb/> empfunden. Und das paßt doch vor Allem zu einer gewissen Richtung in<lb/> Rudolstadt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1242" next="#ID_1243"> Wie der Thüringer im Grundzuge seines Charakters genügsam, gutmü-<lb/> Wg, offenherzig aber auch schalkhaft und neckisch genannt werden kann, so<lb/> verleugnet auch der Sommer'sche Rudolstädter diese Eigenschaften nicht. —<lb/> Wenn seine drei Hauptbedürfnisse: Bier, Bratwurst und der Erdäpfelkloß<lb/> (it, Ur. 20) vortrefflich sind, so leuchtet aus seinen Zügen sichtbare Zufrieden¬<lb/> heit und die fröhliche Stimmung erzeugt jene Heiterkeit, in der die schrauben¬<lb/> den „Schnärzchen und Raupen" in der amüsantesten Weise Platz greifen.<lb/> Sommer hat in Ton und Haltung solcher Stimmungen in ihren verschiedenen<lb/> Nuancirungen wohl das Trefflichste geleistet, was es giebt. Seine Schilde¬<lb/> rungen, wie das Volk in dem materiellen Genuß der drei Hauptfreuden auf¬<lb/> geht, schaffen Typen, daß man leicht versucht sein könnte, mit überzeugender<lb/> Gewißheit aus der Masse bestimmte Persönlichkeiten als die geschilderten her¬<lb/> auszugreifen. Urkomisch ist z. B. das Gedicht (I. Ur. 10) „de drei Biertimpel",<lb/> in dem der Schuster, um sich den ungestörten Genuß des lieblichen Naß zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0349]
dem alt Hergebrachten festhaltend, in alten Anschauungen, theilweisem Aberglauben
und in Sitten der Vorzeit fortlebt. Sieht man von einigen als Ausnahme
zur Geltung gebrachten Charakteren ab, so ist Genügsamkeit und mütterliche
Weisheit ein zur Geltung gebrachter Grundton in den Frauenbildern Sommer's,
die ihre völlige Befriedigung im Manischen und Tartscher (d. l). im Scheuern,
Waschen und Backen) finden. — Es giebt keine lebensvollere Schilderung als
das Gedicht über das Schüttchenbacken, die Sitte des Bleigießens, das Oster-
wasserholen und für das eheliche Beisammenleben jene reizende Erzählung,
die Buzelmänner (I. No. 8), welche in gebundener Rede den Auszug der
ganzen Familie zu einem Dorffeste veranschaulicht. Kurz im Ganzen hebt
sich uns ein erfreuliches Bild des allgemeinen Volkscharakters ab, der natür¬
lich in den in das Einzelne gehenden Schilderungen individuell behandelt an
Reichthum gewinnt und viele Nuancirungen aufzuweisen hat.
Wir gelangen damit zur Beurtheilung der eigentlichen Typen, welche
wohl recht eigentlich die Ursache gegeben haben mögen, daß man in Rudol-
stadt von „Oben" die Bestrebungen Sommer's nicht mit wohlwollendem Auge
betrachtete, von unten aber mit schnödem Undanke belohnt hat. Dem gegen¬
über führen wir an, daß der Dichter in nicht genug anzuerkennender Weise
die großen Klippen vermieden hat, welche sich leicht der Schilderung volks¬
tümlicher Charaktere entgegenstellen. Sommer's Bilder halten sich in wohl¬
thuender Weise auf sittlicher Höhe. Wer kann dem Dichter eines Mißgriffs
zeihen, wo ist ein Product im Stande zu verletzen oder auch nur zu befrem¬
den? Ein Theil der Gedichte, namentlich die Naturschilderungen, basiren
nicht allein auf einer feinen Beobachtung, sondern sind sogar tief religiös
empfunden. Und das paßt doch vor Allem zu einer gewissen Richtung in
Rudolstadt.
Wie der Thüringer im Grundzuge seines Charakters genügsam, gutmü-
Wg, offenherzig aber auch schalkhaft und neckisch genannt werden kann, so
verleugnet auch der Sommer'sche Rudolstädter diese Eigenschaften nicht. —
Wenn seine drei Hauptbedürfnisse: Bier, Bratwurst und der Erdäpfelkloß
(it, Ur. 20) vortrefflich sind, so leuchtet aus seinen Zügen sichtbare Zufrieden¬
heit und die fröhliche Stimmung erzeugt jene Heiterkeit, in der die schrauben¬
den „Schnärzchen und Raupen" in der amüsantesten Weise Platz greifen.
Sommer hat in Ton und Haltung solcher Stimmungen in ihren verschiedenen
Nuancirungen wohl das Trefflichste geleistet, was es giebt. Seine Schilde¬
rungen, wie das Volk in dem materiellen Genuß der drei Hauptfreuden auf¬
geht, schaffen Typen, daß man leicht versucht sein könnte, mit überzeugender
Gewißheit aus der Masse bestimmte Persönlichkeiten als die geschilderten her¬
auszugreifen. Urkomisch ist z. B. das Gedicht (I. Ur. 10) „de drei Biertimpel",
in dem der Schuster, um sich den ungestörten Genuß des lieblichen Naß zu
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