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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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stadt hatte ja auch für die Töchter des Landes damals eine höhere Bildung
anstatt als die Bürgerschule nicht aufzuweisen. Während dieser heimathlichen
Thätigkeit, die er bis 18Ki entfaltete, stellte ihn endlich der Staat als
.. H ni fs pr ed iger " an, bis er 1864 die Stelle eines Garnisonpredigers er¬
hielt, die ihm das herkömmliche Prädicat "Milizprediger" mit spärlichem Ge¬
halt einbrachte.

Der einfache, durch staatliche Verhältnisse bedingte Lebensgang trug nicht
wenig dazu bei, daß sich Sommer der Neigung im Dialect zu schreiben und
zu dichten, völlig hingab. Die erste Anregung halte ihm die Bekanntschaft
mit Grübel, Hebel und Kobell gegeben. Sie fällt in sehr frühe Zeiten seines
Lebens und reicht sicher bis in seine Gymnasialzeit zurück. Zunächst freilich
hatte sie nicht viel zu bedeuten. Es war ursprünglich nicht mehr als kind¬
liches Behagen, das er bei dem erheiternden Eindruck dieser Dialectdichtungen
empfing. -- An eine schöpferische Thätigkeit kann man für diese Zeit nicht
denken, wenigstens läßt sie sich an concreten Beispielen nicht nachweisen.
Erst aus der Mitte der vierziger Jahre, in denen ich als jugendlicher Freund
dem Dichter näher trat, datiren wohl seine ersten Dialectschöpfungen; wenig¬
stens erinnere ich mich genau, daß damals uns alle erheiternde, für den engern
Familienkreis berechnete Gelegenheitsgedichte im Dialect auf unser Ansuchen
ins Dasein traten. Leider haben sie sich nicht erhalten, denn wer mochte da¬
mals daran denken, daß diese Schöpfungen dereinst eine historische Bedeutung
erlangen würden!

Die Zeit, in der der Dichter recht eigentlich sich in seiner Richtung ge¬
fördert sah, gehört schon dem Universitätsleben an. Er drang tiefer in die
Sprachentwickelung ein, und sein Interesse gewann vorzüglich durch ausge¬
dehnte Lectüre volleren Gehalt. Man darf dabei wohl nicht vergessen, wie
frisch und nachdrucksvoll noch die Gunst Goethe's wirkte, welche derselbe be¬
kanntlich für die alemannischen Gedichte Hebel's und die Nürnberger Grübel's
an den Tag gelegt hatte. Getragen von dieser Autorität, und selbst auf vor¬
trefflichem Boden stehend, den er durch eignes tieferes Studium gewonnen
hatte, arbeitete Sommer seit dieser Zeit frisch auf sein Ziel hin. --

Wer heut zu Tage, angeregt durch Sommer's treffliche Schöpfungen, den
Versuch machen wollte, das Rudolstäi>ter Idiom in seiner vollen Reinheit zu
hören, muß sich nicht etwa denken, daß man blos in die Thore der lieblichen
Residenzstadt einzudringen und zu lauschen braucht. Wie oben hervorgehoben,
haben sich die Verhältnisse ganz wesentlich geändert und der Dialect, den der
Dichter in seinen Schöpfungen, in seiner vollen Reinheit -- wohlverstanden
vom Standpunkte des Sprachforschers aus -- verwendet, wird nur noch von
wenigen ältern Personen der niedern Schichten gesprochen. Diese Behauptung
fußt auf dem Urtheil des Dichters selbst. Der Dialect geht in rapider Weise


stadt hatte ja auch für die Töchter des Landes damals eine höhere Bildung
anstatt als die Bürgerschule nicht aufzuweisen. Während dieser heimathlichen
Thätigkeit, die er bis 18Ki entfaltete, stellte ihn endlich der Staat als
.. H ni fs pr ed iger " an, bis er 1864 die Stelle eines Garnisonpredigers er¬
hielt, die ihm das herkömmliche Prädicat „Milizprediger" mit spärlichem Ge¬
halt einbrachte.

Der einfache, durch staatliche Verhältnisse bedingte Lebensgang trug nicht
wenig dazu bei, daß sich Sommer der Neigung im Dialect zu schreiben und
zu dichten, völlig hingab. Die erste Anregung halte ihm die Bekanntschaft
mit Grübel, Hebel und Kobell gegeben. Sie fällt in sehr frühe Zeiten seines
Lebens und reicht sicher bis in seine Gymnasialzeit zurück. Zunächst freilich
hatte sie nicht viel zu bedeuten. Es war ursprünglich nicht mehr als kind¬
liches Behagen, das er bei dem erheiternden Eindruck dieser Dialectdichtungen
empfing. — An eine schöpferische Thätigkeit kann man für diese Zeit nicht
denken, wenigstens läßt sie sich an concreten Beispielen nicht nachweisen.
Erst aus der Mitte der vierziger Jahre, in denen ich als jugendlicher Freund
dem Dichter näher trat, datiren wohl seine ersten Dialectschöpfungen; wenig¬
stens erinnere ich mich genau, daß damals uns alle erheiternde, für den engern
Familienkreis berechnete Gelegenheitsgedichte im Dialect auf unser Ansuchen
ins Dasein traten. Leider haben sie sich nicht erhalten, denn wer mochte da¬
mals daran denken, daß diese Schöpfungen dereinst eine historische Bedeutung
erlangen würden!

Die Zeit, in der der Dichter recht eigentlich sich in seiner Richtung ge¬
fördert sah, gehört schon dem Universitätsleben an. Er drang tiefer in die
Sprachentwickelung ein, und sein Interesse gewann vorzüglich durch ausge¬
dehnte Lectüre volleren Gehalt. Man darf dabei wohl nicht vergessen, wie
frisch und nachdrucksvoll noch die Gunst Goethe's wirkte, welche derselbe be¬
kanntlich für die alemannischen Gedichte Hebel's und die Nürnberger Grübel's
an den Tag gelegt hatte. Getragen von dieser Autorität, und selbst auf vor¬
trefflichem Boden stehend, den er durch eignes tieferes Studium gewonnen
hatte, arbeitete Sommer seit dieser Zeit frisch auf sein Ziel hin. —

Wer heut zu Tage, angeregt durch Sommer's treffliche Schöpfungen, den
Versuch machen wollte, das Rudolstäi>ter Idiom in seiner vollen Reinheit zu
hören, muß sich nicht etwa denken, daß man blos in die Thore der lieblichen
Residenzstadt einzudringen und zu lauschen braucht. Wie oben hervorgehoben,
haben sich die Verhältnisse ganz wesentlich geändert und der Dialect, den der
Dichter in seinen Schöpfungen, in seiner vollen Reinheit — wohlverstanden
vom Standpunkte des Sprachforschers aus — verwendet, wird nur noch von
wenigen ältern Personen der niedern Schichten gesprochen. Diese Behauptung
fußt auf dem Urtheil des Dichters selbst. Der Dialect geht in rapider Weise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/343>, abgerufen am 23.07.2024.