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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Vor nicht langer Zeit kamen mir einige Nummern der schlesischen Puffe*)
zur Hand, in der ein mit vieler Fachkenntniß und wohlthuender Wärme ab¬
gefaßter Feuilleton-Artikel des vielgewanderten und bewanderten Karl Braun-
Wiesbaden sich fand. Aber auch in diesen Erörterungen fand sich "sorg¬
fältiger Nachforschungen ungeachtet" über Sommer's Persönlichkeit so gut
wie nichts. Selbst im nahen Reußenlande war es Karl Braun-Wiesbaden
von Lobenstein aus nicht gelungen, weitere Nachrichten von August Sommer
beizuziehen, als daß dieser -- (zum Theil richtig) früher Diaconus in Rvdolstadt
und noch jetzt Pfarrer einer benachbarten Gemeinde sei. --

So dürfte es wohl endlich an der Zeit sein, über Sommer's Leben und
Wirken, dessen Verdienst durch die "Rettung" des Nudolstädter Idioms zu¬
gleich in gewissem Sinne ein wissenschaftlicher ist, in eingehender Weise zu
berichten.

Das Leben August Sommer's kann ein sehr bewegtes genannt werden. --
Denn zu der Zeit, als er den Entschluß faßte "der Gottesgelahrtheit" sein Leben
zu widmen, war dieser Entschluß gleichbedeutend mit der Gewißheit einer
wenig glänzenden Zukunft. In Rudolstadt namentlich gab es damals schreck¬
liche Zeiten der Ueberfüllung für die Aspiranten des Staatsdienstes. Der
Spielraum für die Wahl eines andern viel versprechendern Berufes war
zudem in der Regel für den eingeborenen Rudolstädtcr nicht sehr bedeutend.
Gewohnheitsmäßig mußte nach Ansicht des Vaters der Sohn das dortige
Gymnasium -- beiläufig bemerkt die einzige Unterrichtsstätte neben der gewöhn¬
lichen Bürgerschule -- besuchen, und so führte dieser Bildungsgang fast un¬
vermeidlich zum Studium auf der Universität. -- Geboren 1816, folgte auch
Sommer bis zu seinem neunzehnten Jahre dem Gymnasium, widmete sich in
Jena dem Studium der Theologie bis 1838, wo er sich in die Nothwendig¬
keit versetzt sah, in dem langandauernden Candidatenleben eine anderweitige
Unterhaltsquelle zu suchen, bis der mit Candidaten so reichbeglückte "Staat"
den Ruf zum Eintritt in das geistliche Amt an ihn ergehen lassen würde.
In der Regel reichte dazu etwa ein volles Decennium hin, in dem sich
gar merkwürdige Typen, wie sie noch heute in unserer Erinnerung leben, her¬
ausbildeten. -- Sommer brachte diese Zeit nach damaligem Begriff im "Aus¬
lande" hin, indem er im nahen Blankenhain unter weimarischer Botmäßig¬
keit bis 1842 eine Hauslehrerstelle bekleidete. Noch weitere drei Jahre blieb
er zu Magdala in ähnlicher Stellung, wirkte von 1847 als Lehrer der deutschen
Sprache und Literatur an der Handelsschule zu Berlin und kehrte bald von
dort in seine Vaterstadt zurück, um daselbst eine höhere Töchterschule zu be¬
gründen, die längst zum dringenden Bedürfnisse geworden war. Denn Rüböl-



") Ur. 121, 12!", 12b. Jahrgang 187!!, "Der Thüringer Hebel.

Vor nicht langer Zeit kamen mir einige Nummern der schlesischen Puffe*)
zur Hand, in der ein mit vieler Fachkenntniß und wohlthuender Wärme ab¬
gefaßter Feuilleton-Artikel des vielgewanderten und bewanderten Karl Braun-
Wiesbaden sich fand. Aber auch in diesen Erörterungen fand sich „sorg¬
fältiger Nachforschungen ungeachtet" über Sommer's Persönlichkeit so gut
wie nichts. Selbst im nahen Reußenlande war es Karl Braun-Wiesbaden
von Lobenstein aus nicht gelungen, weitere Nachrichten von August Sommer
beizuziehen, als daß dieser — (zum Theil richtig) früher Diaconus in Rvdolstadt
und noch jetzt Pfarrer einer benachbarten Gemeinde sei. —

So dürfte es wohl endlich an der Zeit sein, über Sommer's Leben und
Wirken, dessen Verdienst durch die „Rettung" des Nudolstädter Idioms zu¬
gleich in gewissem Sinne ein wissenschaftlicher ist, in eingehender Weise zu
berichten.

Das Leben August Sommer's kann ein sehr bewegtes genannt werden. —
Denn zu der Zeit, als er den Entschluß faßte „der Gottesgelahrtheit" sein Leben
zu widmen, war dieser Entschluß gleichbedeutend mit der Gewißheit einer
wenig glänzenden Zukunft. In Rudolstadt namentlich gab es damals schreck¬
liche Zeiten der Ueberfüllung für die Aspiranten des Staatsdienstes. Der
Spielraum für die Wahl eines andern viel versprechendern Berufes war
zudem in der Regel für den eingeborenen Rudolstädtcr nicht sehr bedeutend.
Gewohnheitsmäßig mußte nach Ansicht des Vaters der Sohn das dortige
Gymnasium — beiläufig bemerkt die einzige Unterrichtsstätte neben der gewöhn¬
lichen Bürgerschule — besuchen, und so führte dieser Bildungsgang fast un¬
vermeidlich zum Studium auf der Universität. — Geboren 1816, folgte auch
Sommer bis zu seinem neunzehnten Jahre dem Gymnasium, widmete sich in
Jena dem Studium der Theologie bis 1838, wo er sich in die Nothwendig¬
keit versetzt sah, in dem langandauernden Candidatenleben eine anderweitige
Unterhaltsquelle zu suchen, bis der mit Candidaten so reichbeglückte „Staat"
den Ruf zum Eintritt in das geistliche Amt an ihn ergehen lassen würde.
In der Regel reichte dazu etwa ein volles Decennium hin, in dem sich
gar merkwürdige Typen, wie sie noch heute in unserer Erinnerung leben, her¬
ausbildeten. — Sommer brachte diese Zeit nach damaligem Begriff im „Aus¬
lande" hin, indem er im nahen Blankenhain unter weimarischer Botmäßig¬
keit bis 1842 eine Hauslehrerstelle bekleidete. Noch weitere drei Jahre blieb
er zu Magdala in ähnlicher Stellung, wirkte von 1847 als Lehrer der deutschen
Sprache und Literatur an der Handelsschule zu Berlin und kehrte bald von
dort in seine Vaterstadt zurück, um daselbst eine höhere Töchterschule zu be¬
gründen, die längst zum dringenden Bedürfnisse geworden war. Denn Rüböl-



») Ur. 121, 12!», 12b. Jahrgang 187!!, „Der Thüringer Hebel.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/342>, abgerufen am 23.07.2024.