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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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[Beginn Spaltensatz] Ac jeder Mann und jede Fra,
Was rosz, wie bald, da giht's 'n a
Wie unsern Wasserrads [Spaltenumbruch] Drounn seid 'r nez beisniniu noch
Da seid recht änig, freit eich doch
Un halt de Zeit zu Rathe. [Ende Spaltensatz]

Gar manche dieser lokalen Beziehungen ließen sich hier noch vorführen,
in denen Sommer eines Theils die Liebe zum Alten und Charakteristischen
bethätigt, andern Theils als auf verbesserliche Sonderbarkeiten der väterlichen
Residenz hinweist, ohne daß ihm im Geringsten verletzende Satire zum Vor-
wurf gemacht werden kann. Bei aller Wahrheit verletzt Sommer nie, er
nimmt die Dinge, wie sie sind. An die Hühnertreppe, die eine nicht unwesentliche
Passage für das Residenzschloß vermittelt, hätten sich gewiß recht unliebsame
Betrachtungen anknüpfen lassen. Anderswo würde man vielleicht längst zu
einer Umlaufe derselben zu schreiten sich veranlaßt gesehen haben.

Auf diesem lokalen Grunde hebt sich nun der Volkscharakter in meister¬
haft gezeichneter poetischer Weise ab. Nicht etwa, als ob man in besondern
Abschnitten, streng gegliederten Abtheilungen die einzelnen Charaktere zu suchen
hätte. Im Gegentheil, Alles läuft bunt durcheinander und hinter dem an¬
spruchslosen Titel des Buches "Bilder und Klänge" ist ein poetischer und
zugleich reicher, culturhistorischer Schatz geborgen. Wir möchten gegen Braun-
Wiesbaden bezweifeln, ob die Anwendung des Wortes auf Sommer: "In der
Beschränkung zeigt sich der Meister" eine berechtigte zu nennen ist. Im Gegen¬
theil, das Feld, welches Sommer betreten, ist ein so überaus gewaltiges aber
auch ein tief durchfurchtes und angebautes. Man muß in dem Leben der
Kleinstadt lange Jahre aufgegangen sein, um die Fülle des zu bewältigenden
Stoffes, welches sich der dialectischer Behandlung darbietet, verstehen zu lernen.
Nicht eine Seite des Volkslebens können wir als eine vernachlässigte bezeichnen,
nicht einen Mißgriff andeuten, der sich formell oder materiell begründen ließ.
Alles ist fein beobachtet, tief empfunden, meisterhaft geschildert. Das größte
Lob, welches unserm Sommer je gespendet worden ist, liegt in dem eignen
Urtheil eines Theils der Landsleute, die sich mit einem Worte getroffen
fühlten.

Uns erübrigt daher weiter nichts, als den Reichthum dieser zweiten
Hauptgruppe Sommer'scher Schöpfungen nachzuweisen und ihren Werth zu
bemessen.

Zwei Hauptrichtungen sind es, in denen Sommer das Volkselement
schildert. Er führt uns in großen allgemeinen Zügen den hergebrachten Gang
der Dinge und versetzt in diesen das Individuum, oder er behandelt die ein¬
zelnen Typen in ihrer Abgeschlossenheit und in ihren verschiedenen Situationen.

Wie der thüringer Volksstamm im Ganzen keine besondere Anlage für
das ausschließliche Aufgehen im Familienleben selbst hat, ihm vielmehr Be-
dürfniß ist, sich alltäglich dem Wirthshausleben zu widmen. Feste zu feiern.


[Beginn Spaltensatz] Ac jeder Mann und jede Fra,
Was rosz, wie bald, da giht's 'n a
Wie unsern Wasserrads [Spaltenumbruch] Drounn seid 'r nez beisniniu noch
Da seid recht änig, freit eich doch
Un halt de Zeit zu Rathe. [Ende Spaltensatz]

Gar manche dieser lokalen Beziehungen ließen sich hier noch vorführen,
in denen Sommer eines Theils die Liebe zum Alten und Charakteristischen
bethätigt, andern Theils als auf verbesserliche Sonderbarkeiten der väterlichen
Residenz hinweist, ohne daß ihm im Geringsten verletzende Satire zum Vor-
wurf gemacht werden kann. Bei aller Wahrheit verletzt Sommer nie, er
nimmt die Dinge, wie sie sind. An die Hühnertreppe, die eine nicht unwesentliche
Passage für das Residenzschloß vermittelt, hätten sich gewiß recht unliebsame
Betrachtungen anknüpfen lassen. Anderswo würde man vielleicht längst zu
einer Umlaufe derselben zu schreiten sich veranlaßt gesehen haben.

Auf diesem lokalen Grunde hebt sich nun der Volkscharakter in meister¬
haft gezeichneter poetischer Weise ab. Nicht etwa, als ob man in besondern
Abschnitten, streng gegliederten Abtheilungen die einzelnen Charaktere zu suchen
hätte. Im Gegentheil, Alles läuft bunt durcheinander und hinter dem an¬
spruchslosen Titel des Buches „Bilder und Klänge" ist ein poetischer und
zugleich reicher, culturhistorischer Schatz geborgen. Wir möchten gegen Braun-
Wiesbaden bezweifeln, ob die Anwendung des Wortes auf Sommer: „In der
Beschränkung zeigt sich der Meister" eine berechtigte zu nennen ist. Im Gegen¬
theil, das Feld, welches Sommer betreten, ist ein so überaus gewaltiges aber
auch ein tief durchfurchtes und angebautes. Man muß in dem Leben der
Kleinstadt lange Jahre aufgegangen sein, um die Fülle des zu bewältigenden
Stoffes, welches sich der dialectischer Behandlung darbietet, verstehen zu lernen.
Nicht eine Seite des Volkslebens können wir als eine vernachlässigte bezeichnen,
nicht einen Mißgriff andeuten, der sich formell oder materiell begründen ließ.
Alles ist fein beobachtet, tief empfunden, meisterhaft geschildert. Das größte
Lob, welches unserm Sommer je gespendet worden ist, liegt in dem eignen
Urtheil eines Theils der Landsleute, die sich mit einem Worte getroffen
fühlten.

Uns erübrigt daher weiter nichts, als den Reichthum dieser zweiten
Hauptgruppe Sommer'scher Schöpfungen nachzuweisen und ihren Werth zu
bemessen.

Zwei Hauptrichtungen sind es, in denen Sommer das Volkselement
schildert. Er führt uns in großen allgemeinen Zügen den hergebrachten Gang
der Dinge und versetzt in diesen das Individuum, oder er behandelt die ein¬
zelnen Typen in ihrer Abgeschlossenheit und in ihren verschiedenen Situationen.

Wie der thüringer Volksstamm im Ganzen keine besondere Anlage für
das ausschließliche Aufgehen im Familienleben selbst hat, ihm vielmehr Be-
dürfniß ist, sich alltäglich dem Wirthshausleben zu widmen. Feste zu feiern.


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[0347] Ac jeder Mann und jede Fra, Was rosz, wie bald, da giht's 'n a Wie unsern Wasserrads Drounn seid 'r nez beisniniu noch Da seid recht änig, freit eich doch Un halt de Zeit zu Rathe. Gar manche dieser lokalen Beziehungen ließen sich hier noch vorführen, in denen Sommer eines Theils die Liebe zum Alten und Charakteristischen bethätigt, andern Theils als auf verbesserliche Sonderbarkeiten der väterlichen Residenz hinweist, ohne daß ihm im Geringsten verletzende Satire zum Vor- wurf gemacht werden kann. Bei aller Wahrheit verletzt Sommer nie, er nimmt die Dinge, wie sie sind. An die Hühnertreppe, die eine nicht unwesentliche Passage für das Residenzschloß vermittelt, hätten sich gewiß recht unliebsame Betrachtungen anknüpfen lassen. Anderswo würde man vielleicht längst zu einer Umlaufe derselben zu schreiten sich veranlaßt gesehen haben. Auf diesem lokalen Grunde hebt sich nun der Volkscharakter in meister¬ haft gezeichneter poetischer Weise ab. Nicht etwa, als ob man in besondern Abschnitten, streng gegliederten Abtheilungen die einzelnen Charaktere zu suchen hätte. Im Gegentheil, Alles läuft bunt durcheinander und hinter dem an¬ spruchslosen Titel des Buches „Bilder und Klänge" ist ein poetischer und zugleich reicher, culturhistorischer Schatz geborgen. Wir möchten gegen Braun- Wiesbaden bezweifeln, ob die Anwendung des Wortes auf Sommer: „In der Beschränkung zeigt sich der Meister" eine berechtigte zu nennen ist. Im Gegen¬ theil, das Feld, welches Sommer betreten, ist ein so überaus gewaltiges aber auch ein tief durchfurchtes und angebautes. Man muß in dem Leben der Kleinstadt lange Jahre aufgegangen sein, um die Fülle des zu bewältigenden Stoffes, welches sich der dialectischer Behandlung darbietet, verstehen zu lernen. Nicht eine Seite des Volkslebens können wir als eine vernachlässigte bezeichnen, nicht einen Mißgriff andeuten, der sich formell oder materiell begründen ließ. Alles ist fein beobachtet, tief empfunden, meisterhaft geschildert. Das größte Lob, welches unserm Sommer je gespendet worden ist, liegt in dem eignen Urtheil eines Theils der Landsleute, die sich mit einem Worte getroffen fühlten. Uns erübrigt daher weiter nichts, als den Reichthum dieser zweiten Hauptgruppe Sommer'scher Schöpfungen nachzuweisen und ihren Werth zu bemessen. Zwei Hauptrichtungen sind es, in denen Sommer das Volkselement schildert. Er führt uns in großen allgemeinen Zügen den hergebrachten Gang der Dinge und versetzt in diesen das Individuum, oder er behandelt die ein¬ zelnen Typen in ihrer Abgeschlossenheit und in ihren verschiedenen Situationen. Wie der thüringer Volksstamm im Ganzen keine besondere Anlage für das ausschließliche Aufgehen im Familienleben selbst hat, ihm vielmehr Be- dürfniß ist, sich alltäglich dem Wirthshausleben zu widmen. Feste zu feiern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/347>, abgerufen am 23.07.2024.